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Schluß mit der Alleinherrschaft
Für eine Zukunft von Deutsch als Wissenschafts- und Verkehrssprache (Teil 1)
Von Hans Kaegelmann

Deutsche Sprachwelt AUSGABE 26 Winter 2006/07, S. 6
Abdruck mit freundlicher Genehmigung der DEUTSCHEN SPRACHWELT

 

Früher wurde Wissenschaft, auch literarisch, im Rahmen von Religion betrieben. Diese Wissenschaft betraf Fundamentalprobleme. Andere Wissenschaft wurde zu technischen Zwecken betrieben, jedoch nicht literarisch aufgezeichnet. Seit dem 7. Jahrhundert vor Christus präzisierten Griechen Fundamentalwissenschaft logisch und erkenntnistheoretisch als Philosophie = mit Liebe zur Weisheit betriebene Wissenschaft. Im gleichen 7. Jahrhundert trat auch ein geistiger Entwicklungsschub in indischer und chinesischer Hochreligion ein.

Aristoteles erweiterte die fundamentalwissenschaftlich ausgerichtete Philosophie auch auf realwissenschaftliche Detailforschung. Mit der Entwicklung von Philosophie war Griechisch die Wissenschaftssprache. Die dann militärisch, politisch und juristisch führenden Römer schlossen sich an die griechische Philosophie an und entwickelten sie mäßig weiter. Mit Zusammenbruch des römischen Reiches ging dessen politische Macht auf die geistige Macht der christlichen Religion und ihrer Kirchen über.

Latein als Wissenschaftssprache

Die stärkste christliche Kirche, die auch in Rom zentrierte römisch-katholische, übernahm die lateinische Sprache der Römer in mäßig abgewandelter Form als Kirchenlatein. Dies Latein wurde auch während des Mittelalters bis in die beginnende Neuzeit international verbindliche Wissenschaftssprache. Latein eignete sich dafür durch seine klare Diktion Ausdrucksweise. Latein hatte für Wissenschaftler den großen Vorteil der Möglichkeit zu direkter Verständigung.

Doch ergaben sich auch einige Nachteile: Meist konnte nicht so elegant nuanciert in Latein ausgedrückt werden wie in der seit Kindheit geübten Muttersprache. Nichtlateinsprechende, wie politisch führende Fürsten, waren aus Wissenschaft und damit Erkenntnisfortschritten ausgeschlossen. In einer Übergangszeit wurden wissenschaftliche Texte sowohl in Latein als auch in einer Nationalsprache geschrieben.

René Descartes, der als Vater der neuzeitlichen Philosophie gilt, schrieb seine erste wegweisende Schrift 1637 in französischer Sprache: „Discours da la méthode pour bien conduire la raison et chercher la vérité dans les sciences“. Die weiteren Schriften verfaßte er in Latein. Christian Thomasius hielt als erster deutscher Universitätsprofessor seit 1688 Vorlesungen in deutscher Sprache. Von da ab kam der Gebrauch von Nationalsprachen für Wissenschaft rasch auf und verschwand Latein als Wissenschaftssprache.

Nationalsprachen als Wissenschaftssprachen

Im Gegensatz zu den vielen Nationalsprachen als Volkssprachen im jeweiligen eigenen Land war die Verwendung von Nationalsprachen als Wissenschaftssprachen sehr ungleich. Als solche dominierten Italienisch, Französisch, Englisch und Deutsch. Dies blieb ungefähr so bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges 1945, für fast drei Jahrhunderte. Italienisch war anfangs als Wissenschaftssprache sowohl für Philosophie als auch für Natur- und Geisteswissenschaften stark im Gebrauch, ging dann jedoch dafür gegenüber den drei anderen Wissenschaftssprachen zurück, wurde statt dessen zur erstrangigen Sprache für die Kunst, besonders für die Musik. Seit dem 18. Jahrhundert trat als viel gebrauchte Wissenschaftssprache Russisch hinzu und überrundete Italienisch.

Asiatische Sprachen blieben in ihren Ländern weiter auch als Wissenschaftssprachen in Gebrauch, so Chinesisch, Japanisch, Arabisch und indische Sprachen, doch kamen solche Sprachen zu keinen internationalen Verwendungen außerhalb des jeweiligen Sprachraums.

Französisch, Englisch, Deutsch, Russisch

So blieben bis vor 60 Jahren Französisch, Englisch und Deutsch gleichberechtigte Wissenschaftssprachen, zuzüglich Russischs. Für Naturwissenschaften war die Ergiebigkeit dieser vier ziemlich gleich; für Geisteswissenschaften ergaben sich auch keine wesentlichen Unterschiede; vielleicht waren Englisch und Deutsch hierfür etwas ergiebiger. Ein deutlicher Unterschied ist jedoch in der Philosophie als Fundamentalwissenschaft zu verzeichnen. Hier überragte Deutsch die anderen drei erheblich, was auch weiter so geblieben ist. Danach kann auch Deutsch als die erfolgreichste Wissenschaftssprache bezeichnet werden, zumindest als die geistig ergiebigste Sprache. Für diese Beurteilung des Deutschen kommt noch seine hohe Ergiebigkeit in der Dichtung hinzu.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ergab sich jedoch ein anderes Ungleichgewicht: ein machtpolitisches. Die Staaten mit englischer Sprache wurden zu dem mächtigsten, voran die Vereinigten Staaten von Amerika, die nach Beendigung des Kalten Krieges zwischen der Sowjetunion und den liberalen Staaten 1990 zur Supermacht aufstiegen. Dieser Aufstieg des englischen gegenüber dem deutschen Bereich ergab sich nicht nur machtpolitisch, sondern auch durch die Folgen der nationalsozialistischen Zeit.

