Zur deutschen Sprache
Die Sprache ist ein Bild der Seele ...
www.sprache-werner.info
Zur deutschen Sprache
Die Sprache ist ein Bild der Seele ...
www.sprache-werner.info
Sprache / Deutsche Sprachwelt DSW / Das Schweigen der Lemminge / Das Schweigen der Lemminge L
 

  < zurück erweiterte Suche Seite drucken
 

Das Schweigen der Lemminge
 Zum Vorwurf, Sprachwahrung sei „rechtslastig“
Von Wolfgang Hildebrandt

Deutsche Sprachwelt AUSGABE 29 Herbst 2007, S. 6
Abdrucke mit freundlicher Genehmigung der DEUTSCHEN SPRACHWELT

Wir lebten nicht in Deutschland, wenn Menschen, die sich aktiv um Sprachpflege kümmern, wie auch der Autor dieses Beitrags, nicht „in die rechte Ecke“ gestellt werden würden. Dabei ist es völlig gleichgültig, woraus diese Aktivitäten bestehen: Sei es die Veröffentlichung von Leserbriefen oder Zeitungsartikeln, Aufklärungsarbeit an Informationsständen oder einfach nur die Diskussion mit Mitmenschen – nichts schützt davor, mit der Bemerkung angesprochen zu werden, sich für die deutsche Sprache einzusetzen sei doch wohl „rechtslastig“.

Diese als mehr oder weniger versteckter Vorwurf gedachte Einschätzung verlangt geradezu nach einer genaueren Betrachtung. Dabei taucht als erstes die Frage auf, wieso Sprachpflege – meist handelt es sich dabei um den Kampf gegen Denglisch – denn nach der Sitzordnung und den politischen Kriterien des Parlamentarismus bewertet werden sollte, und zweitens wäre es interessant zu wissen, ob mit rechtslastig nicht etwas ganz anderes gemeint ist.

Zum ersten Punkt: Der Begriff der politischen „Rechten“ und der „Linken“ bezog sich ursprünglich auf die parlamentarische Sitzordnung während der „Julimonarchie“ in Frankreich nach der Revolution von 1830. Heute denken wir dabei mehr an die damit verbundene politische Positionierung. Und die beruht – aus Platzgründen sei mir an dieser Stelle diese starke Vereinfachung gewährt – bei den Rechten unter anderem auf Traditionserhaltung, während die der Linken – auch hier nur sehr verkürzt dargestellt – von sozialistischen oder sozialen Ansätzen abgeleitet ist. Beides zusammen, also der historische und der politische Aspekt, haben auch in unseren Parlamenten ihre Spuren hinterlassen, abzulesen an der Sitzordnung der Abgeordneten.

Sprachfreunde bei allen Parteien
So weit, so gut, doch wie ist nun die Verurteilung, Sprachpflege sei rechtslastig, wirklich zu bewerten? Sie sei „CDU-nah“ wäre die eigentliche „Übersetzung“, betrachteten wir uns die oben beschriebene politische und räumliche Verortung im Parlament. Doch das kann nicht gemeint sein, denn abgesehen davon, daß wir in allen Parteien Politiker vorfinden, die dem Denglisch kritisch gegenüberstehen – genannt seien nur der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), seine damalige Vertreterin Antje Vollmer (Die Grünen/Bündnis 90), der Fraktionsvorsitzende der FDP, Wolfgang Gerhard, und der jetzige Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert (CDU) –, würde wohl niemand ernsthaft behaupten wollen, die Nähe zur CDU wäre verurteilungswürdig. Wir können die Aussage drehen und wenden, wie wir wollen, sie ist und bleibt völlig abwegig, ebenso wie es Aussagen wie „linkslastig“ oder „liberallastig“ in diesem Zusammenhang wären.

Somit kommen wir zum zweiten Punkt, der Frage, was mit der Aussage, Denglisch zu bekämpfen sei rechtslastig, wirklich gemeint sein könnte. Im Laufe der Gespräche, bei denen das Wort rechtslastig oder ähnliche Bewertungen vorgenommen werden (rechtsaußen, sehr weit rechts, Deutschtümelei und ähnliches), ist schnell zu erkennen, daß die Sprecher etwas ganz anderes meinen.

Um die ganze Tragweite, die hinter dieser Einstellung steht, zu erfassen, sollten wir uns diesen Irrwitz einmal auf der Zunge zergehen lassen: Da kommen also Menschen auf mich zu und behaupten allen Ernstes, sich für ein Fortbestehen der deutschen Sprache einzusetzen, sei rechtslastig. Das sagen sie übrigens auf deutsch, nicht etwa in einer anderen Sprache. Der einzige Unterschied zwischen ihnen und mir besteht also lediglich in meinem Einsatz für die Sprache, die sie selbst (noch) sprechen. Übrigens habe ich von Ausländern solch einen oder einen ähnlich formulierten Vorwurf noch nie zu hören bekommen, obwohl ich viele Kontakte zu Menschen im europäischen Ausland habe. Sich also dafür einzusetzen, daß unsere Kinder auch noch in weiter Zukunft Goethe, Schiller, Kant, Schopenhauer, Brecht, Böll, Grass und alle anderen deutschen Dichter, Denker und Schriftsteller lesen und auch verstehen können, wird als rechtslastig bezeichnet.

