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Gehirn - Geist / Artikel Übersicht / 1a. X-Glaube ist angeboren
 

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Glaube ist angeboren
 Von Birgitte Svennevig

Illustrierte Wissenschaft - Nr. 6 - Juni 1999
 

Ob religiös oder nicht - darüber entscheidet unser genetisches Erbe. Getrennt voneinander aufwachsende Zwillinge entwickeln sich oft zu Glaubensgenossen. Jetzt glauben Genetiker zu wissen, daß unsere religiösen Gene maßgeblich zum Erfolg der menschlichen Rasse beigetragen haben.

Zwillingsstudien zeigen, daß Religion in den Genen verankert ist. Forscher schätzen, daß für unseren Glauben unser genetisches Erbe mindestens so wichtig ist wie es  Umweltenflüsse sind.

Für unsere Vorfahren sei Nächstenliebe sehr nützlich gewesen. Sie habe die Zusammenarbeit innerhalb es Stammes gefördert und Konfliktpotentiale abgebaut – wichtige Punkte im menschlichen Überlebenskampf.

Einige Menschen seien religiös, andere nicht. Das wäre schon immer so gewesen, meint Svennevig. Bisher habe die Forschung angenommen, daß speziell Erziehung und Lebenserfahrung für den Glauben ausschlaggebend sind. Jetzt zeigten neue Untersuchungen, daß auch unsere Gene mitreden.

Die seit 30 Jahren dauernden Studien unserer Gene gäben Aufschluß über den Zusammenhang von Krankheit, Anatomie und Erbanlagen. Seit einigen Jahren hätten sich Verhaltensgenetiker in die Diskussion eingeschaltet und darauf verwiesen, daß Phänomene wie Alkoholismus, Homosexualität oder Depressionen einen genetischen Ursprung haben können.

Unser Glaube sei ebenfalls in den Genen verankert, sagen einzelne Forscher. Die beiden Psychologen David Lykken und Thomas Bouchard von der Minnesota-Universität, USA, untersuchten zusammen mit Genetikern erwachsene Zwillingspaare. Ihr Interesse: Haben Zwillinge, die getrennt voneinander aufwachsen, später den gleichen Zugang zur Religion?

Gene setzen sich durch
Zwillinge seien für die Forschung unverzichtbar, wenn man den sozial und erblich bedingten Einfluß auf das allgemeine Verhalten und auf Krankheiten ermitteln will.

Eineiige Zwillinge seien ein von der Natur initiiertes Experiment, beide Individuen sind genetisch völlig identisch. So könnten Forscher die sozialen und erblichen Faktoren nur auseinanderhalten, wenn zwei eineiige Zwillinge in verschiedenen Familien aufwachsen. Im Gegensatz zu eineiigen Zwillingen seien zweieiige genetisch so verschieden wie normale Geschwister. Dies mache den Unterschied von eineiigen und zweieiigen Zwillingen für die Forschung interessant.

„Man sollte glauben, daß in verschiedenen Familien aufwachsende Zwillinge vom jeweiligen Umfeld beeinflußt werden und ihr religiöses Weltbild dem der Adoptivfamilie angleichen. Lykken und Bouchard wiesen nach, daß dies nicht immer der Fall ist.“ Oft ständen sich die Zwillingspaare in Glaubensfragen nahe, auch wenn sie nie Kontakt hatten.

Um die Bedeutung der Gene zu unterstreichen, zeige die Untersuchung, daß getrennt aufwachsende eineiige Zwillinge eher Glaubensgenossen werden als zweieiige, die bei der Geburt getrennt wurden. Mit diesem Wissen hätten Forscher ermittelt, daß nur etwa die Hälfte dessen, was uns zu gläubigen Menschen macht, auf sozialen Einflüssen beruht - der Rest sei genetisch bedingt.