Aufschwung und Nachteile des Englischen

Durch diese Entwicklungen wurde Englisch sowohl zur internationalen Verkehrssprache als auch zur internationalen Wissenschaftssprache im Gefolge des früheren Lateins erhoben. Für viele gilt seitdem in der Wissenschaft nur, was in Englisch veröffentlicht wurde. Viele wissenschaftliche Kongresse werden nur in englischer Sprache abgehalten, sogar manche nationalen Kongresse, in denen sich nur Wissenschaftler der jeweiligen Nationalsprache artikulieren. Jedoch ist solche kuriose Praxis erst in der Minderzahl in Gebrauch. Meist werden nationale und regionale Kongresse innerhalb eines Landes immer noch in der jeweiligen Landessprache abgehalten.

Die Vor- und Nachteile einer internationalen Wissenschaftssprache gelten für Englisch wie für Latein. Jedoch kommen für Englisch noch weitere Nachteile hinzu. Während sich das mittelalterliche Kirchen- und Wissenschaftslatein durch seine klare Diktion sehr gut für den Wissenschaftsgebrauch eignete, trifft dies für Englisch nicht so zu. Englisch hat zwar den Vorteil kurzer Wörter, doch ist die Aussprache nicht klar; ihr fehlt die Übereinstimmung von einem Sprachlaut mit einem Buchstaben. Vielmehr werden im Englischen viele Buchstaben in einer Übergangsfolge verschiedener Laute lautmalerisch gesprochen, wie dies im Deutschen auch vielfach in Dialekten üblich ist, nicht so in der deutschen Hochsprache. So haben Englisch und Deutsch verschiedene Vor- und Nachteile in ihrer Eignung als Wissenschaftssprache.

Einen weiteren keineswegs unwesentlichen Nachteil hat Englisch noch mit Latein gemeinsam. Beide sind zu ihrer jeweiligen Zeit die Sprachen der stärksten imperialistischen Mächte, welche die meisten Völker schlimm unterdrückten. Offensichtlich ethikwidrig ist, die stärkste Imperialmacht auch noch damit zu belohnen, ihre Sprache zur internationalen Verkehrs- und Wissenschaftssprache zu erheben. Damit geht Weltmacht in Weltsprache über, überwältigt unethische Macht geistige Kultur. Solche Erhebung ist reine Folge von Macht, steht damit zur Ethik in unvereinbarem Widerspruch.

Kunstsprachen

Damit dies nicht geschieht, wurden seit 1879 entwickelte Kunstsprachen vorgelegt: zunächst Volapük, 1887 Esperanto, die inzwischen meistverwendete Kunstsprache, seitdem über einhundert weitere Kunstsprachen, 1908 Ido, das vorrangig als Wissenschaftssprache angeboten wurde, so besonders von dem berühmten Kolloidchemiker, Energetiker, Natur- und Kulturphilosophen Wilhelm Ostwald, der auch den Monistenbund nach dessen Gründer Ernst Haeckel führte.

Kunstsprachen haben gegenüber gewachsenen Nationalsprachen ganz erhebliche Vorteile: Sie sind gegenüber den Völkern neutral. Kein Volk wird durch ein anderes Volk übervorteilt, wenn eine Kunstsprache als internationale Sprache verwendet wird, wie das der Fall ist, wenn eine Nationalsprache zur internationalen Sprache „erhoben“ wird. Nur mittels einer Kunstsprache kann das leidige Konkurrenzdenken ausgeschaltet werden. Es kann tatsächlich so friedliches Miteinander entstehen und gehässiges Gegeneinander vermieden werden. Dies zu erreichen ist so wichtig, daß Kunstsprachen Nationalsprachen für den internationalen Gebrauch vorgezogen werden sollten.

Daß dies nicht längst geschehen ist, liegt nur daran, daß die Machtpolitiker nicht ihre Nationalsprachen zugunsten von ausgleichend wirksamen Kunstsprachen zurückstufen lassen wollen. Im übrigen sind zumindest auch alle größeren Nationalsprachen Kunstsprachen, denn sie wurden aus Dialekten zusammengestückelt, oder ein Dialekt wurde künstlich als Nationalsprache über andere Dialekte der jeweiligen Sprache erhoben.

Fortsetzung folgt.

Hans Kaegelmann wurde am 8. Mai 1917 bei Berlin geboren. Er ist Arzt und Philosoph und Ehrenpräsident der Internationalen Gesellschaft für interdisziplinäre Wissenschaften (INTERDIS). 1960 flüchtete er in die Bundesrepublik Deutschland. Seit seiner Berentung 1979 ist er als Universal-Wissenschaftler und Schriftsteller tätig.


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