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Sprache / Wiener Sprachblätter WSB / WSB Wörter u. Unwörter ab 2001 / Wörter und Unwörter 2002
 

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Wörter und Unwörter, Sprachwahrer und Sprachbanausen des Jahres 2002
 

Mitgeteilt von Gottfried Fischer - Schriftleiter des Vereins "Muttersprache", 15.1.2008


Wörter des Jahres

Die Wörter des Jahres werden nicht nach ihrer Schönheit, sondern nach ihrer Bedeutung gewählt. Maßstab für ihre Wahl sind die Einsendungen und das Auftreten in den Medien.

1. Jahrhunderthochwasser. Kein Ereignis hat mehr Schlagzeilen hervorgerufen und eine so verheerende Wirkung auf viele Menschen in Österreich und der Bundesrepublik Deutschland ausgeübt. Häuser wurden schwer beschädigt oder völlig zerstört, weggespült, Brücken wurden weggerissen, als wären sie aus Holz, die Infrastruktur erlitt schwere Schäden; niemand wird das eindringliche Bild der fast ganz im Wasser versunkenen Züge auf dem Hauptbahnhof Dresden vergessen können. Die zehnjährige, aufopferungsvolle Aufbauarbeit in Teilen der neuen Bundesländer wurde in wenigen Tagen vernichtet. Bis heute steht das Wasser in den Kellern mancher Wohnhäuser; wenn der Besitzer sie auspumpt, ist das Wasser am folgenden Tag wieder da, denn der Grundwasserspiegel ist noch immer nicht zurückgegangen. Erfreulich war die Hilfsbereitschaft ungezählter Mitbürger, die Freizeit und Geld opferten, um ihren Landsleuten zu helfen.

Zum Wort: Jahrhunderthochwasser ist eine Bildung mit dem "Präfixoid" Jahrhundert-, das ausdrückt, daß etwas nur einmal im Jahrhundert oder äußerst selten vorkommt; in unserem Fall kann man die Bedeutung wörtlich nehmen, denn ein solches Naturunheil gab es das letzte Mal vor weit mehr als hundert Jahren. Andere Bildungen mit dem Präfixoid Jahrhundert- aus unserem Archiv: -anstrengung, -aufführung, -aufgabe (die Wiedervereinigung), -aufnahme, -bauwerk (u.a. der Eurotunnel), -bedeutung (K. Lorenz war der letzte Österreicher von J.), -begabung, -biographie, -deal, -debatte, -denker, -desaster, -Dürre, -entdeckung, -ereignis, -fall, -figur, -flut (Köln), -fund, -gesetz, -hochwasser (schon 1999 in den neuen Bundesländern, aber nicht so verheerend wie jetzt), -investition, -kerl, -künstler, -lösung, -maler (Picasso), -mann (Ernst Jünger), -medikament, -mörder, -pleite, -projekt, -prozeß, -raub, -reform, -regen, -rekordmarke (Rheinhochwasser), -schriftsteller, -sommer, -suche, -tänzer, -überschwemmung (Rhein), -verbrechen, -vertrag, -wahlkampf, -wein, -werk (auch von einem Gesetz gesagt). Um zu steigern, wurde in den letzten Jahren Jahrtausend- verwendet: Jahrtausend-Betrug, Jahrtausendkanzler (Kohl), Jahrtausendrätsel (Pyramiden), Jahrtausend-Uhr, Jahrtausendverbrechen.

2. Teuro. Obwohl uns immer wieder das Gegenteil versichert wird, hatten viele Österreicher und Bundesdeutsche das Gefühl, daß durch die Einführung des Euros alles teurer geworden ist. Da sich im Warenkorb, in dem die Waren liegen, deren Preise mit denen des Vorjahres verglichen werden, heutzutage auch viele Luxusgüter befinden, kann es sein, daß diese billiger geworden sind, die Waren des Alltagsgebrauchs jedoch teurer. Das Wort wurde zum ersten Mal im Februar 2002 in der Zeitschrift Focus verwendet.

3. Benesch-Dekrete. In Österreich wurde viel über diese Gesetze, die immerhin zu Vertreibung, Enteignung und vielfach sogar zur Ermordung von Karpaten- und Sudetendeutschen (3,5 Mio) führten, gesprochen. Man verlangte zuerst die Abschaffung der Dekrete, dann zumindest eine "Geste", die Besinnung zeigen sollte. Beides wurde abgelehnt, wobei unklar blieb, wie stark der Druck der EU-Freundesstaaten auf Tschechien war. Von österreichischer Seite war sogar eine Zeitlang von einem Veto gegen den Beitritt der Tschechischen Republik zur EU die Rede, in Politik und Medien. Nach der Wahl war nichts mehr davon zu hören.