Glaube sei ein dehnbarer Begriff. Deshalb müßten sich die Zwillingspaare fünf Tests stellen, bei denen u. a. gefragt wurde, wie sie über religiösen Fundamentalismus denken, ob sie sich zum Geistlichen ausbilden lassen oder als Missionar arbeiten würden, ob sie an der Kirchenarbeit  bzw. am kirchlichen Lesekreis teilgenommen hätten und ob sie Kirchgänger seien.

Man frage sich, ob die Natur ein Interesse an einem genetisch bedingten Glauben gehabt haben könnte und ob es für diese Gene überhaupt eine vernünftige Erklärung gibt. In der großen Evolutionsperspektive gebe es sie. Wie bei allen anderen Arten gelte auch hier die Regel, daß bei der natürlichen Auslese nur die stärksten Gene überleben konnten. Also müsse es mit den Glaubensgenen, die im Laufe der menschlichen Evolutionsgeschichte entstanden, irgendeine Bewandtnis gehabt haben.

Glaube erzeugt Liebe und Haß
Verhaltensgenetiker würden das Phänomen so erklären: „Im Zuge der Evolution entstanden kleinere Völkergemeinschaften. Der mit einer Intelligenz ausgestattete Mensch eignete sich immer mehr Wissen und Fertigkeiten an, was jedesmal neue Herausforderungen an den Verstand mit sich brachte.“

Halt hätten die Stammesmitglieder in heiligen Riten, Mannesproben und anderen religiösen Handlungen gefunden. Zugleich habe der Glaube ihren Geist gestärkt. „Noch heute gründen sich die meisten Kulturen auf Begriffe wie Ordnung und Stabilität, Hoffnung und Trost, Gerechtigkeit und der Aussicht auf eine glorreiche Ewigkeit nach dem Tod. Alles Glaubensansätze, mit denen auch der frühe Mensch besser durchs Leben kam - und die Fortführung der Art gesichert war.“

Die insgesamt etwa 100.000 Religionen der Welt seien ein klares Indiz dafür, daß der Mensch das Bedürfnis hat, an etwas zu glauben. Der Glaube an Gott habe es den Stammesmitgliedern erleichtert, einen aus ihren eigenen Reihen als Oberhaupt zu akzeptieren. Aus Sicht der Evolution sei dies für die Menschenrasse von Vorteil gewesen. Der Stamm habe unter einem Stammeshäuptling klare Strukturen erhalten, aus denen mit der Zeit eine Gesellschaft bzw. eine Zivilisation entstand.

Der Begriff der Nächstenliebe fließe in die meisten Religionen ein. Diese Eigenschaft habe sich unseren Vorfahren als nützlich erwiesen. Ein bestimmtes Maß an Selbstlosigkeit und die Fähigkeit, sich in die Gefühle anderer hineinzuversetzen, hätten die Zusammenarbeit innerhalb des Stammes gefördert, Konfliktpotentiale wurden abgebaut - klare Pluspunkte im allgemeinen Überlebenskampf. Kein Wunder also, daß gerade diese Eigenschaften über Generationen weitervererbt worden seien.

Über die religiösen Gene gebe es jedoch nicht nur Positives zu berichten. Über Jahrhunderte hätten Religionskriege Millionen Opfer gefordert, täglich kämen neue hinzu. Verhaltensgenetikern zufolge habe der Mensch eine religiöse Intoleranz entwickelt, weil sie den Angriff auf Stämme, die einen anderen Glauben vertraten, rechtfertigt. Auch hier gelte die Regel, daß nur der Stärkste überlebt.

Genau wie Fürsorge und Menschlichkeit seien demnach auch Haß und Brutalität Teil unseres religiösen Erbes. Daß unser Glaube genetisch programmiert sei, schließe jedoch keineswegs aus, daß im Namen Gottes unaussprechliches menschliches Leid erzeugt wird. Für manche Menschen sicherlich ein Grund, den wirklichen Nutzen der religiösen Gene ernsthaft zu hinterfragen. 

 



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