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Schaut auf diese Stadt
 In Köthen/Anhalt entsteht ein Anziehungspunkt für die Sprachpflege - von Thomas Paulwitz

Deutsche Sprachwelt AUSGABE 27 Sommer 2007, S. 3 
Abdrucke mit freundlicher Genehmigung der DEUTSCHEN SPRACHWELT

Die Zeichen standen auf Sturm: Am 18. Januar tobte Orkan „Kyrill“ über Deutschland. Kaum jemand wagte sich auf die Autobahnen, die Deutsche Bahn hielt den Zugverkehr an. „Aber wer sich regelmäßig in die Wirbel der Sprachpflege wagt, läßt sich offenkundig auch von Naturgewalten nicht beeindrucken“, stellte Matthias Bartl zwei Tage später in der Mitteldeutschen Zeitung fest. Und so versammelten sich im Köthener Schloß die aus nah und fern angereisten Gründer der „Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft zu Köthen/Anhalt – Vereinigung zur Pflege der deutschen Sprache“.

Dieser neue Bund bietet ein Sammelbecken für sprachpflegerische Tätigkeiten und die Möglichkeit, eine Stadt mit großer sprachpflegerischer Tradition zu einem Anziehungs- und Ausstrahlungspunkt der Sprachpflege im deutschen Sprachraum zu machen. Kurt-Jürgen Zander, der Oberbürgermeister der 30.000-Einwohner-Stadt Köthen, unterstützt die Pläne: „Köthen auf diesem Wege zu einem Zentrum der deutschen Sprache zu entwickeln, sehe ich als ein höchst interessantes und spannendes Projekt.“ Die Arbeit der neuen Gesellschaft ist in die Zukunft gerichtet. Ein Haus für die deutsche Sprache könnte entstehen, Vorträge und Tagungen sollen Sprachfreunde nach Anhalt führen. Fernziel ist, Köthen zur „Stadt der deutschen Sprache“ zu erheben.

Tradition mit Zukunft: die Neue Fruchtbringende Gesellschaft

Während also am Abend des 18. Januar draußen der Sturm – begleitet von Hagel, Blitz und Donner – Dachziegel herunterschleuderte und Äste von den Bäumen riß, kam im Fürstenstuhl der Köthener Schloßkapelle ein neues Kind der Sprachpflege zur Welt, das eine berühmte Großmutter hat: die „Fruchtbringende Gesellschaft“ nämlich, 1617 von Fürst Ludwig I. von Anhalt-Köthen ins Leben gerufen und erster und ältester deutscher Sprachverein.

Geschichte und Gegenwart reichten sich die Hand und schlossen einen Bund für die Zukunft. Als Pate stand der Nürnberger Pegnesische Blumenorden an der Wiege, die einzige in der Barockzeit gegründete Sprachgesellschaft, die ununterbrochen besteht, von 1644 bis heute. Mit Mitgliedschaften einzelner seiner Mitglieder in der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft nimmt der Orden eine Tradition aus dem 17. Jahrhundert wieder auf, als zum Beispiel die Dichter Georg Philipp Harsdörffer (1607 bis 1658) und Sigmund von Birken (1626 bis 1681) beiden Gesellschaften angehörten. Der heutige Präses Professor Werner Kügel überbrachte eine Grußbotschaft (siehe Seite 4).

Dach für Sprachvereine

Doch auch junge Literatur- und Sprachvereine wirken mit: Die Vorsitzenden der Aktion Deutsche Sprache aus Hannover (gegründet 2006), des Sprachrettungsklubs Bautzen (1998), des Vereins für Sprachpflege (2000), der Bremerhavener Regionalgruppe des Vereins Deutsche Sprache (1997) oder der Literaturhistorischen Gesellschaft „Palmbaum“ (1993) sind Gründungsmitglieder. Die Neue Fruchtbringende Gesellschaft will der großen Zahl an Sprachinitiativen nicht einfach eine weitere hinzufügen, sondern – wie die DEUTSCHE SPRACHWELT (DSW) auch – die Reihen schließen und ein Dach für alle bieten, denen die deutsche Sprache am Herzen liegt. Die DSW empfindet dies aber nicht als Konkurrenz, sondern als sinnvolle Verfestigung und Verbreiterung der Plattform. Einzelkämpferei und Vereinskrämerei sind nicht gut für die deutsche Sprache. Daher unterstützt die DSW die Wiedergründung und wirkt von Anfang an mit.

