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"Sprachverunsicherung in Austria"
Artikel von Michael Frank (SZ  vom 2.2.2007) - Horst Ebeling am 15.2.2007 an Herbert Schlemmer zu dessen Leserbrief in der SZ vom 9.2.2007

 

Herrn
Herbert Schlemmer
Am Stadtwald 1
2130 Mistelbach

Schörfling 15.02.2007

Ihr Leserbrief in der Süddeutschen Zeitung vom 9.2.2007 zur "Sprachverunsicherung in Austria"

Sehr geehrter Herr Schlemmer,

Ihr Leserbrief zum Bericht von Michael Frank zeigt bereits in den ersten Zeilen das von mir als „österreichischer Beissreflex“ bezeichnete übliche Muster der Reaktion auf die Darstellung von österreichischen Problemen, die auch nur im Entferntesten mit Deutsch oder Deutschland zu tun haben. Getragen von einem nicht gerechtfertigten diffusen Unterlegenheitsgefühl verfallen Sie in einen dumpfen Nationalchauvinismus, der natürlich den Blick auf das eigentliche Problem verstellt. Verunsichern oder hinterfragen lässt sich ein Österreicher nicht, viel einfacher und weniger schmerzhaft ist es, die Verschwörungstheorie von den bösen Deutschen hervorzukramen.

Obwohl ich Michael Frank nicht persönlich kenne, nehme ich an, dass er Deutscher ist, der allerdings schon seit Jahrzehnten in Österreich lebt und aus Wien - und früher auch aus Prag - durchaus ausgewogen als kritischer Journalist berichtet.

Ausgangspunkt für seine Überlegungen war eine wissenschaftliche Untersuchung der Oberösterreicherin (!) Jutta Ransmayr, die sich damit beschäftigt, in welchem Masse das österreichische Deutsch in ausländischen Bildungseinrichtungen, die sich der Vermittlung von Deutsch-Kenntnissen verpflichtet haben, an Präsenz verliert. Auch Jutta Ransmayr kenne ich nicht, ich hatte bisher auch keine Gelegenheit, ihre wohl als Buch veröffentlichte Arbeit zu lesen. Sie haben sie offensichtlich schon lesen können, da Sie diese als dubios bezeichnen. Ihre Belege für die Zweifel sind aber augenscheinlich dem Kürzungs-Rotstift der Leserbriefredaktion zum Opfer gefallen. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir den Originaltext Ihres Leserbriefes zur Verfügung stellen könnten, denn immerhin hat nach meinen Internet-Recherchen Jutta Ransmayr über das Thema an der Universität Wien promoviert, ihre Dissertation ist also mit Gewissheit von mehreren Gutachtern kontrolliert worden. Auch ist Jutta Ransmayr für ihre Arbeit sicherlich nicht ohne vorherige Prüfung vom oberösterreichischen Landeshauptmann mit einem der drei vergebenen Forschungspreise ausgezeichnet worden. Als Aussenstehender kann ich selbstverständlich nur den mir vorliegenden Forschungsansatz auf seine wissenschaftliche Sinnhaftigkeit und die Resultate auf deren Schlüssigkeit überprüfen. Dabei konnte ich allerdings keinen Anhaltspunkt für die von Ihnen erhobenen Vorwürfe entdecken.

Eine Schmähung des Österreichertums kann ich weder in Jutta Ransmayrs Forschungsergebnissen noch in Michael Franks zulässigem Interpretationsversuch sehen; dass diese Schmähung vom ganzen deutschen Volk ausgeht, schon garnicht. Zu Ihrer Beruhigung: Ich bin in Norddeutschland aufgewachsen und habe einen Teil meines Studiums in Hamburg verbracht. Österreichische - aber auch bayerische - KommilitonInnen waren in unserem Freundeskreis auch wegen ihrer (Aus-)Sprache sehr beliebt und haben so manchen nord- oder mehr noch westdeutschen Schnellredner zum Nachdenken gebracht. Dass aber auch die gleiche mundartlich gefärbte Sprache von persönlichen Sprecheigenschaften geprägt wird, mag ein Beispiel verdeutlichen: Wenn der in Schleswig-Holstein aufgewachsene Bundesverteidigungsminister Stoltenberg nur den Mund aufgemacht hat, hat es mir norddeutschem Sprecher den Magen umgedreht. Ganz anders konnte ich dem aus dem gleichen Landstrich stammenden langjährigen schleswig-holsteinischen SPD-Vorsitzenden und Landtagsabgeordneten Jochen Steffen stundenlang zuhören.

