Zur deutschen Sprache
Die Sprache ist ein Bild der Seele ...
www.sprache-werner.info
Zur deutschen Sprache
Die Sprache ist ein Bild der Seele ...
www.sprache-werner.info
Gehirn - Geist / Artikel Übersicht / 102. X-Die Freiheit, auch anders
 

  < zurück erweiterte Suche Seite drucken
 

Die Freiheit, auch anders zu können
von Maximilian G. Burkhart

 

Bestimmt das Denken das Handeln oder nicht doch das Handeln das Denken?
Neueste neurobiologische Erkenntnisse scheinen zu belegen, dass der freie
Wille des Menschen bloß ein frommer Wunsch ist. Bedeutet dies das Ende des
philosophischen Freiheitsbegriffes, wie ihn etwa Kant formuliert hat? Oder
können wir doch frei sein, auch unter den Bedingungen des Determinismus? Der
Philosoph Professor Thomas Buchheim hat sich der Frage angenommen.

Hirnforschung und Willensfreiheit: Unsere Verhaltensweisen, Gefühle und
Gedanken, ob nun bewusst oder unbewusst, lassen sich auf neuronale Signale
im Gehirn zurückführen. Grafik:: Hochschule Zittau/Görlitz  Der Denker von
Auguste Rodin (1840-1917).Die Freiheit des denkenden Menschen: Freiheit ist
ein Phänomen, das sozial konstituiert ist. Menschen sind nicht schlechthin
frei oder unfrei, sondern werden frei oder unfrei im Laufe ihrer
Entwicklung. Dabei entfaltet sich höchste Freiheit in der künstlerischen
Betätigung, so Thomas Buchheim. Bild: akg Freiheit ist ein Hirngespinst,
denn „keiner kann anders, als er ist“. Mit dieser provokanten These hat der
Neurobiologe Professor Wolf Singer in einem Artikel der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung der Philosophie den Fehdehandschuh hingeworfen.
„Freiheit ist die Freiheit, auch anders zu können.“ Man hat sie aber nicht,
sondern erwirbt sie, hält der Münchener Philosoph Professor Thomas Buchheim
dagegen. Unsere Verhaltensweisen, Gefühle und Gedanken, ob nun bewusst oder
unbewusst, lassen sich auf neuronale Signale im Gehirn zurückführen, die
festverschalteten Bahnen folgen. Darin sind sich Thomas Buchheim und Wolf
Singer einig. Doch Wolf Singer zieht radikale Schlussfolgerungen. Bewusste,
freie Handlungen unterscheiden sich in keiner Weise von automatisierten
Tätigkeiten, so seine These. Ob der Mensch nun atmet, schwitzt oder
nachdenkt, stets ist er nur eine Maschine, die ihrer Befehlszentrale im Kopf
gehorcht. Die Aufsätze von Wolf Singer und Thomas Buchheim in der F.A.Z. sind
Teil eines wissenschaftlichen Schlagabtauschs, der nun gesammelt unter dem
Titel Hirnforschung und Willensfreiheit im Suhrkamp-Verlag erscheint. Großen
Widerspruch hat Wolf Singers Position hervorgerufen. Viele Verteidiger der
Freiheit berufen sich auf den Philosophen und Aufklärer Immanuel Kant, auf
dessen Freiheitsbegriff letztlich die Idee der allgemeinen Menschenrechte
gründet. Unsere Werte und unser ethisches Verhalten haben ihren Ursprung in
der Freiheit, behauptet Immanuel Kant in der Kritik der praktischen
Vernunft. Sich ethisch richtig zu verhalten sei nur der Mensch in der Lage,
da er über einen freien Willen verfüge und somit frei sei von inneren und
äußeren Zwängen. Die Philosophie bezeichnet diese Position als
Indeterminismus. Die Freiheit des Willens wird freilich dadurch erkauft,
dass Immanuel Kant die Natur zu einer „bloßen Erscheinung“ degradiert.
Thomas Buchheim dagegen hält – ebenso wie die Naturwissenschaften – die
Natur für genauso real wie den Menschen selbst.

