Zur deutschen Sprache
Die Sprache ist ein Bild der Seele ...
www.sprache-werner.info
Zur deutschen Sprache
Die Sprache ist ein Bild der Seele ...
www.sprache-werner.info
Sprache / Deutsche Sprachwelt DSW / D.Sprachintegration
 

  < zurück erweiterte Suche Seite drucken
 

Sprachintegration
Von Victoria Grigorian

Deutsche Sprachwelt AUSGABE 25 Herbst 2006, S. 10
Abdruck mit freundlicher Genehmigung der DEUTSCHEN SPRACHWELT

 

Das heutige Integrationskonzept für Einwanderer, dessen Bestandteil auch der Sprachunterricht ist, hat keinen Erfolg. Dafür ist vorwiegend die deutsche Seite verantwortlich. Zwischen 2001 und 2002 unterrichtete ich eine Spätaussiedlergruppe. Meine Teilnehmer wollten lernen und erzielten gute Leistungen. Doch die Schulleitung erklärte: „Hier ist keine Lehranstalt, sondern ein Bildungswerk für benachteiligte Jugendliche“, sprich eine Sozialstation, in der kein normaler Lernprozeß möglich ist, sondern nur zum Schein gearbeitet wird. Die Bildungsträger brauchen ihre Stammkunden, um den Fortbestand der Schule zu garantieren.

Als ich, eine Ausländerin, vor vier Jahren die deutschen Behörden auf diese Verschwendung von Geld für eine mangelhafte Sprachintegration hinwies und fragte: „Warum dulden Sie das? Lieben Sie Ihr Land nicht?“ wurde ich ausgelacht. Dabei geht es nicht nur um Geld- und Zeitverschwendung, sondern um ernsthafte Versäumnisse im Deutschunterricht, um die Ausbeutung des Staates durch Lernende und Lehrende.

 

Sehr oft treffen ausländische Deutschlehrer auf Neid, allein schon weil sie Lehrer aus Leidenschaft sind oder weil sie mehr Disziplin und Ordnung im Unterricht verlangen. Dabei gehören diese Anforderungen zum deutschen Arbeitsstil und sind überall gefragt; dafür werden Deutsche unter anderem auch geschätzt.

 

Um einen Leistungsanreiz für die Kursteilnehmer zu nehmen, sollten sie ihren Sprachkurs bewußt wählen und sich auch am Schulgeld beteiligen müssen: Je besser jemand bei der Abschlußprüfung abschneidet, desto mehr bekommt er zurück. Statt dessen herrscht Konzeptionslosigkeit. Fünf (!) unterschiedliche Lehrer während eines achtmonatigen Sprachkurses sind zwar Unsinn, aber doch keine Seltenheit. Zu allem Überfluß fehlt häufig die pädagogische Ausbildung. Dabei müßten doch alle Sinnesorgane auf die „Deutsche Welle“ eingestellt werden! Deutsch zu sprechen ist in meinem Unterricht ein absolutes Muß. Der Deutschunterricht im Doppelpack (Muttersprachler und ausländischer Deutschlehrer) ist eher eine Mogelpackung.

 

Und zu Hause wird dann auch kein Deutsch gesprochen! Wie soll sich jemand integrieren, der nach seinem kostenlosen Integrationskurs nach Hause kommt, dort das russische TV- Programm sieht und zum Abendbrot russische Erzeugnisse genießt, um danach in die Russendisko zu gehen!?! Man kann das Leben auch ohne Deutsch genießen.

 

Ich selbst wurde in einer der 15 Sowjetrepubliken in eine Minderheit hineingeboren. Für 120 Nationalitäten der ehemaligen UdSSR war Russisch die Leitkultur. Doch obwohl ich mein Abitur in russischer Sprache ablegte und mein Kind Deutsch als erste Fremdsprache wählte, erlebte ich auch die Leitkultur der Einheimischen. Natürlich war die sowjetische Leitkultur so stark ideologisch geprägt, daß sie die Minderheiten zur kulturellen Selbstaufgabe zwang. Aber nicht alle. Wo ein Wille ist, dort ist ein Weg. Mit 18 holte ich die Sprache meiner Großeltern nach. Die doppelte Leitkultur hat mich bereichert und mir die Einheimischen zu Freunden gemacht.

 

Anders als die UdSSR zwang und zwingt Deutschland niemanden zur kulturellen Selbstaufgabe. Das ist auch ein Grund, warum viele Ausländer gerade nach Deutschland kommen. Sie sollten jedoch anerkennen, daß das Dach der kulturellen Vielfalt in Deutschland eben die deutsche Kultur ist, in Frankreich die französische und so weiter. Es wäre so traurig, Pasternak und Françoise Sagan nur noch auf englisch zu erleben!

 

Diese Einstellung versuche ich schon immer auch meinen Schülern zu vermitteln. Meine deutsche Kollegin lachte mich dafür aus, machte unverständliche Anspielungen, indem sie sagte: „Manche haben ein eigenes Konzept“. So viel zur Heimatliebe einer Einheimischen.

