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Bildung Grade Titel XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX / Doktor-Grad, Übersicht / Dr. Bock ohne Doktor
 

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Revolution im deutschen Titelwesen -
oder nur ein Stich in die Eitelkeitsblase?

Der BASF-Chef, Doktor Bock,  schafft die akademischen Titel ab - FAS, 31.03.2013 
BASF-Mitarbeiter sollen auf Gebrauch akademischer Titel verzichten – Handelsblatt , 30.03.2013

 

Je kleiner der Geist, desto wichtiger der Titel (Volksweisheit)

Eine der begehrtesten Verzierungen einer Person in Deutschland ist ein Titel. Besonderes Ansehen genießt neben dem „Professor“ der Doktor-„Titel“. Eigentlich ist dies kein Titel, sondern ein akademischer Grad. Doch die falsche Bezeichnung des nicht selten auf unreelle Weise erworbenen Bildungssignals wird im Bewusstsein der Bevölkerung genauso hartnäckig bewahrt wie die irrige Annahme, der Doktortitel sei Bestandteil des Namens.

Die Urteile der höchsten deutschen Gerichte zum Namensrecht („Der Doktorgrad ist kein Bestandteil des Namens“, BVG in 1957 und BGH in 1961) blieben jahrelang unbekannt und sind es auch heute noch, oder sie werden ignoriert. In dem Maße wie den Titelträgern die Folgen der Richtersprüche bewusst wurden, nämlich ein beruflicher und persönlicher Imageverlust durch Wegfall des auffälligen Bildungssignals („Dr.“) vor dem Namen, wurden vor allem die Promovierten alarmiert,  deren privates und geschäftliches Ansehen vom Markenzeichen der Titelträger abhängt. Der Anschein besonderen Wissens, besonderen Könnens und besonderer Leistungsfähigkeit sollte weiterhin zum Erhalt des lebenslangen hohen Ansehens wirksam sein.

Mit dem stillen Wunsch der Betroffenen, am Titelwesen nichts zu ändern, wurde ab sofort über das Tabuthema „Doktortitel als Namensbestandteil“ in den Medien aller Art geschwiegen. Alle Bemühungen, die gerichtlichen Erkenntnisse im Personenstandswesen zu berücksichtigen, prallten an Regierung und Parlament ab. Pass und Ausweis enthalten in Deutschland unverändert das weltweit erkennbare Zeichen für nationale Titelverehrung.
 
Die ständig wachsende Zahl der Titelträger konnte den traditionell großen Respekt vor ihnen nicht verringern. Auch die übliche Unkenntnis der angeblich überdurchschnittlichen Leistung war bisher kein Grund, an der Berechtigung der akademischen Auszeichnung zu zweifeln. Auf den Inhalt der Abschlussarbeit (Dissertation) gibt es keinen Hinweis. Sie zu lesen ist nicht ohne weiteres möglich. Die verkürzte Titelbezeichnung verschleiert sogar das Studienfach. Die lebenslange respektvolle Verehrung der Promovierten beruht somit auf einer vagen Annahme. Die Sonderbehandlung der Titelträger diskriminiert alle anderen Leistungsträger der Gesellschaft, sogar mit Hochschulabschluss, und wertet ihre Leistungen ab. Die bekannt gewordenen Fälle von Plagiaten sind schnell vergessen. Der Titelhandel blüht nach wie vor. 

Wer von Regierung und Parlament zeitaktuell vorbildliches Verhalten erwartet wird enttäuscht. Die Politiker sind nicht weniger Titelgeil als Durchschnittsbürger. Im Schriftverkehr des Bundestages und in den Protokollen werden die Namen von Promovierten in geradezu penetranter Weise grundsätzlich mit Titel angegeben.

