Mit Fug und Recht darf die DNS (Desoxyribonukleinsäure) das Molekül des 20. Jahrhunderts genannt werden. Für die Entschlüsselung der räumlichen Struktur dieses Makromoleküls erhielten die Briten und Francis Crick und James D. Watson einen Nobelpreis. Schon in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts allerdings sehen wir den Rang der DNS bedroht. In Zusammenhängen, in denen wir die Erwähnung von DNS erwarten würden man denke an das Human Genome Project , ist seit geraumer Zeit und in zunehmendem Maße von DNA die Rede. Nicht wenige Zeitgenossen vermuten hinter den Abkürzungen DNS und DNA zwei unterschiedliche chemische Substanzen. Zwei prominente Mitglieder aus jener Menge, deren andere herausragende Elemente etwa auf RNS, RNA, Messenger-RNS und Transfer-RNA lauten.
Blicken wir, um Aufklärung über die unterschiedliche Struktur von DNS und DNA zu erhalten, in Watsons Buch „Die Doppel-Helix; veröffentlicht 1969 im Rowohlt Verlag, ein Jahr nach Erscheinen der englischen Originalausgabe. Wie nicht anderes zu erwarten, finden wir die DNS alle paar Seiten erwähnt. Von DNA hingegen ist das gesamte Buch hindurch keine Rede. Wurde die Substanz „DNA also erst später entdeckt? Wenn ja: wann und wo, und von wem? Und was ist die Funktion der Substanz „DNA?
Ein einfacher DNA-„Test liefert folgende Antwort auf diese Fragen: Im Anfang war die Nukleinsäure, entdeckt 1869 von dem Basler Physiologen Friedrich Miescher. Niemand in der damaligen deutschsprachigen Welt wäre auf die Idee gekommen, einen Bericht über die Entdeckung von „Nucleic acid zu verfassen. Wie ja auch 100 Jahre später der Übersetzerin von Watsons „Die Doppel-Helix der Gedanke noch fern lag, anstelle von „DNS die im englischen Sprachraum übliche Abkürzung „DNA (für Deoxyribonucleic acid) zu gebrauchen. Warum sollte man sich des englischen „Acid bedienen, wo doch das deutsche „Säure so viel naheliegender und verständlicher ist? Schließlich verlangt auch niemand nach Mineralwasser mit Carbon acid. Und niemand erklärt, er spanne einen Schirm gegen aciden Regen auf. Sehr wohl aber bedarf es eines Schutzschirms der Aufmerksamkeit gegen unvernünftige und folgeträchtige Abkürzungen wie DNA, auf die beispielsweise das Französische und Spanische verzichten. Franzosen und Spanier kürzen Desoxyribonukleinsäure autochthon mit ADN ab.
Mit zunehmendem Minderwertigkeitskomplex des Deutschen in Forschung und Sprache und Anbiederung an einen anglisierenden Zeitgeist (ironischerweise ein Wort, das im Englischen deutsch bleibt), sieht sich die scheinbar altbackene DNS durch die vermeintlich modernere DNA ersetzt. Dabei sollte doch jedem, der sich des Nukleinsäuren-Vokabulars bedient, klar sein, daß Übertragungsfehler beim „Transkribieren oder „Übersetzen der DNS zu schwerwiegenden Funktionsstörungen führen können. Dies gilt auch für den geistigen Haushalt eines ganzen Sprachraums, sofern vielen Zeitgenossen nicht bewußt ist, daß ihnen aus Angeberei oder alarmierender Unwissenheit auf Seiten von Übersetzern und Journalisten ein A für ein S vorgemacht wird. Der Gebrauch der Abkürzung DNA im Deutschen verdunkelt, statt aufzuklären. Es handelt sich um schlechte journalistische Alchimie und schwarze Übersetzerkunst, die da vorgeben, aus einer chemischen Substanz zwei Substanzen machen zu können. Leerer Hokuspokus der unfeinen englischen Art, der nicht wenigen das Verstehen wichtiger biologischer Zusammenhänge erschwert. Und mehr wäre zum Thema „Entschlüsselung der DNA nicht zu sagen. Außer vielleicht: Habe Mut, dich deiner eigenen Sprache zu bedienen!, ist auch ein Wahlspruch der Aufklärung
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