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Gehirn - Geist / Gehirn u. Geist ZEIT / 2008/11 / T.Folter als Notwehr
 

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Folter als Notwehr
 Der Zank um den Staatsrechtler Horst Dreier ist erbärmlich. Er verdrängt die quälende Frage: Kann es sein, dass manchmal auch die Unterlassung der Folter die Menschenwürde verletzt?

DIE ZEIT Nr. 11 vom 6.3.2008

Die Querelen um die Wahl des Staatsrechtsprofessors Horst Dreier zum Richter am Bundesverfassungsgericht sind beschämend. Was ihm den Weg nach Karlsruhe versperren soll, ist eine Bemerkung aus seinem Kommentar zum Grundgesetz: Es seien Situationen denkbar, in denen der Staat vor der ausweglosen Alternative stehe, entweder »die Würde des Opfers oder die des Täters zu verletzen«. Gemeint sind Fälle, in denen sowohl die Anwendung als auch die Unterlassung von Folter unausweichlich zu einer Verletzung der Menschenwürde führe, sei es bei einem Verbrecher, sei es bei dessen Opfer. Dann sei der Gedanke einer rechtfertigenden Pflichtenkollision »nicht von vornherein auszuschließen«. Das bezeichnet ein ungelöstes Problem und sonst nichts. Eine seiner denkbaren Lösungen – die Abwägung der kollidierenden Pflichten – »nicht von vornherein auszuschließen« heißt offensichtlich nicht, sie zu propagieren. Es erfordert schon ein beträchtliches Maß an boshafter Ignoranz, dem Autor die hundertfach wiederholte Behauptung anzuhängen, er plädiere für die Zulässigkeit staatlicher Folter.

Analysiert man das sachliche Problem, an dem sich der Streit entzündet hat, so zeigt es freilich eine weitaus quälendere Schärfe, als Dreiers zurückhaltende Wendung andeutet. Nicht nur ist in solchen Fällen die Möglichkeit einer echten Pflichtenkollision »nicht von vornherein auszuschließen«; sie ist vielmehr unausweichlich. Dann bedeutet aber der Rechtsbefehl, eine der beiden kollidierenden Pflichten, das absolute Folterverbot, als sakrosankt zu behandeln, den Zwang zur Verletzung der anderen Pflicht und also der Menschenwürde eines Verbrechensopfers. Ein solcher Zwang gebietet, wenn er jede vorherige Abwägung beider Pflichten kategorisch ausschließt, nichts anderes als eine rechtliche Maxime offenen Unrechts.

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