»Bloß nicht alles auf- und abarbeiten«
Liebesgeschichten können auch gut ausgehen: Die Paartherapeutin Rosmarie Welter-Endelin über süße und schlechte Geheimnisse und die heilende Kraft des Erzählens

DIE ZEIT Nr. 34 vom 17.08.2006

DIE ZEIT: Frau Welter-Enderlin, haben sich die Geschichten, die Sie als Therapeutin von Ihren Patienten gehört haben, im Lauf der Zeit geändert?

Rosmarie Welter-Enderlin: Nein, eher hat sich bei mir vieles verändert. Lange Zeit habe ich die Geschichten als etwas betrachtet, das die Patienten loswerden müssen, damit sie Kontakt zu mir finden können. Inzwischen sehe ich die Geschichten viel mehr als eine Quelle von Verstehen der Ressourcen, aber auch der traumatischen Ereignisse. Gerade vorhin war ein Paar hier aus dem Kanton Glarus, also einem Bergkanton. Beide waren sehr schüchtern, weil sie noch nie so etwas gemacht haben. Ich habe sie einfach gefragt: Was sind die wichtigen Ereignisse in ihrer Kindheit? Sofort war Tauwetter. Der Mann war 13, als sein Vater gestorben ist. Als mittleres von sieben Kindern hat er sofort seine Rolle übernommen. Die Frau kommt aus einer Metzger-Familie mit fünf Kindern, Mutter und Vater waren ständig im Geschäft. Sie hat sich in typisch weiblicher Manier um ihre Brüder gekümmert. Und was machen die beiden jetzt miteinander? Sie wiederholen das, womit sie aufgewachsen sind, und weil sie das nicht mögen, bekämpfen sie sich.

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