Treppenwitz des Jahrhunderts?
Diese Absurdität könnte man durchaus als Treppenwitz des Jahrhunderts bezeichnen, wenn sie denn als solcher gemeint wäre, was sie aber nicht ist. Denn dahinter steht ein ganz anderer Vorwurf: Man sei nationalistisch, faschistoid oder gar faschistisch, vielleicht auch „nur“ rechtsextrem, wenngleich es eben anders ausgedrückt wird. Wer da glaubt, diese Behauptung sei doch wohl etwas zu gewagt, möge folgendes persönliches Erlebnis zur Kenntnis nehmen: Als ich einen Lehrerkollegen während einer Klassenkonferenz aufforderte, deutsch mit mir zu reden (er verteilte „Essentials“), bezeichnete ein anderer Kollege den bei der Gelegenheit vorgelegten VDS-Aufkleber „… wir sprechen auch deutsch“ als Versuch einer „faschistischen Indoktrination“.

Die Klage einer Deutschlehrerin auf einer Internetseite, im Deutschunterricht würde immer häufiger aus dem Amerikanischen übersetzte Lektüre gelesen, wurde von einem mir bekannten Lehrer als „rassistisch“ bezeichnet. Den „Antifaschistischen Nachrichten“ reicht allein die Gründung der „Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft“ in Köthen, um dieses Ereignis zu erwähnen. Weitere Beispiele sind Legion, jeder, der sich mit Sprachpflege beschäftigt, weiß, wovon ich rede.

Pawlow läßt grüßen
Was aber mag nun hinter dieser zaghaft angedeuteten, aber unehrlichen Wortwahl stecken? Um das zu ergründen, müssen wir tiefer in unsere jüngste Vergangenheit eintauchen. Durch die nie vollständig stattgefundene Aufarbeitung unserer Vergangenheit, sowie durch den Umgang der Medien und der anderen Meinungsmacher mit ihr ist es zwangsläufig nicht zu einer echten Vergangenheitsbewältigung, wohl aber zu einem speziellen Denkmuster bei den Deutschen gekommen. Dieses ist vergleichbar mit dem Verhalten des Pawlowschen Hundes.

Denn kaum fällt das Wort „Deutsch“, in welchem Zusammenhang auch immer, haben Teile der Bevölkerung die Assoziation zum Nazi, wenngleich sie es in dieser Deutlichkeit nie sagen, es reicht eben, wenn man sein Gegenüber in die rechte Ecke stellt. Ein großer Teil der Bevölkerung beteiligt sich daran, er ist Opfer und Täter zugleich, hat sich selber mit den Stricken des Klischees gefesselt und wehrt sich nicht. Man möchte diesem absurden Theaterstück den Titel „Das Schweigen der Lemminge“ geben.

Ich bin aber nicht mehr bereit, diese politische Verdrehung hinzunehmen und stelle einige provokative Fragen in den Raum, auch wenn dieses zunächst nach einer „Retourkutsche“ aussehen mag. Doch ich muß zu dieser Argumentationsweise greifen, um klarzustellen, welche Handlungsweisen nun wirklich faschistoid oder gar faschistisch und somit weit entfernt von demokratischen Verhaltensweisen sind:

• Ist den mit diesem Vorwurf agierenden Menschen eigentlich klar, daß sie damit gleichzeitig Millionen Angehörige anderer Völker, die alle wesentlich pfleglicher mit Ihrer Sprache umgehen als wir, der „Rechtslastigkeit“ bezichtigen?
• Handelt es sich dabei nicht um eine Vermessenheit, die uns andere Völker nicht unberechtigterweise als Herrenmenschentum vorwerfen könnten?
• Ist es etwa demokratisch, Millionen unserer Mitbürger von politischen und anderen Informationen auszugrenzen, da sie dieses „Neusprech“, genannt „Denglisch“, nicht mehr verstehen, unabhängig davon, ob sie des Englischen mächtig sind und unabhängig von ihrem Alter?
• Läßt eine erneute Ausgrenzung in einem Land, in dem vor nicht allzu langer Zeit Menschen wegen ihrer politischen Überzeugung, ihrer Religion oder ihrer Hautfarbe ausgegrenzt wurden, nicht erhebliche Zweifel an einer inneren geistigen Wandlung der Deutschen aufkommen?
• Zeugt es etwa von einem demokratischen Denkmuster, sich daran zu beteiligen?
• Läßt die mit ständig wachsender Geschwindigkeit durchgeführte Zerstörung unserer Sprache und der damit verbundene Identitätsverlust nicht Parallelen zur Bücherverbrennung im Mai 1933 erkennen?

