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Sprache / Deutsche Sprachwelt DSW / Rechtschreibrebellin Ahrens
 

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Mich stört die Sinnveränderung
vieler Wörter 
 Fragen an die Rechtschreibrebellin Josephine Ahrens
Von Wolfgang Hildebrandt

Deutsche Sprachwelt Ausgabe 22 Winter 2005/06

Viele Medien, doch bei weitem nicht alle, berichteten über die Schülerin, die sich mit der Rechtschreibreform nicht abfinden wollte. Josephine Ahrens ist mittlerweile 16 Jahre alt, wohnt in Elsfleth-Bardenfleth im Oldenburgischen und besucht die 11. Klasse des „Neuen Gymnasiums Oldenburg". Ihr Berufsziel geht in Richtung Journalismus, besonders gerne würde sie in Rundfunk und Fernsehen arbeiten. Aber auch eine Tätigkeit bei der Kriminalpolizei könnte sie sich zur Zeit sehr gut vorstellen.

Die DEUTSCHE SPRACHWELT wollte Genaueres über ihre Beweggründe erfahren, die stärker als die vielen mit dem Prozessieren verbundenen Mühen und Enttäuschungen waren; vorweg aber die Chronologie der Prozesse:

1997 reichte Familie Ahrens die erste Klage vor dem Verwaltungsgericht Hannover ein. Es ging um die Unterlassung des Unterrichts nach den Regeln der Rechtschreibreform. Das Gericht gab der Familie recht - und damit allen Gegnern der Reform. Daraufhin legte der damalige niedersächsische Kultusminister Rolf Wernstedt Revision ein. Das Verfahren ging somit an das Oberverwaltungsgericht. Dort bekam die Klägerin in einem Eilantrag ebenfalls recht.

Als Folge mußte Wernstedt auf Drängen des damaligen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder die Rechtschreibreform stoppen. Dieses Aussetzen dauerte fast ein Jahr, bis das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschied und die Rechtschreibreform für rechtens erklärte. Aber das Hauptsacheverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht in Lüneburg war noch nicht abgeschlossen. Dort wurde die Klage aber im Jahre 2001 abgewiesen, weil Karlsruhe schon 1998 entschieden hatte.

Im Jahre 2004 - Josephine war nun 15 Jahre alt und kannte sich außerdem in der Materie gut aus - erhob Familie Ahrens nochmals Klage, dieses Mal mit Josephine als Hauptklägerin. Mittlerweile war deutlich abzusehen, daß die Rechtschreibreform im August 2005 verbindlich werden würde.

Dieser Prozeß vor dem Verwaltungsgericht Hannover wurde verloren, wieder wurde Revision eingelegt.

Diesmal gab das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht Familie Ahrens in der Sache recht, und mit ihr allen Rechtschreibreformgegnern. Doch leider sah es keinen Grund, es eilig zu machen. Denn nach Überzeugung des Senats „dürfte die Antragstellerin aufgrund ihres Werdeganges [...] Manns genug sein, die Kritik an ihrer (richtigen) Schreibweise durch Lehrer, die die geltende Rechtschreibung nicht mehr dulden dürfen, zu ertragen." Außerdem „ist bei schriftlichen Abiturarbeiten der „Punkteabzug" für (angebliche) Falschschreibungen durchaus moderat: Erst bei einer schriftlichen Arbeit, die im Schnitt (!) pro Seite fünf Fehler aufweist, kommt es zum Abzug eines Punktes; bei sieben Fehlern werden zwei Punkte abgezogen".

Und abschließend heißt es: „Insgesamt ist [...] davon auszugehen, daß die Antragstellerin durch die von ihr bevorzugte (richtige) Schreibweise und Zeichensetzung so wenig beeinträchtigt wird, daß der dieses verhindernde Erlaß einer einstweiligen Anordnung entbehrlich erscheint. Ihr diesbezüglicher Antrag ist daher abzulehnen". Aber lassen wir nun Josephine Ahrens selbst zu Wort kommen:

DEUTSCHE SPRACHWELT: Der Pulverdampf hat sich verzogen, es ist Ruhe eingekehrt. Welche Zeitungen und Zeitschriften haben schon Vertretergeschickt, um Sie zu befragen?

Ahrens: Zuletzt war der Spiegel da, die Nord-West-Zeitung (Oldenburg) war mehrmals da, die Bild-Zeitung, die F.A.Z., die taz. Auch das Fernsehen hat im Laufe der Zeit immer wieder angefragt – die Deutsche Welle, das ZDF, die ARD, SAT 1, RTL,

Wie wurde über Sie berichtet? Wertneutral, oder machte man sich über Sie lustig?