Die „Köthener Erklärung“ (siehe Seite 4), die noch am Gründungsabend beschlossen wurde, drückt das klar aus. Es ist das Ziel der Gründer, „mit der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft für die deutsche Sprache einen Ort zu schaffen, der für die Pflege der Sprache gute Kräfte anziehen, bündeln und ausstrahlen soll. Zur Erfüllung dieser Aufgabe werden die Mitglieder gemeinsame Leitlinien entwickeln, einander unterstützen und Verbindungen zu anderen Personen und Gruppen knüpfen, die sich für die deutsche Sprache einsetzen“. Den Leitsatz  der alten Fruchtbringer „Alles zu Nutzen“ erweitert die neue Gesellschaft mit dem Wort: „Allen zu Nutzen!“

Eine Idee wird Wirklichkeit

Den Stein ins Rollen gebracht hat ein gebürtiger Köthener: Wolfgang Strempel aus Bremerhaven, Mitglied im Verein Deutsche Sprache und damit zur Regionalgruppe von Wolfgang Hildebrandt gehörend. Strempel hatte den Gedanken, daß eine „Stadt der deutschen Sprache“ nicht nur für die Stadt, sondern auch für die Sprachpflege ein nützlicher Titel sein könnte. Ende Mai des vergangenen Jahres las er die Ankündigung, daß anläßlich des 390. Gründungsjubiläums der Fruchtbringenden Gesellschaft das „Unwort des Jahres“ in seiner Heimatstadt Köthen verkündet werden sollte.

Strempel schlug deswegen im August in einem Schreiben an Oberbürgermeister Zander vor, daß Köthen den Titel „Stadt der deutschen Sprache“ annehmen solle. Der zeigte sich aufgeschlossen und lud eine Abordnung von Sprachschützern in sein Rathaus ein. So besuchten die Herren Strempel, Hildebrandt, Neemann und Paulwitz am 23. Oktober Köthen. Sehr schnell kommen sie mit dem Oberbürgermeister überein, als ersten Schritt die Fruchtbringende Gesellschaft wiederzugründen. Nicht einmal einhundert Tage später schlägt die Stunde der Wiedergeburt.

Köthens kultureller Schatz

Köthen ist reich an Geschichte und Kultur. Das Fürstentum Anhalt-Köthen bestand zwischen 1382 und 1847 und wurde von Askaniern regiert. Mit der Stadt verbinden sich Namen wie Bach, Hahnemann und Eichendorff. Johann Sebastian Bach arbeitete dort von 1717 bis 1723 als Hofkapellmeister und komponierte die Brandenburgischen Konzerte. Ihm zu Ehren werden seit 1967 die „Köthener Bachfesttage“ veranstaltet. Der Vater der Homöopathie, Samuel Hahnemann, arbeitete von 1821 bis 1834 in Köthen und schrieb dort viele seiner bekanntesten Werke. Auch Johann Friedrich Naumann (1780 bis 1857), der Begründer der modernen Vogelkunde, wirkte in Köthen. Seine berühmte Vogelsammlung ist noch heute im Naumann-Museum zu sehen. 1849 erwarb Joseph Freiherr von Eichendorff ein Haus in Köthen, das er bis 1855 immer wieder besuchte und das bis heute steht. Der Initiator der Köthener Eichendorff-Ehrungen, Norbert Pietsch, zählt zu den Gründungsmitgliedern der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft.

Historisches Vorbild: die ursprüngliche Fruchtbringende Gesellschaft

Nicht ein Sturm, sondern der tödliche Reitunfall einer Herzogin stand am Anfang der Geschichte der ursprünglichen Fruchtbringenden Gesellschaft. So fand vor 390 Jahren, am 24. August 1617, in Weimar das Begräbnis der verunglückten Dorothea Maria von Sachsen-Weimar, der Schwester des Fürsten Ludwig I. von Anhalt-Köthen statt. Während des Leichenschmauses kam das Gespräch auf die Sprachgesellschaften im Ausland. Ludwig gehörte bereits der italienischen „Accademia della Crusca“ an. Hofmarschall Kasper von Teutleben regte an, ein deutsches Gegenstück zu schaffen. Gesagt, getan. Noch am selben Tag entstand die Fruchtbringende Gesellschaft, zu deren erstem Oberhaupt Ludwig gewählt wurde. Ihr letzter Vorsitzender starb 1680.