Nun aber zu Ihren teilweise richtigen Beispielen: Die Aussprache "Schangse" kommt aus dem Ruhrgebiet und wurde teilweise in der DDR gepflegt. Bei Claus Peymann hatte ich immer den Eindruck, dass er diese natürlich auch für deutsche Ohren grausame Aussprache bewusst provokativ und als Markenzeichen mit Kultcharakter eingesetzt hat, auf der Bühne hätte er dies nie geduldet. Ich bin kein Germanist und Lehnwort-Spezialist, möchte aber zu bedenken geben, dass die aus dem Französischen übernommenen Wörter Balkon, Ballon, Bonbon und Karton in Deutschland je nach Sprachfähigkeit korrekt französisch ausgesprochen werden. Möglich ist, dass sie in Österreich aus den ehemals habsburgischen oberitalienischen Gebieten eingewandert sind und dadurch die österreichisch-süddeutsche Aussprache "Ballohn", "Balkohn" und "Kartohn" zustandegekommen ist, zumal mit „schon“, „Thron“ und „Krone“ bereits vergleichbare deutsche Aussprachemuster vorlagen. Entgegen Ihrer Auffassung sind in Deutschland und Österreich also beide Aussprachevarianten zulässig. Wichtiger für die Sprachgefälligkeit ist wohl, dass niemand "Ballonge" oder "Ballohns" als Pluralform verwendet.

Bei der Aussprache von Chemie, China und Chirurg verkennen Sie die unterschiedliche Herkunft der Wörter. In meiner Schulzeit wurde uns Schülern noch erklärt, dass die aus dem Arabischen stammenden Wörter - hier Chemie und China - mit dem gehauchten Reibelaut aus "machen" oder "Nacht" auszusprechen seien, die aus dem Griechischen kommenden Wörter Charakter und Chor hingegen mit dem stimmlosen gutturalen Verschlusslaut aus "können" oder "Kraft". Erst viel später habe ich erfahren, dass dies eine höchst umstrittene Auslegung durch die Altphilologie ist, die uns jahrhundertelang ein X für ein K vorgemacht hat, obwohl die alten Griechen mit dem "kappa" durchaus einen passenderen Buchstaben in ihrer Schrift hatten und im Neugriechischen "Christos" und „Chalkidike“ mit dem gehauchten Reibelaut beginnen. Die von Ihnen gebrandmarkte Aussprache mit dem Zischlaut aus "waschen" finde ich nicht besonders schön, ist nach Duden auch in Deutschland nicht vorgesehen und kann allenfalls mit dem langen napoleonischen Einfluss erklärt werden. In Wahrheit ist für viele Deutsche wie auch ÖsterreicherInnen aus stimmphysiologischen Gründen am Anfang des Worts ein gehauchter Reibelaut schwerer herauszubringen als der Zischlaut oder der stimmlose Gutturallaut. "Schemie" ist also eine Sprachschlamperei, der die "Kemie" im süddeutsch-österreichischen Raum in nichts nachsteht, auch wenn sie vom Österreichischen Wörterbuch zur einzig zulässigen Aussprachevariante erklärt worden ist. Sie ist allein einer unkritischen Überschätzung der erwähnten spekulativen Altphilologie zu verdanken. Gestützt wird dies durch die Tatsache, dass im ÖWB für das Wort „Alchimie“ bei gleichem Wortstamm - inkonsequenter geht es kaum - wieder der gehauchte Reibelaut vorgeschrieben ist, weil er in der Wortmitte weniger Ausspracheschwierigkeiten zu bereiten scheint.