4. Erdrutschsieg. Die Wahl zum Nationalrat Österreichs am 24. November 2002 (vgl. S. 17) war einzigartig in der Geschichte der II. Republik. Noch nie war eine Partei von dem dritten auf den ersten Platz geschnellt, noch nie hatte eine Partei so viele Stimmen dazugewonnen wie die ÖVP, noch nie hatte eine Partei fast zwei Drittel ihrer Wähler verloren wie die FPÖ, und seit mehr als drei Jahrzehnten kam die siegesverwöhnte SPÖ nicht auf den ersten Platz (unsere jüngeren Mitbürger hatten das noch nie erlebt).

5. Enronitis. Dieses Wort wurde mittels der aus dem Altgriechischen stammenden (dort selten verwendeten), Krankheiten bezeichnenden Nachsilbe -itis vom Unternehmensnamen Enron abgeleitet, nachdem dem Enron-Skandal, einem der größten Finanzbetrügereien der Weltgeschichte, weitere ähnlich geartete Skandale gefolgt waren. Mit dem Wort ist auch die Angst verbunden, die vor neuen, riesigen, unübersichtlichen Unternehmen herrscht, deren Luftbuchungen oder Scheingeschäfte nicht durchschaubar sind oder die überhaupt Scheinfirmen sind; das Vertrauen in die Sittlichkeit der Unternehmer ist erschüttert worden.

6. Vizeweltmeister. Aus der belächelten, von niemandem ernst genommenen deutschen Mannschaft, der fast jeder das Ausscheiden in der Vorrunde vorhersagte, wurde der zweite Weltmeister. Das tat der geschundenen deutschen Fußballseele gut, entsprechend ausführlich wurde der Erfolg gefeiert.

Weitere Wörter, die (mehrmals) vorgeschlagen wurden und wichtig für das Jahr 2002 waren:

Abfangjäger, Aktienblase, AKW Temelín, Friedensbemühungen, Fußball-WM, Gier, Irakkrise, Kinderporno im Weltnetz, Kirch-Pleite, Knittelfeld, Osterweiterung (beschlossen in Kopenhagen), Pensionsvorsorge, PISA-Studie, Präventivschlag, Rechtsruck (Frankreich, Niederlande; Paretiobmann Pim Fortuyn erschossen), Reformbedarf, Tierschutz, Transitfrage, Universitätsreform, Waffeninspektoren (im Irak), Wahlbetrug (Bundesrepublik Deutschland), Zukunftsstiftung Landwirtschaft (will Vermischung von bisherigem Saatgut mit gentechnisch verändertem verhindern).


Unwörter des Jahres

1. Schurkenstaat. Mit diesem Begriff (engl. rogue state), den führende Politiker der Vereinigten Staaten verwenden, wird ein gesamter Staat, und immerhin gehören dazu auch seine Bewohner, unbedacht, ohne Unterscheidungen zu treffen, als Verbrecher abgestempelt. Vereinfachtes Denken zeigen ebenso die Wörter Achse des Bösen und Terrorstaaten.

2. The Cannibal Cafe Forum. Die meisten von uns dachten, daß der Kannibalismus seit Tausenden Jahren eine überwundene Erscheinung in Europa sei und das Wort Menschenfresserei nur mehr in Witzen vorkomme. Durch die grauenhaften Vorfälle in Rothenburg wurden wir eines besseren belehrt, in der "Fun-Gesellschaft" ist alles möglich. Das Unwort ist der Name einer Weltnetzseite (Internet site), auf der solche Abartigkeiten angepriesen werden, sie hat den urzeitlichen Verbrecher zu seiner Tat ermuntert und ein Opfer finden lassen. Diese Weltnetzseite stehe auch für andere, auf der hemmungslose Menschen ihre verfehlten Triebe ausleben, z. B. Seiten mit Kinderpornographie. Wir fragen uns, wie es möglich ist, daß es solche Seiten gibt.

3. Wirelessen. Von all den denglischen Unwörtern, die uns derzeit aufgedrängt werden, ist dieses wohl das häßlichste. Es wird in Anzeigen von Toshiba verwendet. Es handelt sich um ein Zeitwort(!). Sinngemäß heißt es "drahtlose Verbindungen zwischen Rechner und Maus oder Tastatur sowie anderen Teilen aufzubauen, um keine Kabel mehr verwenden zu müssen" (wir danken Herrn Ulrich Eisele aus Liechtenstein für Einsendung und Erläuterung). Wie da wohl die Vergangenheit lautet? Ich habe wiregelesst? Oder gewirelesst? Viele andere Denglizismen wurden uns als Unwörter vorgeschlagen: Gender mainstreaming (Gleichstellung der Frauen: ist dieser Begriff verständlich, aussagekräftig, notwendig? Auch für Engländer schwer zu verstehen), gecancelled, mittalken, Powerfood (Billawerbung), Superstar-Moderator, gelauncht (Deutsche Post), Investigating, Kids, News flash (ORF), facility management (= Hausmeistertätigkeiten), Powerfood, Wellness, Multichefeventmanager (ORF, Sport am Sonntag, 15. 12. 2002), geratet (die gerateten Länder = "die eingestuften Länder"), benchmarking, Song (statt Lied), gerankt (leicht zu verwechseln mit deutsch gerankt), eye-line (gibt es im Engl. nicht!)