Nietzsche: der freihandelnde Mensch ist eine Fiktion

Im 19. und 20. Jahrhundert wurde der freie Wille von verschiedenen Seiten in
die Zange genommen. Für Karl Marx stehen Entscheidungen immer im
Zusammenhang mit ökonomischen Prozessen. Freiheit verspricht er sich erst
durch die kommunistische Revolution. Sigmund Freud sieht allerlei Triebe und
Zwänge im Inneren des Menschen wirken. Er entdeckt das Unbewusste und
zerstört damit den Glauben an die freie und rationale Entscheidungsfähigkeit
des Menschen. Am radikalsten hat Friedrich Nietzsche die Ideen von Freiheit
und freiem Willen kritisiert.

Derart selektiv und gesteuert sei unsere Wahrnehmung, dass von rationalen
oder gar freien Entscheidungen keinesfalls gesprochen werden könne. Als
allenfalls instinktgesteuert seien menschliche Handlungen zu erklären, der
freie Mensch somit eine Fiktion. Dies entspricht der philosophischen
Position des Determinismus. Wolf Singers Thesen sind also nicht wirklich
neu, sie bekommen nur ein neurobiologisches Fundament. Die Philosophie hat
bisher mit zwei unterschiedlichen Ansätzen versucht, der Kritik des
Determinismus zu begegnen. Der so genannte Kompatibilismus versucht,
Determinismus und Freiheit zu versöhnen. Der Kompromiss geht jedoch zu
Lasten der Freiheit, denn der Kompatibilismus negiert grundsätzlich die
Möglichkeit alternativen Handelns. Hat aber ein Mensch in einer bestimmten
Situation nicht die Wahl, sich anders zu entscheiden, dann hat er gar keine
Wahl. Die Möglichkeit zu wählen ist ein entscheidendes Merkmal von Freiheit.
Die Gegenposition zum Kompatibilismus vertritt der Libertarismus, der
emphatisch die Wahlmöglichkeit bejaht. Doch kann der Libertarismus nicht
erklären, warum Entscheidungen auch notwendig und nicht nur rein zufällig
getroffen werden. Wenn Entscheidungen nicht gewissen Regeln folgen, sind sie
zufällig. Zufall aber ist das Gegenteil von Freiheit, denn Zufall bedeutet
Willkür. Eine freie Willensentscheidung erfolgt nicht aus purer Laune,
sondern ist stets begründet.

Der „libertarische Kompatibilismus“

Thomas Buchheim, Leiter einer von der Thyssen-Stiftung geförderten
Forschergruppe, verfolgt in einer Reihe von Aufsätzen einen radikal neuen
Ansatz, den er „Libertarischer Kompatibilismus“ nennt. Schon der Titel weist
den Weg: Thomas Buchheim will Determinismus und Libertarismus vereinen.
Nicht den Determinismus an sich bestreitet er, sehr wohl aber wendet er sich
gegen den so genannten physiko-kausalen Determinismus. Diese rigide Form des
Determinismus liegt dem Weltbild der modernen Naturwissenschaften zugrunde
und behauptet die universelle Gültigkeit der Naturgesetze auch jenseits der
Physik. Die Naturgesetze beschreiben das Verhalten von Körpern. Da sich aber
alle Geschehnisse im Universum an Körpern vollziehen, seien die Naturgesetze
gleichzeitig die Gesetze aller Geschehnisse. Jedes Ereignis und damit auch
menschliche Entscheidungen und Handlungen seien durch allgemeingültige
Gesetze bestimmt und entsprechend beschreibbar. Der physiko-kausale
Determinismus zielt auf die Weltformel, die alle bekannten und bislang
unbekannten Naturgesetze in sich vereine und die jeden Zustand und jedes
Ereignis beschreiben könne. Dass alle Körper, auch die menschlichen, zum
Beispiel dem Gesetz der Schwerkraft unterliegen, ist hinlänglich bekannt.
Ein Astronaut kann die Folgen der Schwerkraft überwinden, das Gesetz der
Schwerkraft jedoch niemals brechen. Dem strengen Determinismus zufolge
unterliegt der Astronaut nicht nur der Schwerkraft, er hat auch keine Wahl,
ob er die Rakete besteigt oder nicht. Sein Verhalten ist durch seine
neuronalen Verknüpfungen im Gehirn bestimmt.