Solch ein Vergleich ist gewagt, und ich höre schon die vielen Proteste, doch einige Parallelen sind nicht von der Hand zu weisen: Damals wie heute handelte es sich nur um eine kleine Minderheit, die durch Vernichtung eines hohen Kulturgutes die Identität eines Teiles der Bevölkerung auszulöschen versuchte. Mag die Vernichtung unserer Sprache von einem Teil der Ausführenden auch nur unbewußt erfolgen, so ist und bleibt es doch ein Akt zum Verlust der eigenen Identität – und damit der eines ganzen Volkes.

Eine weitere Parallele besteht in der Passivität der Bevölkerung. Damals schaute die Mehrheit tatenlos zu – ist es heute anders? Dabei hätte sie in unserer Zeit im Gegensatz zu früher bei Gegenwehr kaum Gegenmaßnahmen zu befürchten, so zum Beispiel, daß man in die „rechte Ecke“ gestellt wird.

Mangelnde Zivilcourage
Ist aber die mangelnde Zivilcourage, die gerade beim Kampf gegen die Angloamerikanismen sehr zum Vorschein tritt und oftmals hinter der Tatenlosigkeit steckt, nicht eine Verhaltensweise, die der Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft zuwiderläuft? Immerhin sprechen sich bei Meinungsumfragen über 60 Prozent der Befragten gegen die augenblickliche Sprachmanipulation durch die Medien und die Werbung aus (Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ kam bei einer Umfrage im Herbst 2006 gar auf etwa 75 Prozent). Das wären also rund 50 Millionen Menschen in Deutschland – wo sind sie, was tun sie?

Ist es demokratisch, wenn sich eine kleine Machtelite in den Medien und anderen Institutionen daranmacht, unsere Sprache langsam, aber sicher ohne Auftrag aus dem Volke und schon gar nicht in seinem Namen, zu verändern? Für Zweifler sei daran erinnert, daß das Fernsehen und die Rundfunkanstalten immer unverblümter versuchen, uns die Welt auf englisch zu präsentieren: Kuweit, Beirut, Hawaii, Taiwan, Sadam City, und so weiter und so fort werden uns beinahe ausschließlich mit englischer Aussprache vorgestellt. Ein Akt der Demokratisierung oder bewußte Beeinflussung der Bevölkerung durch die Medien?

Manipulation der Sprache
Immerhin: Wurden die Menschen während unserer jüngsten Vergangenheit vom staatlichen Rundfunk bewußt beeinflußt, übernehmen das heute die „Privaten“ und „Öffentlich-Rechtlichen“. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob dahinter eine von den Intendanten bestimmte Strategie steckt oder es sich um genehmigte oder geduldete Auswüchse einiger Programmdirektoren oder Moderatoren handelt – es wird sprachlich manipuliert.

Anders gefragt: Passen die hier genannten Verhaltensweisen nicht eher zu Personen und der Ideologie eines faschistischen Staates? Handelt es sich daher bei der Anklage, sich für die deutsche Sprache einzusetzen sei „rechtslastig“, nicht eher um eine – wie es in der Psychologie bezeichnet wird – Projektion, da die faschistoide Denkweise mit hoher Wahrscheinlichkeit beim Ankläger vorhanden ist?

Ich möchte meine Betrachtung mit folgender Feststellung beenden: Nahezu sechzig Jahre Indoktrinierung durch gewisse Medien und Institutionen, mangelnde Aufklärung – das gilt besonders für die Schulen – sowie das Unterlassen einfachster Begriffsbestimmungen haben zur Folge, daß die Gesellschaft noch immer nicht den Unterschied zwischen Nationalismus, Nationalsozialismus, Faschismus, Rechtsextremismus, Rechtslastigkeit oder einfach nur „rechts“ (das gilt ebenso für die Wortbildungen mit „links-“) und nationaler Würde, nationalem Stolz oder Patriotismus kennt.

Für die Arbeit an der Sprachpflege sind das keine guten Voraussetzungen, für die Abwehr von Links- und Rechtsextremismus noch viel weniger. Ich fordere daher alle demokratischen Kräfte auf, dem Irrsinn der Sprachverhunzung und -vernichtung entgegenzuwirken. Kommen wir den Extremen zuvor, die sich schon häufig zu diesem Thema äußerten und dabei unsere Argumente benutzten. Lassen wir es nicht weiter zu, daß die Falschen das Richtige und die Richtigen das Falsche sagen oder gar schweigen – unsere Sprache ist zu wertvoll, um sie einer Ideologie oder der Gleichgültigkeit zu opfern.

Kostenloses Probeexemplar der Zeitschrift

zum Buchdienst der Deutschen Sprachwelt

 



zum Seitenanfang < zurück Seite drucken