Aus Halbwissen oder Böswilligkeit verringern manche Zeitgenossen die Tätigkeiten der barocken Sprachgesellschaften auf kauzige Verdeutschungsversuche. Gerne wird der „Gesichtserker“ angeführt, der angeblich das Wort „Nase“ ersetzen sollte. In Wirklichkeit ist dieses Beispiel frei erfunden. Tatsache ist, daß sich einige Verdeutschungsversuche wie „Anschrift“ für Adresse, „Leidenschaft“ für Passion oder „Nachruf“ für Nekrolog durchsetzten, andere wie „Zitterweh“ für Fieber oder „Meuchelpuffer“ für Pistole nicht. Die Leistungen der Fruchtbringer sind jedoch wesentlich größer, als heute gemeinhin bekannt ist. Dazu gehörten Sprachlehre, Wörterbuchmacherei, Dichtung, Sprach- und Literaturkritik, Übersetzungen oder Geschichtsschreibung.

Dafür seien an dieser Stelle nur einige herausragende Beispiele erwähnt: Die berühmten Barockdichter Andreas Gryphius und Martin Opitz waren Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft. Kaspar von Stieler (1632 bis 1707) verfaßte 1691 ein umfangreiches Wörterbuch der deutschen Sprache, in enger Abstimmung mit anderen Mitgliedern. Christian Gueintz (1592 bis 1650) schrieb im Auftrag des Fürsten Ludwig 1641 eine deutsche Sprachlehre und 1645 – mehr als 200 Jahre vor Konrad Duden – „Die deutsche Rechtschreibung“; ein Werk, das als Gemeinschaftsarbeit der Gesellschaft gilt. Fürst Ludwig war es auch, der die Lehrmethode des Pädagogen Wolfgang Ratke (1571 bis 1635) nach Köthen holte. Ratke wies der muttersprachlichen Bildung eine besonders hohe Bedeutung zu. Ludwig begann einen großen Schulversuch und betrieb für die Lehrbücher eine eigene Druckerei mit Buchhandel. So entstand in Köthen der erste deutsche Schulbuchverlag.

„In der Tat wurde die Fruchtbringende Gesellschaft […] zum organisierenden Zentrum der Sprach- und Literaturdebatte in Deutschland“, stellt Professor Klaus Conermann fest. Er ist der beste Kenner der alten Fruchtbringenden Gesellschaft und Gründungsmitglied der neuen. Er leitet die „Forschungsgruppe Fruchtbringende Gesellschaft“ der Sächsischen Akademie der Wissenschaften und der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel.

Ehrgeizige Pläne

Im 17. Jahrhundert legten Sprachfreunde wie die Fruchtbringer den Grundstein für den Aufstieg der deutschen Sprache im darauffolgenden Jahrhundert. Heute müssen wir abermals den Boden dafür bereiten, daß das Ansehen unserer Sprache steigt und sie somit einen neuen Aufschwung nehmen kann. Darum verdienen die ehrgeizigen Köthener Pläne Beachtung und Unterstützung: sei es der Sprachwettbewerb für Schüler, den die Theo-Münch-Stiftung bereit ist zu fördern; sei es ein Garten der Fruchtbringer auf historischer Grundlage; seien es Sprachpreise; seien es Fachtagungen; sei es das geplante Köthener Haus der deutschen Sprache, das als Museum, Bücherei, Begegnungs- und Fortbildungsstätte dienen könnte. Mit dem Rückhalt der Stadt ist vieles möglich. Schaut auf diese Stadt. Wenn der Mantel der Geschichte vorbeiweht, muß man versuchen, ihn zu ergreifen. Es muß ja nicht immer so sehr stürmen wie an dem denkwürdigen 18. Januar 2007.

[Kasten:]

Der Vorstand der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft

Geschäftsführender Vorstand
Vorsitzende: Prof. Dr. Uta Seewald-Heeg (Hochschulprofessorin für Computerlinguistik und Fachübersetzen)
Stellvertretender Vorsitzender: Dr. Hermann Neemann (Aktion Deutsche Sprache)
Schatzmeisterin: Sabine Villwock

Beisitzer
Thomas Paulwitz (DEUTSCHE SPRACHWELT)
Diethold Tietz (Sprachrettungsklub Bautzen/Oberlausitz)
Inge Streuber (Historisches Museum)
Prof. Dr. Winfried Lange (Professor für Angewandte Sprach- und Übersetzungswissenschaft)

Geschäftsstelle
Neue Fruchtbringende Gesellschaft zu Köthen/Anhalt e. V.
Vereinigung zur Pflege der deutschen Sprache
Marktstraße 1-3
D-06366 Köthen (Anhalt)
Telefon +49-(0)3496-425-314
Telefax +49-(0)3496-425-361

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