Auch Thomas Buchheim nimmt an, dass die Welt grundsätzlich determiniert ist.
Dass jeder menschlichen Handlung irgendein Gesetz zugrunde liegt, ist
durchaus möglich. Entscheidend ist nur, wie Gesetz definiert wird. Für die
Naturwissenschaften gelten nur die Naturgesetze. Diese sind zu jeder Zeit
und an jedem Ort für jeden und alles gültig. Für den Determinismus aber ist
eine derart eingeengte Gesetzesdefinition gerade auch im Bereich des
menschlichen Handelns weder nötig noch zutreffend. Denn Naturgesetze zwingen
nicht, sie beschreiben lediglich, wie sich bestimmte Dinge verhalten. Anders
als Vögel sind Menschen von Natur aus flugunfähig. Der Mensch kann aber
Flugzeuge erfinden. Diese menschliche Eigenschaft wird von den Naturgesetzen
überhaupt nicht erfasst. Der physiko-kausale Determinismus reduziert den
Menschen auf seine physikalischen Aspekte. Freiheit jedoch ist keine
physikalische Eigenschaft, so Thomas Buchheim. Menschliche Entscheidungen
gründen in Gedanken, die neurobiologisch als elektrische Impulse des Gehirns
beschrieben werden. Der physiko-kausale Determinismus schließt daraus die
Gültigkeit der engen Naturgesetze auch für das Denken. Thomas Buchheim
verweist jedoch darauf, dass die physikalische Bestimmtheit des Denkens eben
keinen Rückschluss auf das Bestimmtsein der Gedanken erlaubt, denn
Neuronenprozesse sind keine Gedanken. Diesem klassischen Denkfehler
unterliege auch Wolf Singer.

„Denken und Handeln verhalten sich zueinander wie Ton und Melodie“,
veranschaulicht Thomas Buchheim seine These. Der Ton wird physikalischen
Gesetzen gemäß erzeugt, die Melodie gehorcht kompositorischen Regeln. Die
Regeln der Komposition kann die Physik allerdings nicht vollständig
beschreiben, hebt der Münchener Philosoph hervor. Die Gesetze der Melodik
beeinflussen beispielsweise auch Gewohnheiten und Erwartungen der Hörer.
Jeder Ton einer Melodie wird immer eine Schallwelle bleiben und
physikalischen Gesetzen gehorchen. Alle Melodien hingegen sind einzigartig
und folgen ihren eigenen Gesetzen, so Thomas Buchheim weiter. Gesetze können
also durchaus einmalig sein, denn auch ein Gesetz, das nur einen einzigen
möglichen Fall regelt, ist ein Gesetz. Er plädiert daher für einen
Gesetzesbegriff, wie ihn Franz Kafka in seiner berühmten Türhüter-Novelle
beschrieben hat. Dort heißt es: „Alle streben doch nach dem Gesetz“, sagte
der Mann, „wie kommt es, daß in den vielen Jahren niemand außer mir Einlaß
verlangt hat?“ Der Türhüter antwortet ihm: „Hier konnte niemand sonst Einlaß
erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und
schließe ihn.“ Dass allen Handlungen irgendein Gesetz zugrunde liegt,
scheint Thomas Buchheim durchaus möglich, da potentiell unendlich viele
Gesetze existieren. Diese sehr viel weiter gefasste Gesetzesdefinition
erlaubt es auch, alternative Möglichkeiten zu denken. Melodien werden immer
auf physikalisch beschreibbaren Tönen beruhen. Die Freiheit des Künstlers
liegt dann darin, die Regel seiner einzigartigen Melodie zu finden.

Der Mensch ist in einem bestimmten Grade frei

Sinnvoll anwenden lässt sich der Begriff Freiheit laut Thomas Buchheim immer
nur in Bezug auf menschliches Handeln. Ein abstürzender Komet könne ebenso
wenig frei genannt werden wie ein jagender Löwe. Zur Bestimmung von Freiheit
bedürfe es also einer weiteren Komponente. In den Blick komme hier der
Träger der Freiheit, der Mensch, oder – philosophisch gesprochen – das
Subjekt. Die Theorie vom freien Subjekt liefert klassischerweise der
Indeterminismus. Determinismus und Indeterminismus in ihrer strengen
Ausprägung schließen sich aber gegenseitig aus. Daher greift Thomas Buchheim
auf einen alternativen Freiheitsbegriff zurück, der sich mit dem
eingeschränkten Determinismus verbinden lässt. Er folgert daraus einen auf
den ersten Blick irritierenden Begriff von Freiheit. Freiheit denkt der
Münchener Philosoph, anders als etwa Immanuel Kant, nicht absolut. „Der
Mensch ist nicht einfach frei, sondern er ist es mehr oder weniger, er ist
in einem bestimmten Grade frei“, erläutert er. Keine absolute Eigenschaft
sei Freiheit, folgert Thomas Buchheim, sondern eine Qualität. Ein
schwitzender Mensch zum Beispiel habe nicht die Freiheit, nicht zu
schwitzen. Das Schwitzen als körperliche Reaktion könne der menschliche
Wille nicht beeinflussen. Also müsse der Mensch in diesem Punkt unfrei
genannt werden. Mit dem Träumen sehe es dagegen etwas anders aus. Zwar werde
das Träumen nicht bewusst gesteuert, dennoch ist der Wille am Träumen
beteiligt. Dem Träumen komme ein höherer Grad an Freiheit zu als dem
Schwitzen. Wiederum etwas größerer Freiheit muss der Entscheidung, eine
Weltraumrakete zu besteigen, zugesprochen werden. Höchste Freiheit aber
entfalte sich in der künstlerischen Betätigung. Freiheit lässt sich also als
steigerungsfähige Eigenschaft beschreiben, so der Münchener Philosoph, es
ist ein qualitativer Freiheitsbegriff.

