1. Die Rechtschreibreform war von Anfang an "überflüssig wie ein Kropf" (Prof. Roman Herzog).
2. Die Rechtschreibreform ist inhaltlich völlig mißlungen. Die oft wiederholte Behauptung, die Zahl der Schreibregeln sei von 212 auf 112, die der Kommaregeln von 52 auf 9 verringert worden, hat sich als Propagandatrick herausgestellt. Man hat nur die Zählung verändert. Insgesamt ist die sog. Neuregelung sogar deutlich umfangreicher als die bisherige. Und sie ist komplizierter. Schüler machen nachweislich mehr Fehler. In "reformierten" Bilchern und Tageszeitungen, die bisher nahezu fehlerlos waren, wimmelt es geradezu von Fehlern.
3. Diese sog. Reform ist ein Rückschritt. Sie greift in unsere Sprache ein, eliminiert zahlreiche Wörter und reduziert so die gewachsenen Ausdrucksmöglichkeiten. Neben vermehrter "Getrenntschreibung" bringt sie mehr Großschreibung und führt zu einer Vielzahl von Orthographien. Das alles gab es schon einmal: im 19. und 18. Jahrhundert. Die Schreibung, die wir alle gelernt haben, ist im Gegensatz dazu modern.
4. Die Rechtschreibreform gefährdet die Einheit unserer Schriftsprache, die sich ein Jahrhundert lang bewährt hat.
5. Die Rechtschreibreform ist eine undemokratische Zwangsmaßnahme. "Hier sind die Parlamente von den Kultusministern vergewaltigt worden." (Landtagspräsident Horst Milde (SPD), Nordwest-Zeitung, 1.11. 96) Doch auch die Parlamente haben versagt. So hat der Landtag von Schleswig-Holstein den Volksentscheid gegen die Rechtschreibreform nach nur einem Jahr annulliert.
Gerhard Augst, heute Vorsitzender der Rechtschreibkommission, schrieb schon 1982: "Eine Änderung (der Rechtschreibung) über den Schüler zu erreichen, ist zwar verlockend und wäre, wenn es gelänge, auch am erfolgversprechendsten, aber sie setzt an am schwächsten Glied in der Kette."
Genau dies ist geschehen: Die Schule wurde zum Nasenring gemacht, an dem die störrische Gesellschaft zu den Schreibveränderungen gezerrt werden soll.
6. Die Rechtschreibreform schadet unseren Kindern. 1995 wurde behauptet, daß dank Rechtschreibreform die Fehlerzahl bei Diktaten bis zu 40 Prozent abnehmen würde. Inzwischen wissen wir durch die Untersuchung von Prof. Harald Marx (Universität Bielefeld), daß sogar Anfänger bei der S-Schreibung signifikant mehr Fehler machen. Noch schlimmer ist, daß die Schüler "Falsches lernen" müssen, wie Günter Grass in seinem Aufruf betont.
Daß die Rechtschreibreform auch das Lesen erschwert, weil man immer wieder über Schreibungen "die Präsidentin der Skandal umwitterten Anstalt") stolpert und sich fragt, ob das Neuschreibungen sind oder "nur" durch sie verursachte Fehler, kommt noch hinzu. Überhaupt wird die Jugend durch die Schreibreform von der Literatur entfremdet; denn fast alle Bücher sind in einer Schreibung gedruckt, die in der Schule als "überholt" oder gar falsch angestrichen wird.
Wenn aber die Jugendlichen merken, daß sie von der Obrigkeit zu etwas gezwungen werden, was von den besten Schriftstellern und Fachleuten sowie der großen Mehrheit der Bürger bis hin zum Bundespräsidenten mit guten Gründen abgelehnt wird, dann könnten sie an unserer Demokratie zu zweifeln beginnen. Die Rechtschreibreform kann also die Politikverdrossenheit fördern.
7. Die Rücknahme der Schreibreform ist weitaus billiger als ihre Fortführung. Denn die Hauptkosten kommen erst dann auf uns zu, wenn sich die Mehrheit der Firmen und die literarischen Verlage dem Druck beugen. Auch macht jede Änderung der Reform (der in diesen Tagen auf den Markt geworfene 22. Duden enthält schon wieder Änderungen, und auch die Kultusminister haben Änderungen angekündigt, spätestens für 2005) teure Korrekturen in den Schul und Kinderbüchern nötig. Deshalb ist es in jedem Fall günstiger, zur bewährten Rechtschreibung zurückzukehren. Was geschieht in den Schulen bei einer Rücknahme der Schreibreform?
Bei einer Rücknahme wird sich das gegenwärtige Durcheinander in der Schreibung bald beruhigen. Die älteren Schüler, die jetzt beide Schreibungen vermischen und dabei ganz neue Fehler machen ("dass war daß einzige"), werden schnell wieder das ursprünglich Gelernte anwenden. Die Kleinen aber haben von der Neuschreibung in zwei bis vier Jahren Grundschule nicht einmal 40 Wörter gelernt, Die Rücknahme ist deshalb kein besonderes Problem.
Doch werden die Schüler eines dabei lernen: daß es sich in einer funktionierenden Demokratie lohnt, sich gegen unsinnige Anordnungen zu wehren. Und sie werden sehen, daß es möglich ist, aus einer Sackgasse herauszukommen, und daß die Erwachsenen manchmal doch dazu in der Lage sind, Fehler zuzugeben und zu revidieren.
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