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Sprache im Dienst
 Untersuchungen zur offiziellen Sprache der DDR - Von Albrecht Balzer

Deutsche Sprachwelt AUSGABE 30 Winter 2007/08, S. 3
Abdrucke mit freundlicher Genehmigung der DEUTSCHEN SPRACHWELT


Die „Sprache im Dienst der DDR“ beeinflußte teilweise das politische Denken und Handeln der Bürger in der DDR. Die meisten verwendeten diese Sprache jedoch entweder überhaupt nicht oder mit ironischer Distanz. Lediglich Politiker, Funktionäre oder Menschen in „gehobenen Stellungen“ benutzten die „Sprache im Dienst“ in ihren Reden und teilweise auch im alltäglichen Sprachgebrauch.Als Klassenleiter einer Abiturklasse an einer Berufsschule nahm ich in einer Staatsbürgerkundeprüfung eines meiner Lehrlinge – heute sagt man „Azubis“ – teil. Der Lehrling hatte gerade den Raum verlassen, da wandte sich der Beisitzer vorwurfsvoll an den prüfenden Lehrer: „Mein lieber Kollege – der Begriff ‚sozialistische Menschengemeinschaft‘, den du da gerade verwendet hast, ist auf dem letzten Parteitag der SED gestorben.“

Die Sprachregulierung in der DDR erfolgte nach einem ideologischen Grundmuster:
– Die sozialistischen Länder, an ihrer Spitze die Sowjetunion, bestimmen, „weise“ geführt von marxistisch-leninistischen Parteien, den wesentlichen Verlauf der Geschichte. Mit ihnen verbündet sind die Arbeiterklasse und alle anderen „fortschrittlichen Menschen“ der „kapitalistischen Welt“ sowie grundsätzlich alle Länder der sogenannten Dritten Welt.
– Die eigene Bevölkerung besteht ebenfalls nur aus „Verbündeten“ oder zumindest „potentiellen Verbündeten“. Letztere müssen so beeinflußt werden, daß sie möglichst weitgehend die Strategie von Partei und Regierung verstehen und unterstützen, und dazu dient die Sprache der Agitation.
– Die „herrschenden Kreise“ (Kapitalisten) der westlichen Industrieländer hingegen und deren Vertreter in den jeweiligen Regierungen bremsen den Fortschritt und gelten als prinzipielle Feinde. Sie müssen mit allen Mitteln bekämpft werden, und dazu dient die Sprache der Polemik.

Die Sprache der Agitation von 1965 bis 1980
Die Sprachformung durch Agitation hatte zum Ziel, durch ständige Wiederholung bestimmte Denkmuster zu entwickeln und zu verankern. Die in offiziellen Dokumenten und Zeitungsberichten gegebene Reihenfolge der sozialistischen Länder war gleichzeitig Rangfolge: „die UdSSR, die DDR und die anderen Bruderländer …“ Führende Persönlichkeiten dieser Länder wurden stets mit ihren Funktionen in der (kommunistischen) Partei, im Staat und in weiteren gesellschaftlichen Organisationen (immer in dieser Reihenfolge!) genannt: „Horst Sindermann, Mitglied des Politbüros (Parteiamt) und Erster Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR (Regierungsamt)“.

Über Aktivitäten im „sozialistischen Lager“ hieß es im Jahre 1972: „Die gemeinsamen Aktivitäten der UdSSR, der DDR und der anderen Bruderländer zur Realisierung des Friedensprogrammes des XXIV. Parteitages der KPdSU, ihre koordinierten Handlungen üben auf das internationale Geschehen einen ständig zunehmenden Einfluß aus.“ Dieses typische Konstrukt sozialistischer Agitation enthält alle wesentlichen Elemente der agitatorischen „Sprache im Dienst“:
1. die bereits erwähnte Rangordnung
2. „schmückende“ Adjektive, Adverbien und Partizipien – teilweise auch synonym: „gemeinsame Aktivitäten“ sind gleichzeitig „koordinierte Handlungen“
3. eine Häufung von Genitivattributen
4. die Suggestion, daß sich der eigene Einfluß auf die Weltpolitik ständig erweitert.
Der Leser erfuhr durch diesen Satz und auch die folgenden nicht, um welche Aktivitäten es im einzelnen ging und wie sich der „ständig zunehmende Einfluß“ konkret bemerkbar machte. Darauf kam es gar nicht an. Es ging grundsätzlich immer nur darum, das eigene ideologisch verbrämte Wunschdenken (Entwicklung der Welt zum Sozialismus) dem Leser gewissermaßen ins Bewußtsein zu hämmern.

