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Gehirn - Geist / Artikel Übersicht / 22. Z-Der vehemente Protest des „zum fre
 

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Der vehemente Protest des „zum freien Willen geborenen“ Ernst Pöppel

Leserbrief an die SZ

Der SZ-Bericht vom 17.05.04 zum Thema „Wie frei ist der Mensch“, diskutiert im SZ-Forum Wissen, hat Prof. Dr. Ernst Pöppel, Leiter des Instituts für Medizinische Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität, München, veranlaßt, in einem Leserbrief an die SZ seine Position darzulegen.

Wie Pöppel schreibt, habe die Hirnforschung den freien Willen abgeschafft. So lese man. Manche Hirnforscher meinten, hinreichende Argumente zu haben, als gäbe es keinen freien Willen. Es gebe aber Hirnforscher, zu denen ich mich zähle, die eine andere Auffassung haben. Wie im SZ-Forum Wissen, über das Ulrich Kühne (SZ vom 17.05.04) berichte, werde in den Diskussionen zum freien Willen immer Bezug genommen auf die Experimente des Neurophysiologen Benjamin Libet. Wir haben diese Experimente mit besser kontrollierten Instruktionen für die Versuchspersonen nachgemacht und hatten Schwierigkeiten, die Befunde zu bestätigen.

Wir sind „zum freien Willen geboren", und dies lasse sich auch aus der Hirnforschung heraus argumentieren. Ich möchte als Hirnforscher nicht mit anderen zusammen „verhaftet" werden, und ich möchte mir nicht unterstellen lassen, die „Hirnforschung" stelle das Konzept des freien Willens in Frage. Eine solche Argumentation berücksichtige beispielsweise nicht, daß es neben der expliziten Form des Wissens auch ein implizites Wissen gebe, das sich in einem gegebenen Augenblick der bewußten Verfügbarkeit, also der sprachlichen Mitteilung, entziehe. Das so genannte Blindsehen, das vor mehr als 30 Jahren entdeckt wurde, sei hierfür ein einfaches Beispiel. Wenn man in der Tradition von Descartes nur auf das explizite Wissen blicke und andere Formen des Wissens ausblende (hinzu komme noch das bildliche Wissen ), dann mache man sich zur Karikatur seiner selbst. Die „Hirnforschung" der vergangenen Jahrzehnte habe deutlich gemacht: Wir sind mehr als die Teilmenge menschlicher Möglichkeiten, die sich im begrifflichen, also im expliziten Wissen zeigt. Neben dem falschen experimentellen Bezug und der Vernachlässigung neurowissenschaftlicher Erkenntnisse über das implizite Wissen gebe es für Pöppel noch ein wesentlicheres Argument, daß wir zum freien Willen geboren sind. Man könne also aus der Hirnforschung heraus argumentieren und müsse sich nicht (auch wenn dies ein intellektuelles Vergnügen sei) mit der Dritten Antinomie in Kants „Kritik der reinen Vernunft" befassen.

Etwa ein Drittel des menschlichen Gehirns, nämlich der frontale Bereich, so Pöppel, diene unter anderem dem Zweck, mit einer Selbstdistanz Entscheidungen zu treffen, auszuwählen, zu werten, eben gerade nicht dem Augenblick ausgeliefert zu sein. Die Möglichkeit der Selbstreflektion, das Monitoring der eigenen Aktivitäten, ein auto-noetischer Prozeß, der uns zum Beispiel erlaube, die Bilder in unserem episodischen Gedächtnis aktiv aufzurufen, seien für Pöppel Ausdruck und Grundlage eines freien Willens. Dieser Teil des Gehirns erlaube uns, daß wir uns nicht ausgeliefert sind, sondern unter verschiedenen Bedingungen wie der körperlichen Verfaßtheit über zukünftige Handlungsmöglichkeiten zu reflektieren. Tacitus wies in seiner „Germania" auf diese Grundlage bei Entscheidungsvorgängen hin: nüchtern und im Rausch sich mit den Konsequenzen des Handelns zu befassen. Und wenn in beiden Situationen der Denkprozeß (das „Probehandeln") zum gleichen Ergebnis komme, dann solle man sich in dieser Weise entscheiden.

Hierin werde deutlich, führt Pöppel aus, daß wir zur Nutzung unserer Freiheit die Zeit überspringen, also antizipieren, was sein könnte, und daß dieser Zeitsprung in einer gewissen Selbstdistanz und unter verschiedenen psychischen und körperlichen Ausgangsbedingungen zugeschehen habe; das körperliche Moment sei hierbei nicht zu vergessen. Für diese Leistungen, für diesen Ausdruck des freien Handelns sei unter anderem das Frontalhirn zuständig, ein Bereich, der sich vor allem in der Evolution zum Menschen entfaltet hat. Dieser Bereich stelle neuronale Prozesse bereit, die sicherstellen, daß wir uns nicht selbst ausgeliefert sind; es werde eine Pause (ein Hiatus) eingelegt zwischen dem Auftreten eines Bedürfnisses und seiner Befriedigung; diese „Pause" könne Jahre dauern, wenn man ein lang gestrecktes Ziel verfolge, das man sich nach Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte gesteckt habe. Es sei gerade die Beherrschung der Zeit, die uns frei mache - oder machen könne. Daß wir nicht immer in dieser Weise handelten, daß wir uns manchmal selbst ausgeliefert seien, dies sei kein Argument dafür, daß wir dies immer seien. Wir könnten also tun, was wir wollen.

Meine Stellungnahme zum Leserbrief des Herrn Pöppel

 



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