Ahrens: Ausgerechnet die F.A.Z. hat sich zwar wohlwollend aber leider ein wenig doppeldeutig geäußert, wenngleich in dem Artikel nichts Falsches stand. Aber sonst kann man sagen, daß 99 Prozent der Medien objektiv berichtet und positiv eingestellt waren.

Wie war die Reaktion bei den Zuschauern?

Ahrens: Diejenigen, die mich ansprachen oder anriefen, fanden es gut, was ich da gemacht habe.

Wechseln wir zum eigentlichen Thema, zur Rechtschreibreform. Was stört Sie so sehr an der Neuregelung?

Ahrens: Mich stört unter anderem, daß Regeln aufgestellt werden, die man von nichts ableiten kann und die somit keine „echten“ Regeln sind. Des weiteren stört mich, daß der Sinn vieler Wörter durch die neuen Regeln der Getrennt- und Zusammenschreibung völlig verändert wird. Denken Sie nur an das Beispiel vom vielversprechenden und dem viel versprechenden Politiker. Auch durch die Veränderung von Groß- und Kleinschreibung kann der Sinn eines Satzes verändert werden. Außerdem kann man künftig anhand zum Beispiel der Bewerbung eines Jugendlichen erkennen, ob er eine höhere oder eine niedrigere Schulbildung hat.

Wie wird das möglich sein?

Ahrens: Die Leute mit höherem Bildungsstand wählen aus den verschiedenen Bewerbungen, die sie zugeschickt bekommen, meistens die aus, die der bewährten Rechtschreibung entsprechen. Finden sie dann noch ein und dasselbe Wort in unterschiedlicher Schreibweise, was ja in der Rechtschreibreform möglich ist, landet die Bewerbung ganz schnell im Papierkorb. da derjenige, der die bewährte Rechtschreibung gelernt hat, eine dieser Schreibweisen nicht kennt.

Viele Angehörige der jungen Generation sind mit Sicherheit Ihrer Meinung, wenn es um die Rechtschreibreform geht. Dennoch hat von denen keiner geklagt. Was hat Sie denn so zum Gegner der Reform gemacht, daß Sie sich entschlossen, zu klagen oder als Nebenklägerin aufzutreten?

Ahrens: Nun, ich war immer rechtgut in der Rechtschreibung. Als ich dann eines Tages Zucker nach der alten Regel trennte (Zuk-ker), wurde mir das in der Schule angestrichen. Nachdem ich das meinen Eltern zeigte, wunderten sie sich und informierten sich erst einmal. Sie kamen zu dem Ergebnis, daß es ja wohl nicht angehen könne, daß Leute, die sich für Experten halten; an der deutschen Sprache herumpfuschen und uns sagen, wie wir jetzt zu schreiben haben. Selbst der Duden hat immer erst geguckt, wie das allgemeine Volk schreibt, und wenn er feststellte, daß von hundert Leuten - sagen wir einmal - 90 Prozent ein Wort jetzt anders schreiben, wurde es auch dort anders geschrieben. Mit der Reform wird uns aber etwas von oben vorgeschrieben, und das kann man nicht machen.

Womit wieder einmal bewiesen ist, daß Sprache sich nicht ändert, sondern verändert wird. Wie aber stehen nun Ihre Lehrer zu Ihrer Klage gegen die Rechtschreibreform?

Ahrens: Es wird eigentlich wenig darüber geredet. Kürzlich sprach mich mein Lehrer an - ich hatte gerade eine gute Arbeit bei ihm geschrieben - und meinte, er hätte einige Wörter anstreichen müssen, habe es aber nicht getan, zum Beispiel „daß" mit „ß". Es gibt wohl unterschiedliche Meinungen, doch die meisten Lehrer sprechen das Thema nicht an. Wenn sie sich einmal dazu äußern, dann meistens positiv: Die bewährte Rechtschreibung wird wohl angestrichen, aber nicht als Fehler bewertet. Aber, wie gesagt, die meisten Lehrer äußern sich nicht dazu.

Haben sich Ihre Lehrer Ihnen gegenüber auch schon einmal über das Prozessieren als solches geäußert, also unabhängig von der Rechtschreibreform?

Ahrens: Ja, aber nur sehr wenige, vielleicht zwei oder höchstens drei, aber auch da nicht negativ.

An Ihrer Schule unterrichten ungefähr fünfzig Lehrer. Aus eigener Erfahrung kenne ich die Gleichgültigkeit vieler Germanisten gegenüber den Veränderungen und Manipulationen an der deutschen Sprache. Können Sie als Schülerin Ähnliches bei Ihren Lehrern erkennen?

