Heinrich Himmler war nicht unfreundlich, er lächelte, er habe sie eine Weile betrachtet, erinnert sich Lina Haag.
Sind Sie Kommunistin?, fragte er, und Lina Haag antwortete: ja. Aber wir Kommunisten sind nicht das Gesindel, für das man uns hält. Wir haben aus Idealismus gekämpft.
Himmler wollte dann wissen, an jenem Tag im Januar 1940, ob sie denn mittlerweile eingesehen habe, dass dieser Idealismus falsch gewesen sei?
Ich habe immer nur dafür gekämpft, was ich für gut und recht gehalten habe. Auch mein Mann hat nur dafür gekämpft, sagte sie.
Und jetzt?, fragte Himmler, soll ich Ihren Mann freigeben?
Sie war damals, vor knapp 68 Jahren, im Hauptquartier der Gestapo, im Büro des Reichsführers der SS, 33 Jahre alt. Heute ist Lina Haag 100 Jahre alt, sie öffnet die Tür ihres Münchner Reihenhauses, sie grüßt flüchtig, dreht sich um, geht zurück in ihr Wohnzimmer, das vollsteht mit Büchern, in Regalen, auf Stapeln, in Kartons verpackt. Es sieht nach Einzug aus oder nach Auszug.
Lina Haag lehnt ihren Stock an das Sofa. Als er langsam auf den tiefen Teppich sinkt, grummelt sie ein paar Wörter, die nicht zu verstehen sind.
Sie ist nicht gern 100 Jahre alt. Sie findet vieles anstrengend seit einiger Zeit, seit fünf oder sechs Jahren vielleicht, seit wann genau, das weiß sie nicht.
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