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Bildung Grade Titel XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX / Zuschriften - Kritik / Meine Dissertation
 

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"Meine Dissertation ist kein Klatschroman"

 Ein Dr. med. fühlt sich tief getroffen

Brtief vom 18.12.2003

Dr. med. A. K. schrieb (Originalformat)

Sehr geehrter Herr Werner,
seit gestern habe ich nun auch einen so schändlichen Dr. med. Sie meinen, die Anrede mit Herr Dr. oder Frau Dr. sei nicht mehr zeitgemäß. Ich finde das Verhalten der Bevölkerung zur Zeit zeitgemäß. Ich habe Kontakt zu vielen Patienten, die sehr viel Wert auf den Titel legen (ob dies begründet ist sei dahingestellt, es ist faktisch eben so).

Ich bin der Meinung, die Bürger sind differenziert genug, zu wissen, dass nicht jeder Dr. gleich ein Arzt sein muss, überhaupt scheinen Sie sich am Dr. zu stören, warum gibt es ihn dann, kann man dann doch auch weglassen, oder, da finde ich das Di. vorm Namen aber noch viel lächerlicher. Außerdem kann ich nicht behaupten, dass meine Dissertation ein Klatschroman ist, im Gegenteil, es ist eine originäre fundamentale Abhandlung über ein neues Forschungsgebiet in der Medizin, wo 3 Jahre harte Arbeit enthalten sind, EXTRA-Arbeit, die zeigt, dass man zur wissenschaftl. Arbeit befähigt ist. Sie mögen sagen, so etwas muss man nicht honorieren, dann lassen wir doch gleich alle Titel weg, MDs gibt es dann nicht mehr, wofür braucht der Amerikaner dann PhD. Programme? Klar können auch unpromovierte Menschen genauso arbeiten, sind ebenso belastbar und haben Befähigungen, aber das trifft auf alles zu, dann braucht es gar keine Titel zu geben, ich verstehe Ihre Aufregung nicht wirklich. MfG Dr. med. A. K.

Meine Antwort:

Sehr geehrter Herr Doktor der Medizin,

Sie haben ihn also, nicht einen Titel, sondern einen akademischen Grad, und nicht, wie zunächst vermutet, käuflich erworben, sondern durch Studium erlangt, was Sie später im Brief offenbaren. Nehmen Sie meine herzliche Anerkennung entgegen. Ein bestandenes Examen ist immer ein Anlaß, sich zu freuen und stolz auf seine Leistung zu sein. Bedauerlich ist nur, daß andere sie meistens nicht beurteilen können.

Unerklärlich ist mir, warum Sie den „Dr. med.“ nach angeblich 3 Jahren harter „EXTRA-Arbeit“ und der „originären fundamentalen Abhandlung über ein neues Forschungsgebiet“ als „schändlich“ bezeichnen. Wenn Sie den Eindruck erwecken wollen, ich würde in meiner Homepage den Dr.-Grad als einen Schande bringenden Abschluß des Studiums hinstellen, wäre es notwendig, eine derart absurde Abwertung nachzuweisen. Offenbar haben Sie meine Darlegungen zu den akademischen Graden nicht verstanden oder nicht so aufmerksam gelesen, wie es von einem zu "wissenschaftlicher Arbeit Befähigten“ erwartet wird, wenn er dazu Stellung nehmen will.

Ihr Brief insgesamt, sehr geehrter Herr Doktor der Medizin, bereitet mir große Schwierigkeiten zu erkennen, was Sie mir, abgesehen von Unterstellungen, eigentlich mitteilen wollen. Wenn Sie Ihre Dissertation im gleichen Stil abgefaßt haben, würde es sich wegen der Neuheit des Forschungsgebietes lohnen, einen Forschungsauftrag zum Entschlüsseln des sachlichen Inhalts Ihrer Dissertation zu vergeben. Ist dieses neue Forschungsgebiet etwa so außergewöhnlich, daß es Behauptungen zuläßt, die nicht zu begründen sind?

Hier einige Beispiele für den sprachlich holprigen Eiertanz, den Sie aufgeführt haben: Sie finden das Verhalten der Bevölkerung zeitgemäß. Welches Verhalten? Kennen Sie die gesamte Bevölkerung? Sie „haben Kontakt zu vielen Patienten, die sehr viel Wert auf den Titel legen.“ Wessen "Titel", deren oder Ihren? Ich kenne viele Bürger und vor allem Prominente, die keinen Wert auf ihre akademische Verzierung legen. Ohne Bezug zu meinen Darlegungen in der Homepage steht Ihre Meinung, die Bürger seien differenziert (?, = unterschiedlich) genug, zu wissen, dass nicht jeder „Dr.“ gleich ein Arzt sein muss“.

Das Thema hat Sie, sehr geehrter Herr Doktor der Medizin, offenbar derart verwirrt, daß Sie nicht gemerkt haben, wie Sie Ihre eigene Meinung konterkarieren, und zwar mit der Aussage, man könnte den Dr. auch weglassen. „Klar“, schreiben Sie, „können auch „unpromovierte Menschen“ genauso arbeiten, sind belastbar und haben Befähigungen“. Welch’ fundamentale Einsicht! Auch mit Ihrer Feststellung: „Aber das trifft auf alles zu, dann braucht es gar keine Titel zu geben“ nähern Sie sich meiner Meinung, die Sie doch ablehnen! Verzichten Sie mit den anderen Promovierten auf den „Dr.“ und ich streiche sofort den „Di.“

In Ihrem emotional fehlgesteuerten Eifer ist Ihnen ferner entgangen, daß Sie auch die Buchstaben „Dr.“ vor dem Namen als lächerlich betrachten. Nicht nur Ihre Standeskollegen werden darüber den Kopf schütteln.

Verehrter Herr Doktor der Medizin, erlauben Sie mir ein paar Ratschläge für Ihr hoffentlich noch langes Leben:

  • Lesen sie viele Bücher von bekannten Schriftstellern, damit Ihr Deutsch nicht wie das eines Volkschülers lesbar ist.
  • Lesen Sie wissenschaftliche Abhandlungen, damit Sie lernen, schlüssig zu argumentieren, z. B. meinen Artikel über den Rückbezug in Unteransprüchen.
  • Informieren Sie sich genau, bevor Sie eine andere Meinung kritisieren, und vor allem über die Person, deren Leistung Sie abwerten.
  • Bedenken Sie, daß nicht Dauer oder Seitenzahl einer Dissertation eine Garantie für die Qualität der Leistung ist und der akad. Grad keine Gewähr für lebenslange besondere Leistung gibt.
  • Ihre Vorliebe für (nicht allgemein übliche) Abkürzungen sollte wenigstens am Ende eines Briefes der Höflichkeit untergeordnet werden.

Nach 3 harten Arbeitsjahren für den Dr. med. stehen Ihnen noch härtere Jahre zum Erwerb von Lebenserfahrung bevor. Ich empfehle Ihnen, den Meinungsaustausch zwischen zwei promovierten Juristen über den Dr.-Grad zu lesen, der kürzlich in der F.A.Z. veröffentlicht wurde.

Es würde mich freuen, wenn ich Sie wenigstens etwas nachdenklich stimmen konnte.

Mit freundlichen Grüßen
Ulrich Werner

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