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Warum die feurige Giuliana über ein Sprachgesetz nachdachte
Die DEUTSCHE SPRACHWELT bei der Bild-Zeitung zur Blattkritik
Von Thomas Paulwitz

Deutsche Sprachwelt AUSGABE 24 Sommer 2006, S. 10
Abdruck mit freundlicher Genehmigung der DEUTSCHEN SPRACHWELT

 

„Das kommt mir fast so vor, als sollte sich ein Gourmet-Kritiker des Guide Michelin zu McDonald’s äußern“, sagte ein Bekannter, als er erfuhr, daß die Bild-Zeitung mich zur Blattkritik eingeladen hatte. Tatsächlich ist „Bild“ nichts für die Feinschmecker der deutschen Sprache. Hastig wie bei einem Schnellimbiß muß der Leser an knochendürren Sätzen knabbern und klotzige Überschriften verdauen. Dennoch ist die Zeitung mit rund zwölf Millionen Lesern die größte Tageszeitung Deutschlands und prägt wie keine andere die öffentliche Diskussion und damit auch stark den Sprachgebrauch der Deutschen. Die Bild-Schlagzeile „Wir sind Papst“ ist zum geflügelten Wort geworden.

Der Tag der Blattkritik war am 9. Mai, dem 201. Todestag Friedrich Schillers. So begleitete mich der Geist des großen Dichterfürsten in die Redaktion der Bild-Zeitung. Die Vorbereitungszeit war knapp. Erst um 22 Uhr des Vorabends brachte mir ein Kurier die Druckfahnen, denn ich sollte die aktuelle Ausgabe unter die Lupe nehmen. Immerhin hatte ich zwölf Stunden Zeit, die Nacht eingerechnet. Um 10 Uhr vormittags begann die telefonische Konferenz, die BILD-Herausgeber und Chefredakteur Kai Diekmann leitete. Sämtliche 21 BILD-Redaktionen waren zugeschaltet, so daß eine dreistellige Zahl von Redakteuren zuhörte. Es wäre schade, sich eine solche Gelegenheit entgehen zu lassen. Sogleich hatte ich das Wort, das ich eine knappe Viertelstunde lang nicht mehr hergab.

Zuerst dankte ich für die Einladung, denn es spricht für die Bild-Zeitung, daß sie sich um die Qualität ihrer Sprache Gedanken macht. Ich kündigte eine Prüfung anhand bestimmter Qualitätskriterien an. Dabei ging ich in einer ersten Stufe auf grundsätzliche Dinge wie Rechtschreibung, Zeichensetzung und Grammatik ein, deren Beachtung Pflicht ist. In der zweiten Stufe behandelte ich die Dinge, die einen Text ansprechend machen. Eine vollständige Wiedergabe meiner Kritik würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen, die wichtigsten Punkte will ich dennoch aufzählen.

Ich lobte die Anwendung der traditionellen Qualitätsrechtschreibung, fand aber ein paar kleinere Fehler, die sich aufgrund der Reform eingeschlichen hatten („er hat Schuld“, „Stress“). Bei der Zeichensetzung stieß ich mich vor allem an den zahlreichen! überflüssigen! Ausrufezeichen!, die wie ein Schilderwald den Leser erschlagen und überfordern. Schriftarten und Schriftgrößen purzeln munter durcheinander, was ebenfalls für den Leser sehr anstrengend ist. Die Grammatik war weitgehend fehlerfrei, mir fielen lediglich falsche Konjunktive bei indirekter Rede auf. Ab und zu kommt es vor, daß ein Satz unvollständig ist, weil zum Beispiel ein Tätigkeitswort fehlt.

Bandwurmwörter sind verständlicherweise eine Seltenheit in der Bild-Zeitung. Dafür fiel mir der übermäßige Gebrauch von Bindestrichen auf. Warum ist das schlecht? Der Leser nimmt ein Wort, und damit den Begriff, nicht mehr als Ganzes wahr. Wenn dann noch die einheitliche Schreibweise fehlt, wird es vollends chaotisch: „Mehrwert-Steuer“, „Mehrwertsteuererhöhung“,  „Mehrwertsteuer-Erhöhung“. Lobend vermerkte ich, daß schwierige Begriffe wie „Pilates“ erklärt werden. Dennoch mußte ich die große Zahl überflüssiger Anglizismen rügen: „Cover“ statt Titelblatt, „Label“ statt Aufkleber, „Tickets“ statt Eintrittskarten. „Speedboot“ ist doppelt ärgerlich, da englisch „boot“ auf deutsch „Stiefel“ heißt. Siebenmeilenstiefel waren aber nicht gemeint, sondern ein Rennboot.

