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Zum Arzt aus Berlin

Leserbrief aus München

Von Hans Dennler  am 18.7.2014

 

                                                                                                                               München, den 18.7.2014

Sehr geehrter Herr Werner,

den Brief des Arztes und Ihre Antwort habe ich gelesen. Auch viele andere Artikel Ihrer Seite sind lesenswert.

Dieser Arzt hat offenbar nicht verstanden, worum es geht. Es spricht nichts gegen vernünftige akademische Leistungsnachweise - wovon Wissenschaft und Allgemeinheit profitieren können. Neben dem Professortitel gibt es ja mehrere Grade wie die Diplom-Grade, den Bachelor und den Master. In Österreich ist ein Mittelschul- und Gymnasiallehrer bereits Professor. Ich kenne allerdings einige Doktoren, die ausreichend selbstbewusst sind und den Grad weder vor dem Namen noch in ihren Dokumenten führen. Sie brauchen ihn nicht.

Andererseits glauben viele Menschen (durch die Umgangssprache manipuliert), ein Arzt ohne Dr. ist kein richtiger Arzt. Eine mir bekannte Ärztin mit eigener Praxis hatte keinen Dr. und deshalb immer wieder Probleme beim Behandeln der Patienten. Sie machte den Dr. damals nicht, da sie schwanger wurde und dann alleinerziehend war. Später holte sie die Dissertation nach - den größten Teil der Arbeit ließ sie schreiben. Hauptsache, sie konnte „Dr.“ auf ihr Praxisschild setzen.

Das Blendwerk ist ja auch der Grund, warum viele Menschen einen Titel im Namen führen wollen, vor allem Politiker usw.

Insgesamt finde ich alle diese Titel suspekt. Sie garantieren heute nicht mehr das Wissen, das gebraucht wird. Ich hatte kürzlich mehrere Treffen mit Schulungsleitern aus Dax-Unternehmen, fast alle mit Dr. vor ihrem Namen. Diese Leute haben noch die Technik der 1980er Jahre im Kopf. Die Produktionstechnik läuft heute ganz anders. Daher muss man die Leute auch anders qualifizieren als vor 30 Jahren. Jetzt übernehmen sie meine Arbeit, also die eines einfachen Sachbearbeiters ohne akademischen Hinweis vor  dem Namen als Grundlage für ihre Tätigkeit in ihrem Betrieb.

Auffällig sind die Probleme, die die Promovierten in meinen Seminaren häufig mit den Grundrechenarten haben. Auch ihre Denkweise entspricht nicht dem Stand der Technik. Bspw. gelingt es ihnen nicht ohne weiteres, sich den Wandel vom Groben zum Detail vorzustellen, und umgekehrt das Übergeordnete eines Details zu erkennen. Oder die für die Erfüllung von Anforderungen erforderlichen technischen Funktionen abzuleiten.

Vom gängigen Titelsystem profitieren viele Menschen, daher wird es aufrecht erhalten. Auch wenn alles ein großer Schwindel ist. Genauso wie die Politik. Sie produziert systematisch Probleme, um sich und ihr System für bedeutsam zu halten und die Notwendigkeit ihrer Existenz immer mehr zu steigern. Politik war niemals dazu da, Probleme zu lösen. Carl von Clausewitz schrieb in seinem Buch "Vom Kriege", worin er viele Kriege und Schlachten, deren Gründe, Verläufe und Ausgänge untersuchte, jedem Krieg ging politisches Versagen voraus. Das ist heute nicht anders.

Mit solchen Blendwerken schaffen es Gaukler wie Guttenberg usw. nach oben zu kommen. Er hätte es wegen seines großen Vermögens (das andere erarbeitet und/oder geraubt haben) und angeborenen Adelstitels ohnehin nicht nötig gehabt. Aber die Eitelkeit treibt eben Sumpfblüten. Ähnlich schaffte es eine Miss Schavan bis zur Bundesbildungsministerin. Das muss man erst mal realisieren. Diese Menschen haben faktisch nie wirklich etwas geleistet.

Wesentlich finde ich, dass die Öffentlichkeit hier aufgeklärt werden muss. Denn wir bezahlen letztlich diesen Mummpitz... mit unseren Steuergeldern. Das Bildungssystem ist mehr als völlig verdorben. Die hoch angesehenen und gut bezahlten Professoren leben ja von diesem Schwindel. Genauso werden Fakultäten künstlich aufrecht erhalten, die völlig aus der Zeit sind. Ein mir bekannter Professor bestätigte mir das. Er sagte z.B., dass 7 österreichische Musikhochschulen Kirchenmusiker ausbilden. 90% der Studenten haben keine Chance, jemals eine bezahlte Anstellung zu finden. Man braucht sie heute nicht mehr. Einige erkennen das und brechen das Studium vorzeitig ab. Die Fakultäten werden aber erhalten, damit die Steuergelder fließen und die Professoren weiterhin ihre Jobs behalten. Das ist nur ein Beispiel unter vielen.

Bildung ist auch deswegen manipuliert, weil Persönlichkeitsentwicklung, der Umgang mit Stärken und Schwächen, das Entwickeln von Fähigkeiten und dergleichen nicht gelehrt werden. Es zählt nur das angebliche Fachwissen. Selbst dieses wird von Leuten gelehrt, die keine Erfahrung aus der Praxis aufweisen und dann auch noch im Betrieb die Macht haben, über andere zu urteilen und sie zu kritisieren. Die Ergebnisse von PISA haben gezeigt, wie erfolgreiche Bildung schon bei Kindern realisiert werden kann.

Man muss sich nur mal die Titelei in der Kirchenhierarchie ansehen, vom Mönch bis zum Papst. Da gibt es Monsignores, Bischöfe, Kardinäle, Dekane, Dechanten, usw. Das ist auch nichts anderes. Es ist ein weiteres Machtsystem auf der Grundlage von Schein. Und die Leute glauben, ein Bischof hat höhere Geistigkeit als andere (normale) Gläubige und spielt sogar mit Gott Karten.

Sie haben schon recht, Herr Werner, dass Sie die Überbewertung von Graden und Titeln in Deutschland kritisch beleuchten, um die Öffentlichkeit aufzuklären. Wenn niemand mehr einen Dr. für überwichtig nimmt, werden die menschlichen Qualitäten wichtiger werden und nicht zuletzt, wird die Gier nach Titeln geringer werden. Das System reguliert sich dann selbst. Weiter so!

Beste Grüße, Hans Dennler, München

 



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