Zur deutschen Sprache
Die Sprache ist ein Bild der Seele ...
www.sprache-werner.info
Zur deutschen Sprache
Die Sprache ist ein Bild der Seele ...
www.sprache-werner.info
Sprache / Deutsche Sprachwelt DSW / Was Dieter mit Deutsch zu tun hat / Was Dieter mit Deutsch zu tun hat L
 

  < zurück erweiterte Suche Seite drucken
 

Was Dieter mit Deutsch zu tun hat
 Zur Geschichte des Wortes „deutsch“ (Teil 1) - Von Dagmar Rosenstock

Deutsche Sprachwelt AUSGABE 30 Winter 2007/08, S. 6
Abdrucke mit freundlicher Genehmigung der DEUTSCHEN SPRACHWELT

Deutschland wird als einziges Land in Europa nach einer Eigenschaft, nämlich seiner Sprache, benannt. Üblicherweise verhält es sich eher umgekehrt; die Sprachen heißen nach den Namen der Länder, in denen sie gesprochen werden. Wir kennen als unsere europäischen Nachbarn zum Beispiel Italiener, Spanier, Dänen, Engländer, Litauer, Russen, Polen, Tschechen und viele andere. Sie sprechen italienisch, spanisch, dänisch, englisch, litauisch, russisch, polnisch, tschechisch. Sie leben in Italien, Spanien, Dänemark (in der dänischen Mark), England, Litauen, Rußland, Polen, Tschechien („Tschechei“).

Niemand sagt „Englischland“, „Spanischland“ oder „Russischland“. Wir nennen uns auch selbst nicht „Deutschländer“ wie eine bekannte Würstchenmarke, sondern „Deutsche“, und der Name Deutschland trägt das Eigenschaftswort „deutsch“ bereits in sich. Abgesehen von der Problematik von Eigen- und Fremdbenennung ist es ohnehin eine spannende Frage, welche heutigen Staats- und Landesbezeichnungen auf wirklich alte Namen zurückgehen und was diese bedeuteten. Sie können geographisch geprägt sein, das heißt durch die Landesnatur (zum Beispiel Niederlande, Anatolien [von griechisch anatolç = Osten]), durch antike Völkernamen oder andere Vorstellungen (zum Beispiel Ägypten, Persien, Italien oder Spanien), oder erst in jüngeren Zeiten nach den Namen ihrer Bewohner benannt sein (zum Beispiel Frankreich, England, Dänemark, Polen, Schweden, Griechenland).

Deutsch und welsch

Deutschland erhielt hingegen seinen Namen nach der Sprache, nicht nach den Leuten. Die einzige analoge Bildung ist das völlig außer Gebrauch gekommene, im deutschen Sprachraum entstandene Wort „Welschland“, das die südlichen oder westlichen Nachbargebiete bezeichnete, in denen, abweichend vom Deutschen, ladinisch, italienisch oder französisch gesprochen wurde, eben „welsch“ im weiteren Sinne. Ursprünglich stand „welsch“ lediglich für gälisch (=keltisch/walisisch, vergleiche „Wales“ und „Wallis“), später eher für romanische oder südslawische Sprachen.

Im Norden und Nordwesten Europas nennt man uns Tyske, Duitse, in England Germans (die Engländer bezeichnen ihrerseits die Niederländer als the Dutch), im Westen und Südwesten Allemands/Alemans, in Italien Tedeschi, wobei unser Land jedoch „Germania“ heißt. Im Südosten bis hin zu den Arabern fächert sich die Bezeichnung für Deutsche in Alemannen, Franken, Schwaben und Sachsen auf (vergleiche Banater, Sathmarer oder Donauschwaben, Siebenbürger Sachsen), wobei das türkische „Almanya“ direkt aus dem Französischen als „Allemagne“ entlehnt sein dürfte. Bei den slawischsprechenden Völkern im ostmitteleuropäischen Raum sind die Deutschen die „Stummen“ oder „die unverständlich Redenden“ (nemet, nemeckij, nemci), vergleichbar den Barbaren („Brabblern“) im alten Griechenland. Das slawische Wort haben die Magyaren im Donauraum übernommen, denn auch im Ungarischen, einer nicht-indoeuropäischen Sprache, heißt „deutsch“ „német“.

Von „diutisk“ zu „deutsch“

Über „deutsch“, seine Wort- und Bedeutungsgeschichte, ist seit dem Erscheinen des Grimmschen Deutschen Wörterbuches um die Mitte des 19. Jahrhunderts sehr viel geforscht und geschrieben worden, und das nicht nur von Germanisten.(1) Im folgenden stelle ich aus den wissenschaftlichen Diskussionen um „deutsch“ einige wichtige Ansätze und Belege vor.