Hauptwörter auf ,,-ung“ dominierten. Sie dienten vor allem dazu, erwünschte positive Prozesse herbeizureden, die dann noch Ausschmückungen erhielten wie „immer besser“, „immer intensiver“. Eine in Wirklichkeit komplizierte Entwicklung mit Berg- und Talfahrten sollte geradlinig, gleichförmig, planmäßig progressiv erscheinen, und der Leser wurde beschworen, diesem „automatischen“ und „gesetzmäßigen“ Fortschritt unbedingt zu vertrauen.

Von den agitatorischen Absichten abgesehen handelte es sich hier zunehmend um sprachliche Selbstbefriedigung. Es ging zwar um Prozesse, doch die sprachlichen Mittel, sie darzustellen, nämlich die Verben, blieben oft blaß, bedeutungsarm, statisch. Dazu kamen auffallende sprachliche Fehler: Im Bemühen, die Aussage immer weiter zu steigern, obwohl die jeweiligen Wörter bereits einen Höchstgrad ausdrückten, gelangte man zu einem „noch prinzipielleren Kampf“, zur „höchsten Priorität“ und schließlich zur „optimalsten (!) Lösung“. Die „Sprache im Dienst“ war weiterhin reich an standardisierten Paarformeln oder sogar Dreierketten, zum Beispiel: „die Arbeiterklasse und alle Werktätigen“, „Sozialismus und Frieden“, „Frieden, Demokratie und Sozialismus“, „die Kommunisten und alle fortschrittlichen Menschen“.

Typisch für die Agitationssprache war die Neigung zum Absoluten, die zur Entwicklung der Geschichte in einem eigenartigen Widerspruch stand. Die Sprachgestalter wollten „unseren Menschen“ – wie man damals gern besitzergreifend sagte – absolute Sicherheit vermitteln. Deshalb war der Sozialismus „unerschütterlich“, die Freundschaft zur Sowjetunion „unverbrüchlich“ oder sogar „ewig“, was nun überhaupt nicht ins marxistische Weltbild paßte, sondern eher religiösen Vorstellungen entsprach. „Unerschütterlich“ und „ewig“ wurden vermutlich aus der sowjetischen Propagandasprache, also aus dem Russischen („nerushimyi“ und „vetshnyi“) entlehnt.

Die Sprache der Agitation 1980 bis 1989
Zunächst wollte beschwor man gebetsmühlenartig das nun besonders progressive „Schrittmaß der 80er Jahre“. Das wirkte vor allem deshalb grotesk, weil der reale Sozialismus kaum noch wirtschaftlichen Fortschritt erkennen ließ, sondern – im Warenangebot immer deutlicher sichtbar – verharrte und schließlich nichts Wesentliches mehr zu bieten hatte. Nun galt es, die „Mitglieder-Versammlungen noch streitbarer“ zu machen. Versammlungen an sich können überhaupt nicht streiten, sondern höchstens die Menschen, die an ihnen teilnehmen. Das Wort „Kommunist“ wurde im Sinne von SED-Mitglied reaktiviert, und schon wieder war man in einer völlig heilen Welt, denn „in allen Kollektiven bestimmen die Kommunisten das Schrittmaß der 80er Jahre.“

Außerdem begannen die Agitatoren im Dienst stereotype Schlagwörter neu zu kombinieren. Aus dem seit eh und je beliebten Wort „Kampf“ wurde schließlich Krampf. So entstanden groteske Formulierungen wie „Mit guter Kampfposition Boxberg stabil am Netz.“ Das Kraftwerk kämpfte gut (?) und hatte ein stabiles Stromnetz (für ein Kraftwerk eigentlich selbstverständlich). Auch das Gefühl für sinnvolle sprachliche Bilder (Metaphorik) ging immer mehr verloren: „Auf das Wort der Partei kann man Häuser bauen.“ Gewaltig! Aber ein solches Bild war geistig nicht mehr nachvollziehbar, und aus der Sicht der „sozialistischen Endzeit“ 1989 erschien es angesichts des katastrophalen Zustands vieler Häuser geradezu makaber.