Um den möglichen Grad von Freiheit bestimmen zu können, legt er fünf
Kriterien fest: Freie Handlungen müssen begangen, gekonnt und überlegt sein,
außerdem müssen sie platziert und gebilligt werden. Das erste Kriterium
erklärt sich von selbst. Handlungen, die nicht von einem Individuum begangen
werden, sind keine Handlungen. Auch Handlungen, zu denen der Mensch nicht
prinzipiell fähig ist, erfolgen nicht frei, da sie nur zufälligerweise
glücken. Das gilt zum Beispiel für das Fliegen, bevor die Gebrüder Wright
ihren Flugapparat erfanden. Auch unüberlegte und nicht platzierte Handlungen
sind unfrei, denn ein möglicher Erfolg resultiert nicht aus dem freien
Spiel, sondern aus purem Zufall. Schlussendlich müssen freie Handlungen auch
gebilligt und das heißt gewollt sein. Höchste Freiheit beim Tanzen etwa
erwirbt man nur freiwillig und nicht durch den Zwang von ehrgeizigen Eltern.
Dabei spielt es interessanterweise keine Rolle, ob die Handlungen im vollen
Sinne bewusst vollzogen werden. Je weniger der Tänzer über seine Schritte
nachdenkt, desto vollendeter tanzt er und desto freier ist er in diesem
Moment auch.

Auch wenn der Freiheitsbegriff des „Libertarischen Determinismus“ auf den
ersten Blick sehr ungewöhnlich erscheint, so eröffnet er doch große Chancen
für die Geistes- wie für die Naturwissenschaften. Freiheit ist immer die
Freiheit, auch anders zu können, so Thomas Buchheim. In einer Zeit, in der
die Menschen Gesetzen, Zwängen und auch Ängsten zunehmend ohnmächtig
gegenüberstehen, ist dies eine wichtige Erkenntnis. Die Erkenntnisse aus
biologischer Forschung haben das Selbstbild des Menschen in den letzten 100
Jahren nachhaltig verändert. Dennoch können sie zentrale menschliche
Vermögen und Eigenschaften wie Willen und Freiheit nicht erklären. Es bleibt
die Aufgabe der Philosophie, menschliche Tugenden und Werte vor einer
‚feindlichen Übernahme’ durch ein mechanistisches Weltbild zu bewahren. Dies
kann immer nur im interdisziplinären Gespräch mit den Human- und
Naturwissenschaften erfolgen. Thomas Buchheim hat zu einem solchen Gespräch
über Freiheit eingeladen. Ob die Forscher aus den angesprochenen
Wissenschaftsfeldern der Einladung folgen oder nicht, bleibt ihnen
überlassen. Sie haben schließlich die Wahl.
Leserbrief

(Bild) Prof. Dr. Thomas Buchheim ist seit 2000 Professor für Philosophie an
der LMU. Er ist Mitherausgeber des philosophischen Jahrbuchs der
Görresgesellschaft und Mitglied der Kommission zur Herausgabe der Schriften
Schellings. Seit 2004 ist er Dekan der Fakultät für Philosophie,
Wissenschaftstheorie und Religionswissenschaft.
thomas.buchheim@lrz.uni-muenchen.de

http://www.thomas-buchheim.de/freiheit.htm

 



zum Seitenanfang < zurück Seite drucken