Im Deutschen gibt es über dreihundert Wörter, die auf „-ling" enden, Zusammensetzungen mitgerechnet. Darunter finden sich Fremdlinge wie „Feeling", „Peeling", „Tackling" und „Assembling", die sächlich sind, sowie die Reling, die weiblich - und eigentlich auch Importware ist (von „railing"). Alle bodenständigen Linge aber sind männlich, und man könnte folglich annehmen, daß sie typisch männliche Eigenschaften besitzen. Feminanzen würden dem sofort zustimmen: Lüstling, Wüstling, Frechling, Rohling, Feigling.
Ganz so einfach ist es allerdings nicht: Es gibt weibliche Schädlinge. Und weibliche Häftlinge, die wohl nicht allesamt nur Opfer sexistischer Strafjustiz sein können. Und der Darling - ebenfalls ein fremder Eindringling - ist sogar meistens weiblich, ohne daß man es äußerlich merkt. Linge dulden eben keine weiblichen Endungen. Doch nicht nur in dieser Hinsicht stehen sie mit der politischen Korrektheit auf Kriegsfuß: Sie vertragen sich kaum mit Fremdwörtern und sind daher auch irgendwie fremdenfeindlich. Sogar die Mischlinge, die sonst wohl Mixlinge oder Melangelinge heißen würden.
Aber sehen wir uns erst einmal an, wie Linge zustande kommen: Der Dümmling ist dumm, der Feigling feige, der frechling frech, der Fremdling fremd, der jüngling jung, der Rohling roh und der Schünling schön. Halt der Schönling ist nicht einfach schön, sondern zu schön. und der Weichling ist nicht weich, sondern weichlich. Und der Frühling? Selbst wenn er spät kommt, ist er kein Spätling, und wenn er zu früh kommt, kein Zufrühling. Andererseits kann man noch so alt sein, und doch wird man kein Ältling. Und zum Dümmling gibt es keinen Klügling, zum Rohling keinen Garling und zum Weitling, wie man in Österreich ein großes Küchengeschirr nennt, gibt es keinen Engling. Nur den Engerling, aber den dafür gleich in der Steigerungsform, weil er ein arger Schädling ist, ehe er sich als Maikäfer entpuppt.
Neben den Lingen, die etwas sind - dazu zählen noch Fieslinge, Finsterlinge, Mieslinge, Naivlinge, Neulinge, Primitivlinge, Schwächlinge, Wideringe, Wildlinge und Winzlinge gibt es welche, die etwas tun oder getan haben: Eindringlinge, Emporkömmlinge, Flüchtlinge, Keimlinge und Schädlinge. Andere zeichnen sich dadurch aus, daß mit ihnen etwas getan wird oder wurde: Lehrlinge und Anlernlinge, Zöglinge und Pfleglinge, Täuflinge und Firmlinge, Prüflinge und Schützlinge, vereinzelte Findlinge und massenweise Setzlinge. Schließlich noch Sträflinge und Schüblinge, wobei letztere entweder Schubhäftlinge sind oder zu den Wurstsorten zählen. Privilegiert ist übrigens der Schnittling, wie der Schnittlauch mancherorts heißt, denn werden nicht auch andere Nutzpflanzen geschnitten?
Säugling ist man, wenn man gesäugt wird - obwohl man selber saugen muß. Bezogen auf die Eltern ist man ein Sprößling, bezogen auf weitere Vorfahren ein Abkömmling und als Erstgeborener ein Erstling. Dann wird es Routine, denn von Zweitlingen oder Drittlingen redet keiner. Kommt man in Begleitung, ist man Zwilling, Drilling oder sonstiger Mehrling. Frischlinge kommen prinzipiell nie alleine, doch selbst eine Zuchtsau schafft höchstens Zwölflinge, weil mit mehrsilbigen Grundzahlwörtern das Sprachempfinden überfordert wäre.
Zweideutig wie der Schübling ist auch der Bückling - manchmal genießbar, manchmal nicht. Zu den Pilzlingen zählt der Täubling, der taubengrau sein soll, und der Pfifferling, der angeblich von Pfeffer kommt, weshalb man ihn Eierschwammerl nennt, wenn man keine scharfe Kost verträgt. Daß der Sonderling in kein Schema paßt, leuchtet ein. Beim Däumling, Schierling, Sperling und Wölfling ist das weniger plausibel. Und beim Schilling? Na, der ist sowieso Geschichte.
Auf der Suche nach einem regelhaften Zusammenhang zwischen Form und Bedeutung stößt man schließlich noch darauf, daß Dichterling, Ehrgeizling, Emporkömmling, Frömmling, Günstling, Höfling, Hübschling, Kämmerling, Schönling, Schreiberling, Silberling und Söldling allesamt eine negative oder abwertende Bedeutung haben, ohne daß eine solche bereits im Grundwort enthalten wäre! Ließe sich die Endung „-ling" daher als Pejorativ-Morphem verwenden, als eine Ableitungssilbe mit Verschlechterungsfunktion? Morpheme zur Verschlechterung oder Vergröberung eines Grundwortes gibt es tatsächlich in manchen Sprachen - während wir unsere Abwertungsbedürfnisse meist durch Zusammensetzungen befriedigen, in denen der „sch"-Laut eine tragende Rolle spielt. Nicht gerade die feine Art.
Wie wär's daher mit etwas mehr Kreativität? Etwa Prinzling für bestimmte Schlagzeilenlieferanten. Oder (Aal-)Glättling, Zögerling, Geiferling, Laberling, Plapperling, Forderling für diesen und jenen Politiker. Auch Drückling (statt Drückeberger), Säuberling (für ein Putztrupp-Mitglied); Sängerling, Eiferling, Alberling, Lächerling, Dokterling, Gutling, Dumpfling und Wehwehling wären durchaus verständlich.
Ganz allgemein sei hiermit dazu aufgerufen, viel mehr als derzeit üblich die Techniken der Wortableitung (Derivation) statt die der Zusammensetzung (Komposition) anzuwenden. Ableitungen sind kürzer als Zusammensetzungen und haben schon allein deswegen bessere Aussichten im Konkurrenzkampf mit Anglizismen. Manche Gelegenheitsbildung, die zunächst vielleicht nur im Zusammenhang verständlich ist, könnte allgemein gebräuchlich werden - und wer würde nicht gerne als deren Schöpfer in einem etymologischen Wörterbuch aufscheinen? Daß die Linge mit Linguistik zu tun haben, das wird jedenfalls keiner mehr bestreiten.
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