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Sprache / Artikel zur Sprache XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX / Brief an Marcerl Reich-Ranicki
 

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An Herrn Marcel Reich-Ranicki
Zu seinem Buch "Mein Leben" - am 30.7.2000

 

Herrn
Marcel Reich-Ranicki
Frankfurter Allgemeine Zeitung

München, den 30.07.2000

"Mein Leben"
Lob und Kritik

Sehr geehrter Herr Reich-Ranicki,

warum ich Ihr Buch gekauft habe, weiß ich nicht mehr. Bemerkenswert ist diese Frage deshalb, weil ich bisher wenig Zeit fand, Romane oder dergl. zu lesen. Entsprechend Ausbildung und langjähriger beruflicher Tätigkeit (Prüfer im Deutschen Patentamt) galt mein Interesse mehr der Fachliteratur (Technik, Medizin) und nun im Ruhestand der Musik (Orgelspielen), Sprachen und Hirnforschung.

Schon nach den ersten Seiten war ich gefesselt, von Ihrer Geschichte und von Ihrem Stil zu schreiben. Ihr Buch war mein literarisches Betthupferl. Tagsüber freute ich mich schon auf die ein/zwei Stunden Lesen vor der Bettruhe, meistens um Mitternacht.

Ihre Erlebnisse in Berlin riefen viele Erinnerungen wach. Als 16jähriger Luftwaffenhelfer (Jahrgang 1927) durfte ich diese Stadt "verteidigen". Auch Ihre Schilderung der Zeit nach dem Krieg mit der Verteilung von Lob und Tadel an manche bekannte Persönlichkeiten fand mein Interesse.

Ihr leidvoller Aufenthalt in Polen jedoch, insb. in Warschau haben mich tief bewegt. Glücklicherweise fanden Sie Stärkung und Hoffnung durch die deutsche Literatur. Dennoch, das Leid, das Ihren Eltern und Ihnen von meinen Landsleuten angetan worden ist, macht mich bedauern, ein Zwangsdeutscher zu sein.

Was ich gern erfahren hätte, wie haben Sie es  geschafft, soviel Literatur zu verarbeiten, ohne Fakten und Personen später zu verwechseln?  Haben Sie sich Textpassagen angestrichen und später nachgelesen, Stichwörter notiert oder andere Gedächtnisstützen benutzt? Funktioniert das Sicherinnern immer noch? Lasen und lesen Sie Wort für Wort oder kreuzweise, wenigstens teilweise, und wie schnell? Formen Sie beim Lesen die Wörter im Mund, ohne laut zu sprechen?

Insgesamt also ein Genuß, Ihr Buch zu lesen. Allerdings war ich nicht wenig überrascht feststellen zu müssen, daß auch unser Literaturpapst oder Asphaltliterat zwei der in unserem Land häufigsten Fehler macht. So heißt die Mehrzahl von Wort nicht Worte, sondern Wörter. Das gilt auch für Schimpfwort, Fremdwort, Schmähwort, Stichwort und Zauberwort. Ferner sind Ereignisse, die nacheinander  stattfinden, mehrmalige und nicht mehrfache. Mehrfache Ereignisse finden zu gleicher Zeit statt. Diesen Sachverhalt ignoriert der Duden. Aber er tut dies wider besseres Wissen. Nur deshalb, weil es im Volk falsch gesprochen und geschrieben wird, und zwar gemäß seinem Auftrag, die Sprache zu dokumentieren.

Mein langjähriges Bemühen um den Erhalt der Ausdruckskraft der deutschen Sprache (http://www.sprache-werner.info) wird durch das schlechte Beispiel so namhafter Fachleute, wie Sie es sind, konterkariert. Vor einigen Jahren hatte ich Ihnen diesbezüglich geschrieben und wegen Arbeitsüberlastung eine Ablehnung erhalten. Ich hatte Verständnis und war dankbar, daß Sie überhaupt geantwortet haben.

Ob es ratsam ist, beim Danken nach deutscher Art "sich zu bedanken" (S. 164 u. 525) und damit das Gegenteil von dem zu sagen, was gemeint ist, wage ich zu bezweifeln. Auch hier schießt der Duden semantische Purzelbäume, indem er sich bedanken, danken und jemanden bedanken gleichsetzt. So, als wäre es kein Unterschied, ob der Arzt sich oder den Patienten behandelt.

Ich habe Ihr Buch in meinem Bekanntenkreis empfohlen und schon liest eine Bekannte darin. Sie ist ebenfalls begeistert. Falls Sie an einer Korrektur interessiert sind, in der Anlage sind die Seiten der Unebenheiten aufgelistet.

Mit freundlichen Grüßen

Ulrich Werner
Anlage

 



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