 

Die Ausländer kämpfen in einem fremden Land ums Überleben. Sie brauchen im Deutschunterricht kein „rollendes Wörterbuch“, sondern einen Brückenbauer; jedenfalls in einem sogenannten Integrationssprachkurs, dessen Hauptproblem darin besteht, daß ein Muttersprachler außer Wörtern nichts zu vermitteln hat.

 

Die weitverbreitete Meinung, Muttersprachler seien die besseren Sprachlehrer, halte ich für falsch. Ihre Unterrichtsmethode nenne ich „mit der linken Hand das rechte Ohr kratzen“. Meine Muttersprache ist Russisch. Ich habe Deutsch als Ausländerin gelernt. Ich kenne die Lernschwierigkeiten meiner Schüler aus dem Blickwinkel eines Ausländers. Mit meiner doppelten Erfahrung – als Lernende und als Lehrende – habe ich mehr Sicherheit, um zwischen zwei Sprachen Brücken zu bauen.

 

Merkwürdig? Keinesfalls. Ich kenne die Situation, weil ich vor 15  Jahren die Sprache meines Exillandes lernen wollte. Bei einer Lehrerin, die in der Grammatik große Lücken hatte, saßen wir viel auf dem Fußboden; es wurde viel geschwätzt und gelacht. Ein anderer Lehrer plauderte gern aus seinem Privatleben, unterrichtete auch in Abendkursen, um die weiteren „Kindermachereien“ mit seiner Frau zu vermeiden: „La boutique est fermée“, hieß es.

 

Doch endlich fand ich sie: eine kompetente und verantwortungsvolle Französischlehrerin – ungarischer Herkunft. Es reicht eben nicht aus, die eigene Muttersprache zu beherrschen und darin diplomiert zu sein. Um zu wissen, wie eine Sprache (auch die eigene) „atmet“, muß man drei weitere fremde Sprachen kennen. Um sie zu unterrichten, braucht man eine besondere Lebensphilosophie, ganz zu schweigen von Sprachleidenschaft und -qualifikation. Es ist erstaunlich, wie leicht man unterrichten kann, wenn man sich auf andere Sprachen beziehen kann. Nur bei Mehrsprachigkeit kann ein Sprachlehrer Qualität bieten.

 

Warum? Muttersprachlichen Lehrern fehlt oft die professionelle Vision. Sie reden gerne viel und vermitteln nichts. Liegt es daran, daß Europa so klein ist? Rußland ist groß, deshalb erwarten die Leute von dort, daß der Lehrstoff im Großmaßstab, mit gut erkennbaren Konturen, gleichzeitig aber konkret angeboten wird. „Angesicht zu Angesicht sieht man nichts, das Große sieht man nur von weitem.“ (S. Jessenin).  Man darf deshalb ein grammatisches Gesamtbild nicht allzu sehr zergliedern. Die Grammatik funktioniert ähnlich wie die Mathematik. Wenn man genau hinschaut, findet man Regeln und Formen von selbst.

 

Manche behaupten, Deutsch sei schwierig; ein Irrtum! Russisch und Französisch sind viel schwieriger. Deutsch ist logisch, gut geordnet und leicht: eine Regel – eine Ausnahme; im Russischen: eine Regel – 5 Ausnahmen, geschweige denn im Französischen, bei dem die Grammatik nach der Pfeife der Phonetik tanzt. Was glauben Sie, warum wohl Französisch so wunderbar schön ist! Trotzdem glauben die Franzosen, Deutsch sei elitär und schwierig, es gilt nicht als nützlich. Meiner Meinung nach ist das eine politische Blindheit. Sollten uns nicht unsere nächsten Nachbarn zu besten Freunden werden? Auf dem Weg ins geeinte Europa, wo Mehrsprachigkeit gefragt ist, sollte für Deutsche Französisch und für Franzosen Deutsch genauso wichtig sein wie Englisch.

 

Darüber hinaus muß man auch in größeren Dimensionen denken und den Blick einmal nach Osten richten, sprich: Russisch lernen. Immerhin wird es auf einem Sechstel des Erdballs gesprochen. In vielen Ländern ist es nichts Ungewöhnliches, wenn sich jemand in drei bis vier Sprachen verständigen kann.

 

Victoria Grigorian leitet eine private Sprachenschule in Berlin. Sie ist Diplom-Germanistin. Ihre Unterrichtsmethode gründet auf der vergleichenden Sprachwissenschaft. Ihr Wahlspruch: „Mit jeder Sprache, die Du kannst, bist Du ein Mensch  mehr.“

 

www.victoryschoolberlin.de

Kostenloses Probeexemplar der Zeitschrift

zum Buchdienst der Deutschen Sprachwelt

 



zum Seitenanfang < zurück Seite drucken