Nun geht es Jutta Ransmayr, die wohl kaum ein Interesse daran hat, dass Herr Schlemmer an seinem Stammtisch im schönen Mistelbach nicht mehr mit österreichischer Zunge redet, weniger um das Verschwinden der österreichischen Aussprache an den ausländischen Bildungseinrichtungen, zumal ja nicht jede(r) dort Lehrende ein "native speaker" und damit in der Lage ist, die Feinheiten der landsmannschaftlichen Ausspracheunterschiede den Studierenden zu vermitteln. Vielmehr geht das Zurückdrängen des österreichischen Deutsch ja auch mit einem Verlust von österreichspezifischen Ausdrücken und Grammatikregeln einher. Diese Entwicklung ist viel gefährlicher, auch und besonders für die österreichische Kultur und die österreichische Wirtschaft. Viele AusländerInnen bereiten sich nämlich sehr gewissenhaft auf den Aufenthalt in ihrem künftigen deutschsprachigen Gastland vor. Ich finde es unverantwortlich, dass ein Ausländer, den es nach Österreich verschlagen wird, in den von Jutta Ransmayr untersuchten Vorbereitungskursen nicht mehr erfährt, was eine Putzerei ist - um nur einen besonders typischen Austriazismus zu nennen. Und im Geschäftsverkehr ist es sicherlich ganz hilfreich, die Offerte (Plural von das Offert) als mehrere österreichische Anbote von der Offerte (Singular, Plural: Offerten) als einzelnes deutsches Angebot unterscheiden zu können. Warum soll ein ausländischer Bauarbeiter oder eine ausländische Bauwesen-Studentin künftig nicht mehr lernen, dass in Österreich der präzisere Ausdruck „Umfahrungsstrasse“ der doch sehr allgemein gehaltenen  binnendeutschen Variante „Umgehungsstrasse“ vorgezogen wird. Da die KursteilnehmerInnen nicht nur wichtige PartnerInnen der österreichischen Wirtschaft sind, sondern in ihrem Heimatland auch als MultiplikatorInnen für österreichische Kultur und Lebensart wirken, ist das Verschwinden der Austriazismen aus den Kursplänen fatal. Fatal ist allerdings ebenso, wenn eine österreichische Volksschullehrerin einem ihrer Schüler, der nicht die Weihen der oberschichtigen Herkunft erfahren hat, das Wort „Scheibtruhe“ als unzulässigen Dialektausdruck ankreidet.

Mit meinem Leserbrief, der - weil viel zu lang - natürlich ebenfalls gekürzt abgedruckt wurde, wollte ich gleichermassen aber davor warnen, jede Sprachschlamperei, nur weil sie in Österreich entstanden ist, als sprachrichtigen Austriazismus zuzulassen. In meinem Bekanntenkreis gibt es viele ÖsterreicherInnen, welche die Bezeichnung „Museum am Berg“ schlichtweg für falsches Deutsch halten, weil das Museum festverankert auf dem Salzburger Mönchsberg steht und am Berg allenfalls der aussenliegende Fahrstuhl und im Frühjahr die bekannten Felsputzer hängen. Dies - und die für ausländische SprachschülerInnen inakzeptable Artikulations-und  Rechtschreibschwäche bei Verschlusslauten - mag Michael Frank zu dem Eindruck verholfen haben, dass auch in seinem Wiener Umfeld immer wieder selbst ÖsterreicherInnen das praktizierte österreichische Deutsch für fehlerhaft halten.

Zum Schluss noch zu den von Ihnen kritisierten Wendungen „vor Ort“ und „Hosen“. „Vor Ort“ hat aus der deutschen und österreichischen Bergmannssprache in die österreichische und in die deutsche Standardsprache Eingang gefunden. Nun gibt es nach meinen bescheidenen geographischen und geologischen Kenntnissen in Mistelbach keinen nennenswerten Bergbau, der Ihnen diesen Ausdruck unmittelbar vertraut gemacht hätte. Auch einen Besuch in den Bergbauregionen Österreichs kann ich von Ihnen schlecht verlangen, wohl aber einen gelegentlichen Blick ins Österreichische Wörterbuch, bevor Sie einen derart abstrusen Vorwurf in die Welt setzen.

