Zur deutschen Sprache
Die Sprache ist ein Bild der Seele ...
www.sprache-werner.info
Zur deutschen Sprache
Die Sprache ist ein Bild der Seele ...
www.sprache-werner.info
Gehirn - Geist / Artikel Übersicht / 21. X-Die Willensfreiheit
 

  < zurück erweiterte Suche Seite drucken
 

Die Willensfreiheit
 ist ein Gefühl, das uns das Gehirn liefert

 

Eine weitere Stellungnahme    

Der SZ-Bericht vom 17.05.04 zum Thema „Wie frei ist der Mensch“, diskutiert im SZ-Forum Wissen, hat nicht nur Prof. Dr. Ernst Pöppel, Leiter des Instituts für Medizinische Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität, München, veranlaßt, in einem Leserbrief an die SZ seine Position darzulegen. (Nicht veröffentlicht wurde meine kritische Anwort an die SZ.)

Auch der Gehirnforscher Prof. Dr. Dr. h.c. Georg W. Kreutzberg vom Max-Planck-Institut, München nahm in einem Leserbrief (v. 07.06.04) an die SZ zu diesem heiklen Thema Stellung:

"Im SZ-Forum Wissen, über das Ulrich Kühne berichtet, ging es um eine alte Menschheitsfrage: Hat Homo sapiens sapiens einen freien Willen, oder ist das eine Illusion?

Der freie Wille ist ein Konstrukt des menschlichen Gehirns, das sich unserem Bewußtsein als ein Gefühl von Handlungsautonomie darstellt. Wir erfahren den freien Willen als ein tiefes, intuitives Gefühl. Anders als die Primäremotionen wie Trauer, Angst, Ekel oder Freude läßt sich dieses Gefühl den so genannten kognitiven Gefühlen zuordnen. Das sind eher vage Gefühle, wie etwas zu wissen, zu kennen, zu erkennen wie im Aha-Erlebnis, verwirrt zu sein durch Widersprüche oder auch eine „innere Stimme" zu hören wie Sonia Gandhi.

Kognitive Gefühle beruhen wohl auf einem Diskurs zwischen dem limbischen System und Teilen der Großhirnrinde wie dem vorderen cingulären Kortex und dem praefrontalen Kortex, also dem Stirnhirn. Wir sollten versuchen dieses kognitive Gefühl eines freien Willens als eine von unserem Gehirn produzierter subjektiven Wirklichkeit zu akzeptieren, die so real ist wie die vielen Konstrukte, die das Gehirn kreiert, damit wir uns in Raum und Zeit zurecht finden.

Die Hirnforschung hat uns die Vorgänge aufgezeigt, die einer bewußten Willensentscheidung vorausgehen. Sie ereignen sich im Millisekundentakt in neuronalen Netzwerken und sind durch neuroanatomische Verknüpfungen und gespeicherter Information determiniert. Dieser Neurodeterminismus ist aber nicht mehr als ein biologischer Prozeß, der nach verstandenen Regeln abläuft und der zu einem sinnvollen Verhalten des Lebewesens führen soll. Als Ergebnis gehören dazu auch der Entwurf und die Initiierung von Handlungen, die dem Agenten als autonome Tat bewußt werden. Auch wenn man einräumen muß, daß objektiv keine Wahlfreiheit besteht und die Autonomie hirnphysiologisch eine Illusion ist, so konstituiert sie doch eine personale Wirklichkeit jenseits des prozessualen Neurodeterminismus. Diese Wirklichkeit ist für unser Sosein als Mensch von größter Bedeutung.

Man kann fragen, warum uns die Evolution mit dem Gefühl, einen freien Willen zu haben, beschenkt hat. Man wird feststellen, daß hierin eine Voraussetzung zur soziokulturellen Entwicklung des Menschen liegt. Die Erfahrung des freien Willens macht ihn zum Beweger, zum Urheber von Handlung, zum Homo faber. Sie macht Handeln zum Ziel von Aufmerksamkeit und potenziert so die mit dem Tun verbundenen Lernprozesse. Mit der Erfahrung des Ich-tue-was-ich-will vermittelt sich im Handeln die Einheit von Körper und Geist. Schließlich braucht der Agent auch die Erfahrung der eigenen Handlungsautonomie, um das Handeln anderer Personen und ihr Denken zu verstehen.

Verabschieden wir uns getrost vom Zweifel an der Validität unserer Sinne. Unsere Sinnesorgane liefern uns mit höchster Präzision ein Bild von der Welt, und unser Gehirn bearbeitet diese Informationen besonders mit Rückgriff auf frühere Erfahrungen und die damit verbundenen Emotionen zu einem sinnvollen Bewußtseinsinhalt. Die Neurowissenschaften und die Kognitiven Wissenschaften haben uns gelehrt, daß es jenseits der physikalischen Wirklichkeit eine vom Gehirn kreierte Realität gibt, die eine optimale Anpassung an die Welt um uns ermöglicht. Dazu braucht es keinen externen Dirigenten, keinen cartesianischen Beobachter im Gehirn und auch keinen objektiven freien Willen.

Angenommen, es gelänge im menschlichen Gehirn ein Modul zu installieren, das wir in einem Gedankenexperiment „Freier Wille" nennen wollen (Daniel Dennett, 1984). Dieser kann tun, was er will, ohne auf die Erfahrung, die Motive, die Emotionen früherer Erlebnisse und damit verbundener Lernvorgänge zurückzugreifen. Das Resultat wäre nicht Freiheit, sondern Chaos, Fremdbestimmung statt Selbstbestimmung, Handeln ohne Grund. Die Kulturfähigkeit, ja selbst die Lebensfähigkeit eines solchen Wesens waren höchst fragwürdig."

 



zum Seitenanfang < zurück Seite drucken