Ahrens: Ich selbst habe mich dahingehend nie mit der Lehrerschaft befaßt. Meine letzte Deutschlehrerin hat sich dafür interessiert, sie hat auch gelegentlich mit mir darüber geredet. Sie war ja auch gegen die Rechtschreibreform. Aber sonst ist Desinteresse vorhanden.

Wissen denn alle Lehrer von Ihren Prozeßaktivitäten?

Ahrens: Oh ja, die wissen alle davon, da bin ich mir todsicher.

Wie ist die Unterstützung aus dem Kreis der Schüler? Gibt es überhaupt Interesse bei denen? 

Ahrens: Ein Interesse ist kaum vorhanden. Meine Freunde riefen mich selbstverständlich an, als sie mich in der Zeitung oder im Fernsehen sahen, aber grundsätzliche Fragen, wie: warum machst du das, was ist beim Prozeß herausgekommen und so weiter, stellen nur ganz wenige.

Womit begründen Sie dieses Desinteresse?

Ahrens: Bei vielen Jugendlichen steht - denke ich einmal - die Selbstfindung der Person im Vordergrund, die durch Objekte wie Klamotten unterstrichen wird, einen Freund zu haben oder nicht, auszusehen wie Heidi Klum, besonders ausgeflippt zu sein und so weiter - dieser Weg der Selbstfindung steht dem ganzen Informationsdrang im Wege.

Welche unterrichtlichen Aktivitäten werden in bezug auf die Rechtschreibreform an Ihrer Schule unternommen?

Ahrens: Damals in der 10. Klasse befaßten wir uns einmal eine Woche lang intensiv mit der Neuregelung. Wir teilten uns in Gruppen ein, in denen wir nach Regeln für die Rechtschreibreform suchen sollten. Das ganze Projekt scheiterte aber; weil es eben keine logischen Regeln dafür gibt. Ansonsten haben wir uns nie damit im Unterricht befaßt. Nun, in der Oberstufe, stehen wir ja nicht weit vom Abitur entfernt. Aber keiner sagt uns wie, warum, keiner nennt uns irgendwelche Regeln. Es kann doch wohl nicht sein, daß wir das Abitur aus Gründen der Rechtschreibreform „verhauen".

Nun kann man ja nicht sagen, daß es keine Regeln für die Rechtschreibreform gibt, mögen sie auch unlogisch und unvollständig sein. Ist ihre Beschreibung daher typisch für Ihre Schule?

Ahrens: Ich habe mich natürlich umgehört, denn ich habe auch Freunde in nördlichen Richtungen, zum Beispiel in Nordenham. Meine Freundin, Schülerin der 12. Klasse, hat davon auch nichts mitbekommen. Sie hat einmal einen gelben Zettel mit Beispielen aus der Rechtschreibreform bekommen mit der Aufforderung, den einmal durchzulesen. Und nun haben sie einen „Abiturduden" bekommen, in den sie hineinschauen sollen. Wie gesagt, ich höre selten, daß darüber informiert wird.

Glauben Sie, daß die Lehrer die Rechtschreibreform beherrschen, oder haben Sie bei denen auch schon Unsicherheiten festgestellt?

Ahrens: Ich glaube nicht unbedingt, daß die Lehrer sicher sind. Früher konnte man sie fragen, wenn man nicht wußte, wie ein Wort geschrieben wird. Seit der letzten Deutscharbeit liegt auf fast jedem Tisch ein Duden. Ich hatte vorher nie erlebt, daß so viele Menschen im Duden nachschauen mußten. Oftmals habe ich erlebt, daß mich Lehrer fragten, wenn sie etwas nicht wußten. Ich antwortete dann, in der bewährten Rechtschreibung sei es so und so geschrieben worden, und dann wurde es auch in der bewährten Rechtschreibung an die Tafel geschrieben.

Haben Sie schon einmal etwas Nettes oder Lustiges erlebt, das im Zusammenhang mit Ihrer Aktivität steht?

Ahrens: Man spürt häufig die unsicheren und fragenden Blicke: wo habe ich die schon einmal gesehen? Als ich eines Tages von einer Klassenfahrt nach Dresden kam, saß mir ein Reisender gegenüber, der die Bild-Zeitung las. Er schaute immer wieder über den Rand zu mir herüber, war sich aber nie so ganz sicher, ob ich nun das abgebildete Mädchen bin oder nicht.

Vielen Dank für das Gespräch!

 



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