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Rechtschreibreform: Zum Leserbrief "Bedeutungswandel von Wortverbindungen"
von Klaus Roth in der SZ vom 26. 09.1997
An SZ-Redaktion - Leserbriefe (28.09.1997)

 

Wenn die Diskussion um die Rechtschreibreform noch eine Zeit lang anhält, werden die Reformer bald Zeitlang nach der ruhigen Zeit davor haben. Das Beispielwort Zeitlang, von Wolfgang Illauer in der SZ vom 16. September aufgegriffen, macht auch dem Normalbürger anschaulich, welche Folgen die neue Getrenntschreibung schon bei Aussagen des täglichen Lebens haben kann. Weiteres Beispiel: freisprechen gegenüber frei sprechen.
 
Der Hochschullehrer Theodor Ickler sieht Schwierigkeiten beim Abfassen von amtlichen Schriftstücken voraus sowie Probleme beim Ausbilden und Prüfen künftiger Juristen (SZ vom 23. Juni). Eine differenzierungsarme Sprache wird sich in allen ordnungs- und regelbildenden Bereichen, insb. Straf-, Zivil- und Patentrecht auswirken. Unklare und zweideutige Texte werden die Gerichte künftig noch mehr belasten.

Hoffnung verbreitete die Meldung in der SZ vom 12./13. September, daß die für die Reform zuständige zwischenstaatliche Kommission verbessernde Änderungen erwägt. Unterdessen wird das vom Rechtschreiben unabhängige Verhunzen der deutschen Sprache fortgesetzt. Bayerns Kultusminister Zehetmair warnte vor einigen Monaten davor, die "Verhunzung unserer Sprache durch unreflektierte Übernahme von Neuheiten zuzulassen." Er bedauerte vor allem, daß Deutschland keine der "Academie Francaise" vergleichbare Einrichtung hat, die für die "Verhinderung des Sprachmülls" sorgt. Neben der Frage, ob Fremdwörter eingedeutscht und welche Schreibvereinfachungen (Tron, Asfalt) oder -änderungen (dass) eingeführt werden sollen, stört offenbar niemanden der sprachliche Unrat, der sich mit Billigung der etwa 10 sprachbetroffenen Institutionen einschließlich Dudenredaktion im Laufe der letzten Jahre angesammelt hat und weiter anwächst.

Wenn ein Nichtgermanist mit einigem Sprachgefühl den im SZ-Leserteil ausgetragenen Disput unter den Germanisten verfolgt, so muß er leider feststellen, daß auch die Fachleute in Sachen Schreibreform bisweilen daneben greifen. So war der Unterschied zwischen den Wörtern mehrfach und mehrmals weder dem Repräsentanten des Instituts für deutsche Sprache und Literatur, Prof Herrmann Zabel (SZ v. 29.04. 97) bekannt noch auf höchster Ebene im Bayerischen Staatsministerium für Unterricht, Kultus, Wissenschaft u. Kunst (SZ v. 12./13. April).

Ernst Gottfried Mahrenholz, nach Zahl und Inhalt seiner Leserbriefe in der SZ (zuletzt am 12./13. September), kennt nicht die Mehrzahl von Wort (sie sei verraten: Wörter, steht in jedem Wortebuch, pardon Wörterbuch). Auch der Rhetorik-Professor Walter Jens spricht von Worten, wenn er Wörter meint (SZ Magazin v. 10. Mai 1996). Codeworte, Paßworte, Fremdworte und Stichworte breiten sich immer weiter aus.

Politiker, nach ihrer Meinung gefragt, "gehen davon aus", statt daß sie annehmen, erwarten, vermuten, erhoffen, unterstellen, voraussetzen, glauben, damit rechnen  oder voraussagen. Diese Spechblase wird bals gesteigert werden in "Ich würde davon ausgehen, ..".

Wer moniert die ständig wachsende Zahl der "Fähigkeiten", gebildet mit dem Suffix "fähig" (schuldfähig, waffenfähig, recyclierfähig, versandfähig, zukunftsfähig, mehrheitsfähig, besteuerungsfähig, medikamentenfähig usw.), das entweder anstelle von "bar" tritt oder die sinngebenden Endungen  tauglich, geeignet, würdig zu vermeiden hilft. Die küchenfähige Hausfrau hantiert demnächst mit dem speisefähigen Topf.

Wie wenig die Feinheiten der deutschen Sprache auch auf höchster Ebene des bayerischen Finanzministeriums geläufig sind, beweist die Unkenntnis des Unterschiedes zwischen den Formulierungen "um das Fünffache" und "auf das Fünffache". Im Zusammenhang mit den Äußerungen des Ministers Erwin Huber zu den Bildungsausgaben (SZ v. 13. August) beträgt der Unterschied 66,5 Millionen DM.

Das Rechnen mit elektronischen Rechnern hat offenbar bewirkt, daß der Umgang mit dem Komparativ völlig außer Kontrolle geraten ist. Sogar in naturwissenschaftlichen Artikeln tauchen immer öfter Wertangaben auf, die entweder zweideutig oder nicht realistisch sind. Meint der Autor mit zweimal mehr das Zweifache oder das Dreifache vom Ausgangswert? Das Wort mehr sagt eigentlich nur aus, daß ein Unterschied besteht, nicht, wie groß er ist. In die entgegengesetzte Richtung gerechnet wird es nun völlig absurd. Wieviel ist zweimal weniger? Ist die Hälfte gemeint, oder ein Drittel? Der Leser darf raten. Wird der Ausgangswert um das Zweifache verringert, so ergibt dies einen (nicht gewollten und in der Regel unsinnigen) negativen Wert. Die Beispiele könnten fortgesetzt werden.

Wenn die Menschen heutzutage so oft aneinander vorbei reden, wenn die Verständnislosigkeit beklagt wird, dann liegt das nicht nur am mangelnden Interesse für einander, sondern auch an der unklaren Ausdrucksweise. Dolmetscher und Entwickler von Sprachcomputern klagen darüber, daß sie oft nicht wissen, was gemeint ist. Auch wenn es die Reformer direkt nicht beabsichtigt haben, der Streit um die Reform hat bei vielen Menschen wenigstens das Sprachbewußtsein gefördert. Hier könnten die Germanisten anknüpfen und sich intensiver darum bemühen, die Ausdruckskraft der Sprache zu erhalten.

Ulrich Werner

 



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