Ein Jahr lang die ZEIT mit einer besonderen Brille gelesen, der „sprachlichen`, zwar entschlossen, nicht besserwisserisch am Stil der Kollegen herumzumäkeln, da es Interessanteres an der Sprache zu bemerken gibt als ihren gelegentlich falschen Gebrauch, aber doch in der Befürchtung, daß der Vorsatz zuschanden werden könnte, sobald ich auf klare Fehler und spektakuläre Solözismen stieße. Das Jahr ist um, viele große Patzer haben sich nicht gefunden. Die Zahl der „Druckfehler", sogar der Trennfehler ist viel geringer, als ich sie erwartet hatte. Falsche Syntax muß man lange suchen.
Vor allem herrscht ein bemerkenswerter Mangel an jenem Wörter- und Floskelramsch, mit dem die öffentliche Rede sich heute brüstet und von dem jedes einzelne Stück eine Glosse verdient hätte:
Handlungsbedarf, Zukunftsfähigkeit, Befindlichkeiten, im Vorfeld vor Ort, auf der So-und-so-Schiene, ein Stück weit, davon ausgehen, damit umgehen, nicht ausschliefen können, einfordern, geschuldet sein, in der Pflicht stehen, Zeichen setzen, seine Hausaufgaben machen, Geschichte schreiben (denn historisch nennt sich heute gern jeder Furz). Doch, das Unsägliche pur kam mehrmals vor: Natur pur, sogar Dauerwelle pur.
Aber all dies war zu selten, um exemplarisch aufgespießt zu werden. Also attestiere ich der ZEIT zum Abschied gern eine nach wie vor hohe sprachliche Verarbeitungsqualität. Einwandfrei - aber meistens auch ziemlich bieder. Ich wünsche ihr, daß ihre Autoren es öfter wagen, um einer treffenden und originellen Formulierung willen gegen die sprachlichen Sitten zu verstoßen.
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