von Ulrich Wechsler Das menschliche Gehirn besitzt weit mehr als 100 Milliarden Nervenzellen. Jede Zelle im Gehirn sendet ihre Informationen an ungefähr 10 000 andere Nervenzellen. Dabei liegen die am Informationsvorgang beteiligten Nervenzellen räumlich nah beieinander. Der Hirnforscher Ernst Pöppel geht in einem Aufsatz mit dem Titel „Drei Welten des Wissens" der Frage nach, was an der menschlichen Wissenskompetenz angeboren und was durch Erfahrung erworben ist. Er sagt dazu: „Wenn wir in die Welt eintreten, dann sind wir mit einem breiten genetischen Repertoire von Möglichkeiten ausgestattet. Zwischen den vielen Milliarden Nervenzellen im Gehirn besteht ein Übermaß von Kontakten. Diese potentiellen Kontakte werden erst endgültig festgelegt, wenn sie durch Informationsverarbeitung genutzt und bestätigt werden. Diese Prägung des Gehirns erfolgt in frühen Phasen der Biografie. Was nicht genutzt wird, wird abgeschaltet. In dem Augenblick, in dem Kontakte zwischen Nervenzellen bestätigt worden sind, macht es keinen Sinn mehr, zwischen angeborenen und erworbenen Wissenskompetenzen zu unterscheiden."
Nicht das Werkzeug hat den Menschen zum Menschen gemacht, sondern das Wort.
Die Neurobiologin Lise Eliot schreibt in ihrem Buch „Was geht da drinnen vor die Gehirnentwicklung in den ersten Lebensjahren", daß das Gehirn eines Babys deshalb so gering ausgebildet sei, damit es in der Lage ist zu lernen. Das Gehirn eines Babys sei eine Lernmaschine. Es baue sich selbst auf und passe sich der jeweiligen Umgebung an.
Von der Literatur-Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer stammt der Satz: „Nicht das Werkzeug hat den Menschen zum Menschen gemacht, sondern das Wort. Nicht der aufrechte Gang und der Stock, um damit nach Nahrung zu graben oder zu kämpfen, machen den Menschen zum Menschen, sondern die Sprache." Dieses Zitat verweist darauf, daß Sprache das wesentliche persönliche Ausdrucksmittel ist und daß Sprachvermögen in besonderer Weise das Miteinander prägt. Insofern ist die Entwicklung des sprachlichen Ausdrucksvermögens ein extrem wichtiger Abschnitt auf unserem Weg zur Individualität und damit auch zur Ausprägung unseres Verhaltens anderen Menschen gegenüber, also dessen, was wir als soziale Kompetenz bezeichnen. Der Philosoph Ludwig Witgenstein schrieb: Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt.
Die Entwicklung der Sprache löste einen gewaltigen Kulturschub aus. Erstmals Konten Erfahrungen ausgetauscht werden, und sie konnten auch bewahrt werden. Das Wort wurde Ausdruck und Träger des Verstandes. Erst die Sprache erlaubt differenziertes Denken und nuanciertes Schreiben dessen, was man dachte und was man sah und wollte.
Kinder lernen Sprache immer ausschließlich mit anderen Menschen - mit der Mutter zumeist, mit dem Vater, den Geschwistern, in der Familie also; später mit Spielkameraden, im Kindergarten, in der Schule, in Freundesgruppen. Die persönliche Zuwendung während der Sprachentwicklung kann nicht ersetzt werden. Die Kinder müssen Sprache in ihrer natürlichen Umgebung erfahren und Gelegenheit finden, sich mit ihrem unmittelbaren Umfeld zu verständigen durch Dialoge, die gelernt werden müssen. Keines der elektronischen Medien vermag in diesem Sinne bisher aus sich heraus eine Kultur mündlicher Verständigung zu vermitteln. Sprachentwicklung ist ein individueller Vorgang, der individualisierter Förderung bedarf. Von früh an wohnen der Sprache Elemente menschlicher Nähe und sozialer Beziehung inne. Mit der Entwicklung der Sprache ist auch die Entwicklung des Intellekts verbunden, und es entstehen Fantasie, abstraktes Vorstellungsvermögen und die Fähigkeit, innere Bilder zu formen.
Wenn Kinder lernen, aus ihrer Sicht Dinge selbst zu erzählen, dann gestalten sie die Welt nach ihren Eindrücken. Hier sind aber auch die Probleme verankert, die durch eine zu frühe Dominanz der modernen Bildschirmmedien ausgelöst werden. Wissenschaftler sehen die Gefahr einer mentalen Schwächung, wenn das Gehirn des Kindes in jener Zeit mit„ fremden" Bildern überschwemmt wird, in der es lernen sollte, seine eigenen Versionen von Geschichten zu entwickeln und die Bilder hierzu aus sich selbst heraus zu erzeugen.
Ohne die prägende Funktion der Sprache kann sich diese innere Welt kaum entwickeln und Gestalt erhalten. Die grundlegenden Wahrnehmungsschemata des Menschen werden im Reden, durch Sprache, später durch Lesen, gebildet. Diese Vorgänge sind im Übrigen auch bedeutungsvoll für das, was Hirnforschung und Psychologie „Bewußtsein" nennen.
Während des Sprechens und durch das Sprechen, so unvollkommen es zunächst auch ist, werden wichtige und prägende I Vorgänge im Gehirn in Gang gesetzt, die dort dauerhafte Strukturen ausbilden. Man bezeichnet diese Strukturen als neuronale Netze, ihre Verbindungsstellen als Synapsen. Es sind diese neuronalen Netze, die unsere „information super highways" darstellen. Je dichter die Netze geknüpft sind, um so leistungsfähiger sind sie.