4. Tschüsserl. Da viele der politischen Gegner glaubten, daß Bundeskanzler Schüssel nach einem bedeutenden Wahlverlust der ÖVP sein Amt verlieren werde, wurde dieser Spottbegriff geprägt. Man sollte aber keine Spiele mit Namen treiben, weil es sich dabei nicht um Sachkritik handelt, sondern um Untergriffe.

5. "Geiz ist geil." Dieser Werbespruch von Saturn zeigt, daß die Werbung alle Schamgrenzen hinter sich gelassen hat. Bei Geiz handelt es sich nicht um eine witzige Schrulle, sondern um eine Eigenschaft, die dem Betroffenen und seiner Umgebung das Leben zur Hölle machen kann. Der Erfinder dieses geistlosen Spruchs sollte sich Molières "Der Geizige" ansehen, ein Lustspiel, das in Wahrheit sehr tragisch ist. Geiz wird von alters her verachtet, das Christentum zählt ihn sogar zu den sieben Todsünden. Weitere dumme Sprüche sind: "Ich bin doch nicht blöd" (Mediamärkte); "Solange die Natur noch strahlt, sprudeln die Quellen" (Grauhofquellen).

Weitere Unwörter, die (mehrmals) vorgeschlagen wurden:

Abkürzung AUT für Österreich (klingt wie out), aufoktroyieren (statt oktroyieren, besser: deutsch aufzwingen, aufdrängen), Fernwehbauch, freisetzen (= kündigen, als ob jemand liebenswürdigerweise freigelassen würde, der gefangen war), Gebühren- und Tarifanpassung (statt ehrlich: Erhöhung), Gelassenheit (signalisieren) – Entwarnung geben – "kein Grund zur Panik" (Mittel, um Gleichgültigkeit gegenüber wichtigen Fragen z. B. der Muttersprache, zu verbrämen), GVO (Gentechnisch veränderte Organismen), Hartz-Kommission, humanitäre Katastrophe, kampfsparen, kluge Politik (Spezialität Schröders), Knackpunkt (beliebt bei deutschen Politikern), man statt ich (eine "man-ie"), Netikette (oft übertrieben strenge Umgangsregeln im Weltnetz), Nulldefizit, Olympiade (statt Olympische Spiele), sich austauschen, Unwort (das mußte ja einmal kommen!), Veto, vor Ort sein (statt am Ort), zumüllen (unüberlegte abwertende Bezeichnung für E-Post-Zusendungen).

Sprachwahrer des Jahres

Frau Elisabeth Thonhauser († 22. 11. 2002)

Trotz ihrer schweren, todbringenden Krankheit sammelte Frau Thonhauser 1326 Unterschriften gegen Denglisch, weit mehr als jedes andere Mitglied. Wir bewundern diesen übermenschlichen Einsatz jemandes, der vor dem Tod steht, für die Zukunft unserer Muttersprache und trauern um unser Mitglied und einen sehr netten Menschen.

Sprachbanausen des Jahres 2002

ORF: besonderes Mißfallen hat bei den Einsendern erregt, daß das österreichische Fernsehen nicht besonders vorbildliche Sprache benutzt, sondern im Gegenteil besonders abstoßende. Neben zahllosen Verstößen gegen die deutsche Grammatik, die jeden Tag zu hören sind, verärgert der ORF die Österreicher mit der Ersetzung muttersprachlicher Wörter durch denglische Mißklänge: Hauptsendezeit durch Prime time, Kurznachrichten (oder Nachrichtenblitz) durch News flash, Nachrichtenraum durch News room usw. usf.

Intersport: Diese Sportwarenhandlung verwendet fast ausschließlich Denglisch bei der Benennung ihrer Waren und der Werbung (eine ausführliche Aufzählung in WSB 4/2002, S. 123), z. B.: Duotech Lauftight, Athletic Hose, Light Speed Tourenjacke, Outdoorjacke usw. usf.

Dr. Gottfried Fischer
Schriftleiter des Vereins "Muttersprache", des größten Sprachpflegevereins Österreichs
H.: 0699.1.944.57.81
1070 Wien, Schottenfeldgasse 95/20
Weltnetz: http://homepage.univie.ac.at/goetz.fischer/WienerSprachblaetter.htm

 



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