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Sprache / Artikel zur Sprache XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX / 18. Deutsch mit Chromleisten
 

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Deutsch mit Chromleisten 
 Oder: Wie macht man aus wenig kostenlos ein bißchen mehr?
von Horst Klemme 

vom 10.09.1965

 

Man sieht sie vor sich, wie sie ans Rednerpult schreiten. Ernst, würdevoll, Wichtiges in sich bewegend. Sie sprechen nicht einfach, sie ergreifen das Wort. Sie haben keine Ansicht, sie stehen auf einem Standpunkt. Sie haben für alles Verständnis, weil sie es rein menschlich betrachten. Schwierigkeiten versuchen sie nicht zu meistern, sie bemühen sich, ihrer in etwa Herr zu werden. Erfahrungen werden von ihnen nicht gemacht, sondern empirisch entwickelt.

Sie stellen ihre Umwelt gern vor vollendete Tatsachen, auch wenn sie - seit dem verunglückten Ministerwort - etwas außerhalb der Legalität liegen; sie jonglieren mit schwebenden Fragen, kommt aber jemand mit stichhaltigen Einwendungen, so kaufen sie ihm die nicht ab; und nichts hassen sie so sehr wie unliebsame Störungen (demnach müßte es also auch beliebte Störungen geben).

Chromleisten - wohin man schaut. Nichtssagendes wird bedeutend, Banales erhält Aussage- soll man von der Elternschaft simpel von Schulsorgen sprechen? Mitnichten. Wie ergriffen lauscht das Auditorium, wenn von schulischen Belangen die Rede ist, wenn die berechtigten und legitimen Wünsche, die einem dringenden Bedürfnis entspringen, nicht etwa ausgesprochen, sondern zum Ausdruck gebracht werden!

Wir alle kennen diese Missetaten gegenüber der Sprache; das Substantivieren schlichter Zeitwörter zum Beispiel. Wer von dieser Sucht befallen wird, fragt nicht mehr, er stellt die Frage. Er meint nicht mehr, sondern bekennt sich zu dieser oder jener Denkungsart. Er stimmt nicht überein, sondern trifft nach einer diesbezüglichen Unterredung die Feststellung gegenseitiger Übereinstimmung. Vor Schluß seiner Rede kann er nicht umhin, das Ende seiner Ausführungen anzukündigen. Der Hinweis, daß die Aufgabe wichtig und bedeutend sei, genügt nicht. Erst dann streift es wie ein Flügelschlag künftiger Jahrzehnte die Anwesenden, wenn der Gestaltung der Aufgabe entscheidende Bedeutung beigemessen wird.

Das ist wahrlich ein wichtiges Anliegen. Dieses Karrierewort verdient es, eingehend gewürdigt zu werden. Allen ist es ein Bedürfnis, von ihren echten Anliegen zu sprechen. Dieses Wort, das seit über fünfzehn Jahren unsere Sprache anreichert, aber nicht gerade bereichert, ist eine Geburt der Nachkriegsjahre. Es war sozusagen die zur Sprache gewordene Reeducation. In den tausend Jahren zu vor hatte es immer nur Wille, Befahl, Kommando geheißen. Das Wort Anliegen war demgegenüber bescheiden, innerlich, anpassungsfähig, ja hin und wieder, wenn es aus dem richtigen Munde kam, sogar ein wenig verschämt. Die Partei X, der Minister Y, die Organisation Z hatten plötzlich weder ein Programm noch eine Parole. Nein, es klang viel besser und war dennoch nicht minder eindeutig, wenn sie ihre Forderungen ein Anliegen nannten.

Früher gefiel man, hatte Beifall, Erfolg. Heute kommt man an. So ändern sich die Zeiten. Auch früher kam man an - mit der Eisenbahn zum Beispiel. Man ließ es auf einen Versuch, auf ein paar Mark, auf einen Prozeß oder gar auf einen Krieg ankommen. Als Modewort aber erhielt ankommen neben seiner eigentlichen eine zusätzliche Bedeutung. Man läßt den Autor eines Romans, die neue Zahnpasta, den Schauspieler auf der Bühne, den Redner an seinem Pult, das noch bessere Waschpulver, den Schlager, das Filmsternchen oder den Werbeslogan beim Publikum ankommen. So lange, bis das dumme Wort nicht mehr ankommt.

Doch Modewörter sind oft zählebig. Ein Beispiel ist Ebene. Dieses Wort erlebte vor fünf bis zehn Jahren seine hohe Zeit. Höchste Ebene ist gewiß plastisch ausgedrückt. Aber topographisch zweifelhaft.

Ebene bedeutet Flachland. Ein Fluß schlängelt sich durch die Ebene. Daneben wird Ebene auch - in übertragener Bedeutung gebraucht, etwa: Trunksucht hat ihn auf die schiefe Ebene bracht. Oder: Was weiter zu sagen ist, liegt auf einer anderen Ebene.

So weit, so gut. Erst der Mißbrauch ließ Ebene zum Modewort werden. Wer etwas auf sich hielt, organisierte sich als Gartenfreund oder Kleintierzüchter nicht nur auf Kreis-, sondern auf Landes- oder gar auf Bundesebene. Das Wort Bundesebene gab einem Verein das rechte Ansehen. Man führt Verhandlungen auf Gemeinde- und Kreisebene, während man früher mit dem Bürgermeister oder dem Landrat sprach. Man klettert auf die Bezirksebene, noch höher auf die Landesebene und erreicht den ersehnten Gipfel auf Bundesebene.

„Gefühl ist alles", hat Goethe gesagt. Heute hören und lesen wir vom ganz neuen Rauchgefühl, Reisegefühl, Badegefühl, Kunstgefühl - alles ist Gefühl geworden. Goethe konnte es nicht wissen.

Unsere Sprache wird in Schablonen gezwängt, die abzustreifen wir kaum noch in der Lage sind. Da ist die unvermeidliche Diskussion im Anschluß an irgendein Referat. Der Gesprächsleiter stellt seine Fragen. Beispielsweise: Herr A., was halten Sie von den letzten Preissteigerungen? Wie antwortet A.? Wenn Sie mich fragen, ich würde sagen . . ., ja, das möchte ich sagen!

Und so was macht Schule. Man achte nur einen Tag auf die Wenn-Sie-mich-fragen-Floskel oder die Ich-würde-sagen-Wendung! Herr A, ist doch gefragt worden. Also darf er seine Meinung sagen. Warum diese Ziererei?

Neulich bekam ich einen Brief. Er gehörte gewissermaßen zum Vorkommando der nicht auf zuhaltenden Flut von Druckerschwärze, die, von den Parteien entfesselt, jetzt auf die Wähler losgelassen werden wird. Da stand doch am Ende ganz unten, wo eigentlich „hochachtungsvoll" oder „mit freundlichen Grüßen" zu stehen pflegt: Mit freundlicher Begrüßung.

Nun frage ich, wann begrüßt man sich? Unter normalen Menschen zu Beginn, also als Auftakt, einer Begegnung, und sei sie auch nur schriftlich. Man begrüßt sich, wenn man kommt, und man verabschiedet sich, wenn man geht.

Aber was verstehe ich schon von gepflegtem Managerdeutsch? Manager überfallen einen erst einmal mit ihrem Anliegen, ihrem echten Anliegen. Die Begrüßung holen sie erst am Schluß ihres Anschreibens nach.

Mit freundlichen Grüßen - ist das vielleicht zu schlicht? Es darf ruhig ein bißchen mehr sein, wenn es nichts kostet, etwas mit Chrom: Mit freundlicher Begrüßung.

 



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