Die Reihenfolge stereotyper agitatorischer Modewörter wurde schließlich austauschbar: „Kampfpositionen mit Masseninitiative für wachsende Leistungen“ konnte mühelos durch „Masseninitiative mit Kampfpositionen für wachsende Leistungen“ oder „wachsende Leistungen und Kampfpositionen mit Masseninitiative“ ersetzt werden. Diese Austauschprobe beweist, wie sinnlos die Sprache der Agitation schließlich wurde. Sie bestand am Ende weitgehend nur noch aus Worthülsen. Selbst etwas so Wertvolles und Lebenswichtiges wie der „Frieden“ wurde in den 80er Jahren dermaßen zerredet und verschlissen – auf einer Zeitungsseite bis zu dreißig Mal! –, daß viele dieses Wort zur Wendezeit nicht mehr hören konnten.

Sprache der Polemik in den späten 50er und frühen 60er Jahren
Die ebenfalls parteiamtlich regulierte Sprache der Polemik hatte die Aufgabe, den politischen Gegner ständig zu attackieren und ihn fortwährend in Mißkredit zu bringen. In den 50er Jahren erfolgte das noch undifferenziert, mit den Mitteln einer reichlich primitiven Schwarz-Weiß-Malerei. Alle Regierenden im gegnerischen Lager, vor allem die Repräsentanten der Bundesrepublik, wurden rücksichtslos angegriffen und quasi verteufelt: „Bonner Kriegstreiber“, „kalte Krieger“, „Bonner Ultras“, „Atomstrategen“ „Nazigeneräle.“

„Antifaschistischer Schutzwall“
Einer der ältesten und bekanntesten polemischen Begriffe der DDR-Medien ist der berühmt-berüchtigte „antifaschistische Schutzwall“. Er entstand als politische Rechtfertigung mit dem Bau der Mauer im August 1961. Nun hielt man zwar bis zuletzt an dieser Bezeichnung fest, wiederholte sie aber im Gegensatz zu anderen „zu Tode gerittenen“ sprachlichen Gebilden nicht zu oft offiziell. Der „antifaschistische Schutzwall“ („Wall“ gehört zu einer stilistisch höheren Ebene als „Mauer“) erlebte aber zumindest an den Jahrestagen des Mauerbaus immer wieder seine beabsichtigte Renaissance, und das auch noch 1989! Die DDR, so wurde suggeriert, habe sich vor einem quasi-faschistischen Feind nur durch ein solches Bollwerk schützen können. In Zeiten relativer Entspannung begnügte man sich mit sachlicheren Begriffen wie „Grenzsicherung“ und „Staatsgrenze“. Das Wort „Mauer“, sowohl in den westlichen Medien als auch in der DDR-Umgangssprache üblich, wurde nie offiziell verwendet. Es war eben „das Wort des Feindes“!

Sprache der Polemik von etwa 1965 bis 1980
Die Chef-Polemiker begannen zu lernen, daß allein mit einförmiger Holzhammer-Strategie nicht viel zu erreichen war, und das um so weniger, als nun – Mitte und Ende der 60er Jahre – der verhaßte Feind immer öfter auf der anderen Seite des Verhandlungstisches Platz nahm. Wurden gar einige gemeinsame Beschlüsse gefaßt, nannte man den Kontrahenten schon einmal ganz höflich „Bundeskanzler Brandt“. Der gleiche Herr wurde sonst – etwas distanziert – „BRD-Kanzler“ tituliert, im Falle einer ganz und gar unerwünschten Handlungsweise jedoch tauchte er in den Medien als „Bonner Kanzler“ auf. Man verließ sich auf die abschreckende Wirkung des Wortes „Bonn“, denn das war in der offiziellen „Sprache im Dienst“ seit Jahr und Tag ein „Hort des Bösen“.

Wenn der Gegner keine direkte persönliche Angriffsfläche bot oder eben gerade Verhandlungspartner war, nutzte man die Formel „gewisse imperialistische Kreise“. Diese Formel war sprachlich ganz geschickt gewählt und bot gleich mehrere Vorteile:
1. Sie blieb anonym und attackierte niemanden persönlich.
2. Sie konnte durchaus das Denken von vielleicht nicht wenigen DDR-Bürgern in die gewünschte Richtung lenken: „Monopolkapitalisten, Hintermänner, graue Eminenzen“.
3. Sie ermöglichte die Kontinuität der Polemik gegen das andere System auch in Zeiten politischer Entspannung.