Eine rühmliche Ausnahme ist Wolfgang Schäuble, Dr. jur., seinerzeit Bundesinnenminister. Vor sechs Jahren versuchte er den urteilswidrigen Titeleintrag in Pass und Ausweis abzuschaffen. Doch Günther Beckstein (Dr. jur.) damaliger Innenminister in Bayern, erreichte im Bundesrat die Ablehnung Schäubles längst fälligen Vorschlags, und zwar zur Wahrung der Tradition. Der viel gepriesene Rechtsstaat gestaltet somit den Eintrag in Hochsicherheitsdokumenten (Pass und Ausweis) nicht nach Sachlichkeit, sondern mit Rücksicht auf die Eitelkeit einzelner Personen.

Hinweise von Bürgern auf die seit langem urteilswidrigen Einträge in den Ausweisdokumenten waren stets erfolglos. Sogar die Initiative von SPD, Die Grünen und der Linksfraktion vor zwei Jahren, den Eintrag der Buchstaben Dr. in den Ausweispapieren zu streichen, scheiterte. Gegen Titelsucht und Titelbedürftigkeit ist in CDU/CSU und FDP offensichtlich vorerst keine Abhilfe erkennbar.

Deutschlands kleinkariertes Titelwesen wird im Ausland seit geraumer Zeit belächelt, z. B. in den USA. Von dort nach einem längeren Aufenthalt zurückgekehrt berichtete Kurt Bock, promovierter Betriebswirt und Vorstandsvorsitzender der BASF (über 110 000 Mitarbeiter), er sei dort nie mit „Dr. Bock“, sondern stets mit „Kurt“ angeredet worden. Von der titellosen Anrede beeindruckt forderte er laut Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) die Mitarbeiter auf, künftig auf die Erwähnung von Titeln bei der Anrede zu verzichten. Dies sei zeitgemäßer und entspreche Stil und Gepflogenheiten in einem internationalen Unternehmen.

Bocks Vorstoß in der Titelpflegeanstalt Deutschland verdient Höchstes Lob. Beachtung fand er allerdings nur in der FAS und im Handelsblatt. Andere Blätter, die sich als Horte der Meinungsbildung verstehen wie z. B. ZEIT, SZ und Spiegel schwiegen über diesen Tabubruch und ignorierten Bocks Vorschlag. Offenbar empfinden sie ihn als Provokation und Sabotage an Deutschlands Titelpflege. Die FAS fragt, ist Bocks Anregung ein „Kulturschock für deutsche Unternehmen oder ein überfälliger Befreiungsschlag gegen ein landestypisches Relikt aus längst vergangenen Zeiten?“ Seine Aufforderung an seinen Konzern, „Schluss mit der Titel-Huldigung“ eignet sich auch bestens für Regierung, Parlament, Behörden und Institutionen, den Bastionen des seit der Kaiserzeit  betriebenen Titelkults in Deutschland. Verständlich, wenn man die Bedeutung bedenkt, die ein Titel bei uns als psychischer Stabilisator und universeller Komplexdämpfer hat. Damit sei nicht bestritten, dass eine große Zahl der Dissertationen überdurchschnittliche wissenschaftliche Erkenntnisse offenbaren.

Die weit verbreitete Titelpflege wird intensiv mit Benimmanleitungen unterstützt. Mit großem Aufwand wirbt der Deutsche Knigge-Rat für die Beibehaltung der Anrede mit dem Titel, und zwar mit dem unsachlichen Hinweis auf Höflichkeit. Als wenn dafür ein Titel erforderlich sei. Völlig übersehen wird dabei, dass sich Adolf Freiherr Knigge nicht mit Titeln befasst hatte. In Tageszeitungen werden in zunehmendem Maße Autoren von Artikeln ohne Titel genannt. Im Gegensatz dazu weigern sich im Impressum genannte Promovierte hartnäckig, auf die akademische Verzierung zu verzichten. Und den Leserbriefschreibern das unklare Titelsymbol zu nehmen, hat sich bisher noch kein Verlag getraut. 
 
Ulrich Werner
 
Das deutsche Titelwesen

Aktuelles BGH-Urteil zu Doktortitel

 



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