Schlagen wir in einem etymologischen Wörterbuch wie dem Kluge (2) zu „deutsch“ nach, so finden wir es als ein Eigenschaftswort, das von einem althochdeutschen Hauptwort „diot“ mittels der heute noch produktiven Anfügungspartikel -isk/-isch gebildet wurde, wie himmlisch, irdisch, kindisch, dänisch, polnisch, aber auch „welsch“. Die althochdeutsche Form des Eigenschaftswortes zu diot lautete „diutisk“, aus dem sich später über das Mittel- und Neuhochdeutsche in verschiedenen Schreibvarianten wie „tiutsch“, „teutsch“, „deudsch“ die heute gültige Form „deutsch“ durchsetzte. Im mittelalterlichen Altfranzösisch sind Formen wie „tiedeis“, „tiois“, belegt, die wahrscheinlich zu den im Westen des deutschen Sprachraumes vorkommenden Bezeichnungen „ditsch“ (zum Beispiel Elsässerditsch), „dütsch“ (zum Beispiel Schweizerdütsch), und letztlich auch zu englisch „dutch“ umgewandelt wurden.

Diet und Volk

Das Substantiv, von dem sich „diutisk“ ableitete, kommt allerdings in unserem heutigen Sprachgebrauch überhaupt nicht mehr vor. Theod/thiod, althochdeutsch diot, in mittelhochdeutscher Form diet, umfaßt etwa das Bedeutungsfeld „Stamm, Volksstamm, Volk, Volksgruppe, Volksversammlung“, möglicherweise auch „Gerichtsversammlung“ oder „Heer“. Es ist ein Wort alter Herkunft, dessen Wurzel weit in die europäische Vorzeit zurückreicht, wobei nicht nur die Kimbern und „Teutonen“, oder eine zur Zeit der römischen Republik belegte illyrische Königin „Teuta“, sondern sogar der durch die Asterix-Geschichten bekanntgewordene keltische Gott „Teutates“, oder die „Teutoburg“ in ihrem Waldgebirge zu den zwar nicht unmittelbaren, aber etymologischen Verwandten zählen.

Wenn ein aus dem Sprachschatz verschwundenes Wort in seiner ursprünglichen Bedeutung bestimmt werden soll, ist das schwierig, um so mehr, als auch synonyme, bedeutungsähnliche Wörter nie ganz genau ein und dasselbe meinen – sonst hätten sie sich gar nicht entwickeln können. Bei „diot“ klingt durchaus noch etwas Urtümliches an, das über „Volk“ hinausreicht.

Das so alltägliche „deutsch“ leitet sich von einem Begriff ab, den wir nicht mehr richtig fassen und für den wir heute nur „Volk“ sagen oder schreiben können. „Volk“ hat wiederum seine eigene Bedeutungsgeschichte, wobei die Art seiner Verwandtschaft mit slawisch „pulk“ („Schar“, „Volksmenge“) etymologisch ebensowenig sicher geklärt ist wie ein möglicher Zusammenhang mit lateinisch „vulgus“ oder gar mit „folgen, Gefolgschaft“, englisch „follow, folk“. Mit „völkisch“ hat die Geschichte von „deutsch“ überhaupt nichts zu tun.

Die „theodisca lingua“

Man kann das Wort diutisk, und damit auch seine mittellateinische Form theodiscus, oder die „theodisca lingua“, die für die Forschung geradezu zu Schlüsselbegriffen wurden, in ursprünglicher Bedeutung als „zur diot gehörig, volksüblich, volksgemäß“ übersetzen. Zwischen ursprünglicher Bedeutung und der Verwendung im Sprachgebrauch des 8. und 9. Jahrhunderts ist aber sorgfältig zu unterscheiden. „Theodiscus“ stand für eine Sprache. Das mittellateinische Wort ist in der Zeit zwischen 786 und 900 n. Chr. über vierzigmal in unterschiedlichen Schreibvarianten und Zusammensetzungen belegt und bezeichnet dabei fast immer die Sprache, und zwar in ihrem Gegensatz zum Lateinischen oder Romanischen. Die Frage, ob das Wort „theodiscus“ eine Neuprägung von Gelehrten aus der Karolingerzeit war oder ob man ein sowohl bei den Franken als auch bei den rechtsrheinischen Stämmen altbekanntes Wort nur durch das Anhängen der Endung latinisierte, hat die Forschung lange und kontrovers beschäftigt. Heute rechnet man wieder eher mit dem Altererbten.(3)

Luther bereits ohne „diet“

Im Laufe des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit im 14. und 15. Jahrhundert wurde das Substantiv thiod/diet immer seltener und kam allmählich außer Gebrauch. Es wurde nicht mehr benötigt, so daß das Eigenschaftswort „deutsch“ heute kein unmittelbar zu ihm passendes Hauptwort mehr hat. Im Nibelungenlied kommt diet noch mehrmals vor, bei Luther nicht mehr, und schon seit Kant und Goethe, und erst recht im heutigen Deutsch, ist es völlig verschwunden und durch „Volk“ und „Leute“ ersetzt worden. Diese Begriffe erfuhren dadurch auch eine Bedeutungserweiterung. Das Verschwinden des Begriffsfeldes „diet“ hat mit dem sozialen Wandel der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesellschaft zu tun und spiegelt indirekt die Verschiebung und Verfestigung des Begriffs „deutsch“ von der reinen Sprachbezeichnung hin zum Volks- und Landesnamen. Eine „diutsche diet“ ist nirgends belegt und wäre wohl auch einem Deutschsprechenden des späteren Mittelalters oder der frühen Neuzeit sehr seltsam vorgekommen, so unnötig wie ein „weißer Schimmel“.