Interessant war die wechselnde Bezeichnung der „Bundesrepublik Deutschland“. Die Medien in der DDR nannten sie höchst selten so. Als Reaktion auf die seit der Adenauer-Ära sehr strapazierte „Sowjetzone“, „Ostzone“ oder „Zone“ für „DDR“ entstand der Terminus „Westzone“, an dem man allerdings nicht sehr lange festhielt. Weitgehend standardisiert und bis zum Grundlagenvertrag benutzt wurde vielmehr „Westdeutschland“, und zwar sowohl polemisch als auch sachlich. In den 70er Jahren ersetzte man diesen Begriff durch den neuen Standard „BRD“, an dem man bis zum Ende der DDR festhielt, bot er doch verschiedene Vorzüge:
1. Diese Abkürzung war in der Bundesrepublik selbst nicht üblich, galt eher als verfremdet. Somit konnten sich die DDR-Medien sehr bequem vom Gegner abgrenzen.
2. Der Begriff ist scheinbar sachlich und kann – da parallel zu „DDR“ gebildet – auch als Anspruch auf die eigene (östliche) Gleichberechtigung interpretiert werden.
3. Man konnte, ebenfalls auf sehr bequeme Weise, den zeitweilig unerwünschten Begriff „deutsch“ vermeiden.

Einige wegen der parteiamtlichen Vermeidungstaktik in Bezug auf das Wort „deutsch“ verwirrte DDR-Bürger wandten sich zu Beginn der 70er Jahre in einem offenen Brief an Honecker mit der Frage, ob sie sich noch Deutsche nennen dürften. Damals muß den Genossen Ersten Sekretär ein menschliches Rühren überkommen haben, denn er antwortete ganz jovial: „Ja, ihr dürft, und ihr könnt sogar stolz darauf sein.“ Da sage noch einer, die hohen Herren aus Pankow und Wandlitz seien immer und überall nur strenge Dogmatiker gewesen …

Die Sprache der Polemik in den 80er Jahren
Im Jahre 1984 verletzte ein südkoreanisches Flugzeug den sowjetischen Luftraum und wurde abgeschossen. Soweit die Fakten. Aber mit diesen tat sich die „Sprache im Dienst“ unendlich schwer. Mit seltsamen sprachlichen Formeln wurde der unangenehme Ausgang des Flugzeugdramas so lange verschleiert, bis es nichts mehr zu verschleiern gab. Drei Tage lang schrieben die Medien: „Das fremde Flugzeug drehte ab und verschwand im Dunkel“. Da war sie wieder, die alte Taktik des Anonymen, ergänzt durch das ominöse, mit negativem Klang versehene „Dunkel“, in dem man auch den Leser ließ. Als die sprachliche „Nullösung“ auch infolge der westlichen Berichte unhaltbar wurde, rückte man erstmalig mit der Halbwahrheit heraus: „Es wurden Maßnahmen eingeleitet, um den Weiterflug zu unterbinden.“ Aha, mag sich der biedere DDR-Leser gesagt haben, da wird man wohl die Maschine zur Landung gezwungen haben. Die Westpresse aber ließ nicht locker, und so kam die – sozialistisch verbrämte – Fast-Wahrheit ans Tageslicht: „Die sowjetischen Sicherheitskräfte mußten das feindliche Flugzeug abschießen.“ Eine andere Lösung wurde nunmehr ausgeschlossen, die Bundesgenossen „mußten“ zur härtesten Maßnahme greifen, und das ließ sich moralisch rechtfertigen, ging es doch gegen den „Feind“.

Sprache fern der Wirklichkeit
In seiner Festansprache zum 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1989 erstieg Honecker – nun wirklich zum allerletzten Mal – die völlig realitätsfremd gewordenen luftigen Höhen einer Jubelsprache, die mit den Problemen des Lebens und der Krise von 1989 nichts mehr zu tun hatte. Sieben Adjektive wurden bemüht, den ziemlich maroden Staat DDR zu feiern. Und siehe: Klarheit und Weisheit der Parteibeschlüsse umleuchteten Erich, und er sprach: „Die DDR wurde zum weltweit geachteten, stabilen und dynamischen sozialistischen deutschen Staat mit moderner, leistungsfähiger Volkswirtschaft.“ „Stabil“ und „dynamisch“ waren dabei Synonyme der von Honecker geprägten Zauberformel von „Kontinuität und Erneuerung“.
Etwas müde klatschten die Genossinnen und Genossen. Jede und jeder wußte: Der letzte rhetorische Kraftakt des Saarländers ging ins Leere, denn das einzige der Wahrheit noch völlig entsprechende Adjektiv war „deutsch“.

Dr. phil. Albrecht Balzer war bis 2006 Hochschullehrer am Internationalen Hochschulinstitut Zittau und ist Vorstandsmitglied des Sprachrettungsklubs Bautzen, zuständig für internationale Zusammenarbeit mit Tschechien.
www.sprachrettungsklub.de

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