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Patentwesen / Artikel Übersicht / DPA-Berlin
 

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Das Kaiserliche Patentamt in Berlin 
von Dr. Paul Limann

Erschienen im Jahre 1898

Als der Naturmensch die Entdeckung machte, daß die Wucht seines Armes durch die Benutzung eines in die Hand genommenen Steines vergrößert und durch besondere Gestaltung desselben noch vermehrt werde, als er so zum Erfinder der Steinaxt wurde, prüfte er seine Methode einzig und allein an dem Schädel seines Feindes, dann wurde die Erfindung Allgemeingut. Von Anaximander, die die Sonnenuhr erfand, von der klugen Hypatia, die uns den Aräometer schenkte, und Rhases, der zuerst den Alkohol darstellte, ist es niemals bekannt geworden, daß sie auf ihre Erfindungen ein Patent nahmen, und weder Guido von Arezzo, der die Menschheit mit dem ersten Klavier beglückte, noch Salvino degli Armati, der zuerst das Auge des Kurzsichtigen mit dem geschliffenen Glase bewaffnete, starben als Rentiers. Über das Los der Erfinder hat schon mancher geschrieben seit Polydorus Vergilius, und recht oft hatten die Biographen von Dachstuben, Hunger und Elend zu berichten. Heute ist es etwas anders geworden. Zwar hungert und friert auch heute noch mancher Erfinder, aber es ist doch schwieriger geworden, ihm den Lohn seiner Mühen zu rauben; denn der Staat greift heute ein, und das Patentamt sorgt nach Kräften dafür, daß dem Verdienste seine Krone werde. Werner Siemens und Edison, Nobel und Mannesmann haben stattliche Schätze gesammelt, und nur der französische Chemiker Turpin, der phantasiereiche Erfinder furchtbarer Sprengstoffe und Mordmaschinen, muß ab und zu mit dem Zinnlöffel speisen.

 

 

 Lesesaal im Patentamt zu Berlin

 


Wenn Henne Gensfleisch, der in der Geschichte unter dem klangvolleren Namen Johann Gutenberg bekannt ist, in unseren Tagen lebte, dann wäre er aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in die bedrängte Lage geraten, die ihm Fust und Schöffer bereiteten. Er hätte gehörig das neueste Patentgesetz durchstudiert, sich vielleicht mit einem intelligenten Patentanwalt in Verbindung gesetzt und dann in aller Form seine Maschine beim Patentamt zu Berlin angemeldet. Die kleine Summe, deren er zu diesem Zweck bedurfte, hätte wohl sein Freund, der gelehrte Konrad Homery oder Wigand Spieß, ihm vorgestreckt. Wenn heute jemand so glücklich ist, ein neues Kinderspielzeug zu erfinden, ein neues Maschinenöl oder einen Nudelschneider, so kann er sich durch rechtzeitige Befolgung der gesetzlichen Vorschriften ein hübsches Vermögen verdienen. Allerdings muß die Sache „einschlagen“, denn wenn jeder, dem eine Erfindung glückte, Millionär würde, so hätten wir allein in Deutschland in den Jahren 1877 bis 1897 von die dieser seltenen Spezies des homo communis L. 96 190 neue Exemplare erhalten: Dies ist die Zahl der in den genannten Jahren patentierten Erfindungen. Allein im Jahre 1897 wurden 18 347 Patente beantragt und 5 440 erteilt.

 

 

 Sitzung im Patentamte

 