Diet lebt in Namen weiter

Es hat sich aber dennoch etwas von thiod/diet erhalten, und zwar in Personennamen wie Dietrich (Theoderich, Theuderich), Dietlinde (Theodelinde, Theudelinde), Dietwulf (Theodulf), Dietmar (Thietmar), Detlev und anderen; dazu gehört indes nicht der griechische Theodor, der als „Geschenk Gottes“ gebildet wurde wie Isidor als „Geschenk der Isis“. Und in einer ganzen Reihe von Ortsnamen ist diet ebenfalls zu finden: wie in Dietkirchen an der Lahn oder in Dietfurt, wie mehrere Orte heißen (davon zwei an der Altmühl und einer an der Rott in Bayern), in Ditfurt an der Bode nördlich von Quedlinburg, in (Salz)detfurth in der Gegend von Hildesheim, oder im Namen einer ganzen Landschaft im heutigen Schleswig-Holstein – „Dithmarschen“.

Die Namen von Detmold, der Hauptstadt des Lipperlandes, oder von Kirch-, bzw. Rothenditmold im nördlichen Hessen, unweit von Kassel, können dabei für das Bedeutungsfeld von „thiod/diot/diet“ besonders wichtige Hinweise geben. So ist es in der Forschung unbestritten, daß der Name Detmold oder -ditmold auf „theotmallum/thiotmalli“ zurückgeht, was so viel wie „Volksgerichtsstätte“ bedeutet, wobei der Bestandteil „mallum“, zu -mold geworden, die Örtlichkeit selbst meint, den „Malberg“ oder Gerichtsplatz, der meist erhöht lag. Die Deutung als „Volksgerichtsstätte“ gilt auch für das nordfranzösische Timaux, das nach romanischen/französischen Lautgesetzen von „theotmallum“ zu seiner heutigen Gestalt umgeformt wurde. Wir finden in diesen Ortsnamen den Begriff für theod/thiod („Volk“, „Volksversammlung“) im Zusammenhang mit der Sphäre von Gericht und Rechtsprechung belegt – ein Forschungsansatz, der vor etwa fünfundsiebzig Jahren begründet und über den neuerdings wieder diskutiert wird. Das könnte ein Wegweiser zum Bedeutungsgehalt von theod/thiod sein, der in die vorgeschichtliche Zeit zurückreicht: seine Nähe zur formelhaften „Hohen Sprache“ der Rechtsfindung in altertümlichen schriftlosen Kulturen.

Die Menschen, die sich im siebten, achten oder neunten Jahrhundert im fränkischen Reich, in Thüringen oder Sachsen auf der Gerichtsstätte versammelten, waren nicht das „ganze Volk“ in seiner Menge mit allen dazugehörigen gesellschaftlichen Schichten, Unfreien, Frauen und Kindern, sondern repräsentierten denjenigen Teil des Volkes, der für die Rechtsprechung relevant war, der „etwas zu sagen“ hatte, und für den es wichtig war, zu wissen, was sich während der Gerichtsverhandlung zutrug.(4) Das kennzeichnet ältere Rechtsfindungsnormen und damit auch archaische Verfassungselemente.

Fortsetzung folgt.

Anmerkungen:
1 Als Einführung und Überblick, auch über ältere Literatur: Hans Eggers (Hrsg.), Deutsch als Volksname, Wege der Forschung 156, Wiss. Buchgesellschaft, Darmstadt 1970. Und: Hermann Jakobs, Theodisk im Frankenreich, Schriften der Phil.-Hist. Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 6, 2. Auflage, Heidelberg 1999.

2 Kluge-Goetze, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 24. Auflage, Berlin 2002.

3 Vgl. Thomas Klein, Zum Alter des Wortes „deutsch“. In: Wolfgang Haubrichs (Hrsg.), Deutsch – Wort und Begriff. Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik (LiLi) 24, 1994, Heft 94, Seite 12-25.

4 Eugen Rosenstock, Unser Volksname Deutsch und die Aufhebung des Herzogtums Bayern (1928) In: Hans Eggers (Hrsg.), Deutsch als Volksname, Wege der Forschung 156, Wiss. Buchgesellschaft, Darmstadt 1970, Seite 32-102.

Kostenloses Probeexemplar der Zeitschrift

zum Buchdienst der Deutschen Sprachwelt



zum Seitenanfang < zurück Seite drucken