Bei den Hosen haben Sie Recht, allerdings das ganze Ausmass dabei noch garnicht  erfasst. Wie Engländer, Franzosen und Skandinavier kaufen die blinden (Nord-) Deutschen eine einzelne Hose meist im Plural und verlangen, um nicht den doppelten Preis zahlen zu müssen, zur Klarheit „ein Paar“ Damenhosen, Bermudas-Shorts oder Jeans. Sie hingegen, verehrter Herr Schlemmer, sind mit jenem scharfen Blick gesegnet, der Ihnen offenbart, dass die tatsächlich paarweise vorhandenen Hosenbeine bei modernen Beinkleidern oben untrennbar zu einem Stück verbunden sind. Was scheren uns aber die Engländer? Mich reisst es schon lang nicht mehr, wenn meine österreichischen Schwiegereltern „die Jean“ in die Waschmaschine stecken, obwohl ich anfangs diese Reinigungsprozedur für das arme Au-pair-Mädchen Johanna für äusserst gefährlich hielt. So gewöhnt man sich auch an austriazistisch eingeschliffene Lehn- und Fremdwörter. Mit der in meiner Jugend und in der DDR gebräuchlichen „gutdeutschen“ Bezeichnung „Nietenhose“, die auch im Singular verwendet werden darf, hätte sich das Problem für zählexakte ÖsterreicherInnen zwar elegant umgehen lassen. Das Wort ist den weltläufigen ÖsterreicherInnen wohl doch zu provinziell und würde angesichts der nationalen Streitkultur zu einer Unzahl von Beleidigungsklagen führen, hätte doch jeder Gesprächspartner bei diesem Namen unterstellt, das benutzte Wort beziehe sich nicht auf die zierenden und nahtsichernden Metallstifte, sondern auf den Arsch, der in der Hose steckt.

Der von Ihnen zitierte Berliner Spruch - „kiek….“ mit Dehnungs-e  würde die Lautung besser wiedergeben - gehört nicht zur Standardsprache, sondern ist regionaler Jargon und leider im Aussterben begriffen. Ungewollt geben Sie hier ein Beispiel für österreichische Logik und Konsequenz: Während Sie auf der einen Seite vehement für die Bedeutung des österreichischen Deutsch und besonders seiner Aussprache eintreten, missbilligen Sie auf der anderen die zugegebenermassen nicht standardsprachliche Sprechweise einer deutschen Region.

Meine übrigen Gedanken finden Sie in meinem beigelegten ungekürzten Leserbrief. Darf ich Sie nochmals um Ihren ungekürzten Brief an die SZ als „kleine Gegenleistung“ bitten?

Mit freundlichen Grüssen

Horst Ebeling

Anmerkung zur S-Schreibung: Sie werden bemerkt haben, dass ich die bis etwa 1900 in Österreich übliche Schreibweise anwende und auch dann ein doppeltes S schreibe, wenn nach Duden und ÖWB eigentlich das preussische sz - auch scharfes s genannt - vorgeschrieben wäre. Ich habe meinem Rechner dieses unästhetische Frakturrelikt preussisch nationalchauvinistischer Provenienz verboten und bin somit wieder dudenkonform. Und nebenbei bekennender Helvetist! Im Unterricht beherrsche ich insbesondere handschriftlich selbstverständlich die dort vorgeschriebene S-Schreibung. - Eine Kopie dieses Briefs geht an Michael Frank.

Horst Ebeling
Gmundner Str. 6
4861 Schörfling am Attersee  
Tel + Fax: +43(0)7662/29264    
Mobil:+43(0)688 8119198
E-Mail: schatzkammergut@tele2.at


 



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