Die Konferenz der deutschen Kultusminister will Anfang Juni 2004 endgültig über die Reform der deutschen Rechtschreibung entscheiden. Thomas Steinfeld fragt in der SZ vom 25. Mai 2004, welche Rechtschreibung Gegenstand der Entscheidung sei. Denn offenbar gäbe es, „seitdem die ,,Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung" im Februar ihren vierten Bericht vorlegt hatte und in der Öffentlichkeit auf Kopfschütteln, ja Fassungslosigkeit gestoßen war, noch allerhand zu bedenken und zu erwägen - so viel, daß die Konferenz der Kultusminister bis heute zögert, den vierten Bericht zu approbieren.
Tausende von Änderungen Der genannte Bericht hatte mehrere tausend Änderungen am Reformwerk vorgesehen, Änderungen, die große Teile der Reform zurücknehmen sollten. Zumindest als „Varianten" sollten zahlreiche Formen wieder zulässig werden, die zuvor als fehlerhaft ausgezeichnet worden waren - was nicht nur (zum zweiten oder dritten oder vierten Mal innerhalb von nicht einmal zehn Jahren) neue Wörterbücher zur Folge gehabt hatte, sondern auch die Entstehung von allerhand mehr oder minder persönlichen, aber allesamt richtigen Orthographien. Kein Lehrer konnte dann mehr eine Rechtschreibung korrigieren, ohne sich immerfort anhand seines Wörterbuchs zu vergewissern, ob das, was da steht, so auch da stehen dürfte.
Die lästige Reform Vor allem Steffen Reiche, Kultusminister in Brandenburg, müsse verlangt haben, die jüngste Reform der Reform sei, wenn überhaupt nötig, dann doch wenigstens so zu gestalten, daß nicht schon wieder ein halber Volksaufstand drohe. Den meisten seiner Kollegen ist das Ärgernis dieser ebenso überflüssigen wie verfehlten Reform ohnehin nur noch lästig. Zusammen mit Annette Schavan, der Kultusministerin von Baden-Württemberg, sorgte er dafür, daß mit der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung eine neue Instanz in die staatlichen Bemühungen um die Reform der Rechtschreibung aufgenommen wurde: Denn diese hatte sich, auch im Namen des öffentlichen Widerstands gegen die Reform, doch gegen ihre eigentliche Überzeugung zumindest zu Kompromissen bereit gezeigt. Nicht mehr um richtig oder falsch ging es den Ministern in dieser vielleicht letzten Runde - sondern nur noch um öffentlich akzeptabel oder inakzeptabel.
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung stößt ins Leere Fünfmal trafen sich die Zwischenstaatliche Kommission und die Vertreter der Deutschen Akademie. Die Aufsicht lag bei Erich Thies, dem Generalsekretär der Kultusministerkonferenz. Protokollführer war Ministerialrat Pohle aus Niedersachsen. War das eine Versammlung von Experten oder von Schwererziehbaren? Bei den Treffen wurde kein tragfähiger Kompromiß gefunden, vor allem bei der Frage, dem wohl heikelsten, weil semantisch folgenreichsten Punkt der Reform: der Getrennt- und Zusammenschreibung. Das letzte Gespräch mit der Akademie fand am 17. Mai statt, ohne Ergebnis, siehe das Schreiben der Akademie.
Eine Reform ohne Ende? Die Reform der deutschen Rechtschreibung habe sich angesichts des öffentlichen Unwillens, sich überhaupt auf diesen Unfug einzulassen, schon vor Jahren in ein heimliches Unternehmen verwandelt. Entsprechend formuliere die Konferenz der Kultusminister noch heute: Es sei „deutlich" geworden, hieß es in einem Bulletin zwischen dem dritten und vierten Gespräch, daß der vierte Bericht „einen Teil der bisherigen Vorstellungen" der Akademie „aufnimmt". Wenn das so wäre - warum waren die Gespräche dann überhaupt notwendig? „Es werden weitere Gespräche geführt, wie und in welcher Form die Entwicklung der Rechtschreibung zukünftig begleitet wird." Was solle das heißen? Haben wir uns darauf einzustellen, daß die Rechtschreibung auch weiterhin alle paar Jahre verändert werde?
Wie geht es weiter? fragt Steinfeld. Als die Konferenz der Kultusminister die Deutsche Akademie zu den Beratungen um die Reform hinzuzog, müsse dies auch im Wissen geschehen sein, daß sich die Akademie im staatlichen Sinne konstruktiv verhalten werde - nicht nur, weil auch sie hauptsächlich durch öffentliche Forderung existiere, sondern auch, weil ihre fachkundigen Mitglieder gleich mehrfach in staatlichem Auftrag agierten. Das gelte vor allem für Peter Eisenberg, einen hochqualifizierten Sprachwissenschaftler, der selbst der Zwischenstaatlichen Kommission angehört habe, bis er sie im Februar 1998 aus Protest gegen die Uneinsichtigkeit der Kommission verließ. Noch immer gehöre er dem Wissenschaftlichen Beirat des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim an, einer treibenden Kraft hinter der Reform. Wenn man sich mit einem solchen Mann nicht einigen könne - mit wem dann sonst?
Wo bleiben die Fachleute der deutschen Sprache? Die Kultusministerkonferenz sollte sich überlegen, so Steinfeld, ob sie die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung tatsächlich endgültig beschließen wolle - und vielleicht endlich mit Leuten reden, die von Sprache etwas verstehen, weil sie täglich mit ihr arbeiten: Mit den deutschen Schriftstellern zum Beispiel, erklärten Gegnern der Reform.
Die Konferenz hat beschlossen!
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