Des weiteren beanstandete ich den hohen Anteil an Hauptwörtern und einen Mangel an Tätigkeitswörtern, was alles dem Zwang zur Knappheit geschuldet ist, aber eben die Lebendigkeit beeinträchtigt. Aufgrund der vorgeschriebenen Platzknappheit lassen sich auch Passivkonstruktionen nicht immer vermeiden (wird verteilt, werden angeboten, wurde gerettet und so weiter). Dafür ist die Informationsdichte sehr hoch. Ab und zu freut sich der Leser über Wortspiele und Stilmittel, zum Beispiel Stabreime („herrlich hüllenlos“), mit denen man es freilich auch übertreiben kann: „picke-packe-volles Protz-Party-Programm“.

Bild-Chefredakteur Kai Diekmann dankte und nahm zu einigen Kritikpunkten Stellung. Er freute sich, daß die Grammatik in der untersuchten Zeitungsausgabe weitgehend fehlerfrei war. Er setzte sich dafür ein, die Zahl der Anglizismen gering zu halten, bat aber um Verständnis, daß bestimmte englische Ausdrücke wegen ihrer Kürze für Schlagzeilen handlicher seien. Auf die Rückkehr zur Rechtschreibreform ging Diekmann leider nicht ein.

Inwiefern mein Vortrag Spuren hinterlassen hat, ist nicht einfach zu beurteilen. Allerdings veranlaßte er die Bild-Redaktion offenbar, sich mit dem Schutz der deutschen Sprache zu beschäftigen. Am folgenden Tag (10. Mai) veröffentlichte „Bild“ nämlich die Forderung der CDU-Politikerin Erika Steinbach nach einem Gesetz zum Schutz der deutschen Sprache. Steinbach hatte vor kurzem die von der DEUTSCHEN SPRACHWELT angestoßene „Selbstverpflichtung zu gutem Deutsch“ unterzeichnet (siehe Seite 4). Selbst das spärlich bekleidete Mädchen auf der Titelseite machte sich seine Gedanken über ein Sprachgesetz: „Ein Gesetz zum Schutz der deutschen Sprache? Der feurigen Giuliana (20) ist das total egal!“

Der Sprachliebhaberin Steinbach ist es aber nicht egal. Sie sagte der Bild-Zeitung: „Englisch verdrängt in vielen Lebensbereichen immer mehr die deutsche Sprache. Aber 30 Prozent der Deutschen sprechen gar kein Englisch. Sie schämen sich nur, das zuzugeben. Sie werden ausgegrenzt. Deshalb fordere ich ein Gesetz zum Schutz der deutschen Sprache. Ich habe dabei viele Unterstützer in der Fraktion. Produkte, die in Deutschland verkauft werden, müssen auch deutsch beschriftet sein. Genauso Schilder auf Flughäfen, in Bahnhöfen etc. ‚Sale‘ muß wieder ‚Schlußverkauf‘ heißen, ‚on‘ und ‚off‘ am Radio wieder ‚an‘ und ‚aus‘.“

Steinbachs Vorstellungen sind ähnlich in den sprachpolitischen Forderungen der DEUTSCHEN SPRACHWELT zu finden. Dort heißt es: „Jede öffentlich angebrachte Aufschrift, Anzeige oder Mitteilung, die der Unterrichtung der Öffentlichkeit dient, muß in deutscher Sprache abgefaßt sein.“ Und: „Werbung und Beschreibung von Gütern, Erzeugnissen oder Dienstleistungen haben in deutscher Sprache zu erfolgen. Das gilt auch für Gebrauchsanweisungen, Bedienungsanleitungen, Gewährleistungsbedingungen, Rechnungen und Quittungen.“

Unterstützung erhielt Steinbach von CSU-Generalsekretär Markus Söder. Gegenüber „Focus Online“ forderte er, Deutsch als „Staatssprache“ im Grundgesetz zu verankern: „Deutsch ist die Grundvoraussetzung für das Zusammenleben in unserem Land. Wir brauchen ein sichtbares Signal, daß die deutsche Sprache oberstes Ziel aller Integrationsbemühungen sein muß“. Deshalb sei eine Verfassungsänderung notwendig.

Ohne nähere Einzelheiten des von Steinbach geplanten Gesetzentwurfs zu kennen, haben die vom Staat bezahlte „Gesellschaft für deutsche Sprache“ und die Duden-Redaktion reflexartig die Vorschläge Steinbachs abgelehnt. Ebenso oberflächlich geht die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, Petra Pau, mit der Anregung Steinbachs um. Pau leugnete das Sprachenproblem und forderte ironisch eine „konsequente Deutschschreibpflicht“: „Die Boulette (französisch) müßte dann Fleischklopsbratling heißen, das Labor (lateinisch) Prüfraum, das Baby (englisch) Kleinstkind, die Sauna (finnisch) Schwitzkasten und Lafontaine (Linkspartei) Spritzbrunnen oder Quelle.“ Dabei hatte sich gerade Oskar Lafontaine des öfteren, auch in der DEUTSCHEN SPRACHWELT (DSW 20, Seite 7), für einen besseren Schutz der deutschen Sprache ausgesprochen.

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