Es ist also eine ganz gewaltige Arbeitslast, die in dem schönen Gebäude in der Luisenstraße zu Berlin bewältigt werden muß. Laufen doch täglich im Durchschnitt dreißig bis vierzig Gegenstände zur Prüfung ein. Nicht nur eine große Zahl von höheren und niederen Beamten, sondern als Sachverständige auch die ersten Autoritäten der Wissenschaft und Praxis müssen diese Last bezwingen. Welche Fülle von Gebieten muß bis in das kleinste Detail und bis zur letzten Entwicklung beherrscht werden! Gleichzeitig mit einer Erfindung im Hochbauwesen oder an den Heizungsanlagen wird vielleicht eine neue Sammelmappe, ein Pferdegeschirr, ein Zeitungshalter oder ein Sarg eingeliefert. Sogar Fußlappen, Borsten, Krawatten und Kleiderklopfer sind in dem amtlichen Verzeichnis aufgezählt; neben dem Gabelputzer und dem Eierbecher finden wir Dampf- und Elektrisiermaschinen, neben der Fußbank und der Setzerahle den Abreißkalender und das Riechfläschchen. Was immer auf dem Gebiet der Physik und Chemie, des Kunsthandwerks und der Technik, der Industrie und überall sonst der menschliche Geist von neuem ersinnt, die weltbewegende Erfindung eines Mannesmann, wie die geringfügige Neuerung im Hausgerät, alles wird im Patentamt registriert, verglichen, bis ins kleinste geprüft. Gerade ein Blick in die Thätigkeit dieser Behörde zeigt einem auch erst, auf welch ungeheuer komplizierter Maschinerie unsere Lebensführung beruht, welcher geistiger Kraftverbrauch notwendig ist, um das zu schaffen, was wir im täglichen Dasein oft als etwas ganz einfaches empfinden. Man bekommt Respekt vor dem, was geschaffen wird, wenn es auch nicht immer welterschütternde Erfindungen und umwälzende Neuerungen sind, die mit dem Passierschein versehen werden. Oder ist ein Bartschoner welterschütternd und eine Kissenklopfmaschine umwälzend? 

    

 

In der "Totenkammer" des Patentamtes. Dort lagerten die Erfindungen, die nicht zum Patent geführt hatten.

 


Henne Gensfleisch, um bei unserem Helden zu bleiben, hätte in dem Gesetz zweifellos die Bestimmung entdeckt, daß er sich mit seinem Antrage schriftlich nach Berlin zu wenden habe, und daß er der Anmeldung eine Beschreibung seiner Maschine und die erforderlichen Zeichnungen, bildliche Darstellungen, Modelle und Probestücke beifügen müsse. Natürlich hatte er sich vorher darüber zu orientieren, daß nicht schon anderswo nach seiner Methode gedruckt wurde; denn in diesem Falle würde er die Anmeldegebühr umsonst geopfert haben. Schon der Vorprüfer würde ihn auffordern, auf seine Hoffnungen zu verzichten, sicherlich aber würde die Anmeldeabteilung ihm die Unmöglichkeit, auf seine Wünsche einzugehen, mit aller Sachlichkeit plausibel machen. Eine Beschwerde hätte ihm in solchem Falle wenig gefrommt, selbst wenn er wirklich nachwiese, daß er nicht nachgeahmt, sondern selbständig „erfunden“ habe: die Priorität entscheidet, und wert zu spät kommt, der hat, wie immer, das Nachsehen. Ist das Fegerfeuer überstanden, erachtet das Patentamt die Erteilung eines Patents nicht für ausgeschlossen, so erfolgt die Bekanntmachung im „Reichsanzeiger“ und erst dann, wenn kein Einspruch erfolgt, wird die entscheidende Urkunde ausgefertigt, mit deren Hilfe unser Henne den industriösen Fust wegen unberechtigter Benutzung seiner Erfindung mit einjährigem Gefängnis und mit einer Buße von 10 000 Mark bestrafen lassen konnte.

 

        

 Patentierung abgelehnt.

 

Das Haus, in dem das Patentamt sich befindet, ist eins jener Gebäude, wie sie das neue Reich herzustellen liebt: prächtig, gediegen, vornehm innen und außen. Der Bau, dessen von Lessing mit allegorischen Figuren geschmückte Fassade eine Zierde der Luisenstraße bildet, ist auf kolossalen Zementquadern aufgeführt; von der Größe seiner Räume zeugt die Thatsache, daß die zur Heizung verwandten beiden Kessel täglich bis zu achtzig Hektoliter Kohle an Speisung verlangen. Durch drei Etagen erstreckt sich die Bibliothek, die schon jetzt über 55 000 Bände umfaßt und jedem zugänglich ist. Die technischen Bureaus und die Räume der Registratur entsprechen an Zahl und Ausdehnung natürlich einem Getriebe, das noch kompliziert wird durch die Notwendigkeit, mit dem gleichgearteten Instituten der anderen Staaten in steter Verbindung, in dauernder, gegenseitiger Kontrolle zu bleiben. So ist es erklärlich, daß das gewaltige Gebäude nicht mehr zureichte, und daß man sich zum Ankauf des Nebengebäudes genötigt sah, an dessen Stelle man einen Erweiterungsbau des Patentamtes errichtet hat. Vielleicht wird hier bald, wenn auch nicht das perpetuum mobile  und der Stein der Weisen, so doch das zierliche Modell eines wirklich brauchbaren, lenkbaren Luftschiffes patentamtlich geschützt werden.

 

 


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