Diese biologische Grundregel kann gar nicht ernst genug genommen werden, auch wenn sie uns im Rausch der gegenwärtigen Diskussion um die schier unbegrenzten Möglichkeiten der neuen Informationstechnologien gelegentlich aus dem Blick zu geraten droht.
Es kommt noch ein zweites Grundelement hinzu: Der Zeitraum, in dem die beschriebenen Entwicklungsprozesse ablaufen können, ist begrenzt. Das Entwicklungsfenster" für die Sprache schließt sich nach heutigen Kenntnissen zwischen dem fünften und dem achten Lebensjahr. Das bedeutet nichts anderes, als daß innerhalb dieser Zeit die sprachliche Prägung erfolgt und die spätere sprachliche Leistungsfähigkeit festgelegt wird. Wenn sich das Fenster schließt, ist der „Sprachchip" fertig, unabhängig davon, ob er ein Hochleistungschip oder ein Chip geringerer Qualität ist. Im Nachhinein kann er kaum noch verbessert werden.
Man muß dies berücksichtigen, wenn man die Untersuchungen über das Sprachvermögen vor allem der Einschulungskinder betrachtet, die in der jüngsten Zeit veröffentlicht wurden. Danach weisen 20 bis 22 Prozent der sechs- bis siebenjährigen Kinder medizinisch relevante Sprachentwicklungsstörungen auf; sehr viele müssen sprachtherapeutisch behandelt werden. Aus früheren Untersuchungen an Kindern im Alter von dreieinhalb bis vier Jahren wissen wir, daß die Zahl der sprachauffälligen Kinder dieser Altersgruppe innerhalb der zurückliegenden zehn Jahre von circa 4 auf circa 24 Prozent angestiegen ist. Den betroffenen Kindern fehlt buchstäblich ihre eigene Sprache, darüber hinaus aber auch die Grundlage für das Erlernen von Lesen und Schreiben, von zahlreichen anderen Folgedefiziten - vor allem dem Sozialverhalten - einmal abgesehen. Man nimmt an, daß daran neben medizinischen Faktoren und stark veränderten familiären Verhältnissen vor allem zu früh einsetzende „Mediengewohnheiten" schuld sind.
Offenbar gibt es für die Kinder zu wenig Anreize, die eigene Sprache auszubilden. Den Kindern scheinen die für den Spracherwerb notwendigen Partner abhanden gekommen zu sein. Dies bedeutet, daß am Beginn des Kommunikationszeitalters ein hoher und offenbar immer noch wachsender Anteil der Kinder während einer kritischen Entwicklungsphase buchstäblich kommunikationsgestört ist. Das Thema „Gewalt", welches unsere Gesellschaft seit einiger Zeit beschäftigt, hat gewiß auch mit dieser Entwicklung zu tun. Der Sprachforscher Barry Sanders hat seinem Buch über den Verlust der Sprachkultur den rabenschwarzen Untertitel „die Pistole ist das Schreibwerkzeug des Analphabeten" gegeben.
Wenn seit alters her Sprache als Schule des Verstandes gilt, läßt sich dies auch auf das Lesen und Schreiben erweitern; denn Lesen ist die Fortsetzung von Sprache mit anderen Mitteln. Anders als Sprache ist das Lesen allerdings in der Evolution des Menschen nicht vorgesehen gewesen.
Es mag überraschend sein, aber zum Leser wird man nicht geboren. Vermutlich ist dies einer der Gründe, warum das Lesen immer bedroht war und daher auch unverdrossen gefördert werden muß. Das menschliche Gehirn besitzt keine Region, die im Laufe der Entwicklungsgeschichte speziell für die Kompetenz zu lesen ausgebildet worden wäre, ganz im Gegensatz zur Fähigkeit zum Hören, zum Sehen oder auch zum Sprechen. Wenn wir dennoch in der Lage sind, Lesen und Schreiben zu lernen und zu hoher Perfektion zu entwickeln, dann liegt das daran, daß wir hierfür Hirnregionen benutzen können, die ursprünglich für andere Zwecke entwickelt worden waren. Man nimmt an, dass diese Hirnregion früher für das Spurenlesen verwendet wurde; die Eignung für das Lesen war also vorgegeben.
Ähnlich wie Sprechen ist auch das Lesen ein dialogischer Prozeß in seiner Auseinandersetzung mit dem Text, der Erkundung seiner Inhalte, der Beschäftigung mit der Denkweise eines anderen, der Entwicklung eigener Vorstellungen und Bilder. Und wie die Entwicklung der Sprache ist auch die Lesefähigkeit begleitet von der Entwicklung des Intellekts. Bevor ein Text verstanden werden kann, muß er entziffert, muß er aufgenommen, gewertet und verarbeitet werden. Dies geschieht in einer wohlgeordneten Folge von Einzelschritten, in strenger Linearität. Aus grafischen Zeichen entstehen inhaltliche Vorstellungen; es entsteht nutzbares, speicher- und abrufbares Wissen. Die Zeichen werden Grundbausteine für logisches Denken; damit wird der Weg zum Abstraktionsverfahren eröffnet. Gleichzeitig lernen wir aber auch, emotionale Wertungen vorzunehmen und bildhafte Vorstellungen zu entwickeln; die Voraussetzungen für das Entstehen von Fantasie und Kreativität bilden sich aus.
Für die Entwicklung der Lesekompetenz gilt Ähnliches wie für die Sprachfähigkeit. Auch sie wird durch eine biologische Uhr begrenzt: Das „Fenster" ist nur während der ersten 13 bis 15 Lebensjahre geöffnet. Und auch die Lesefähigkeit bedarf ständiger Anregung und Übung. Denn wie die Sprache induziert auch das Lesen die Entwicklung der entsprechenden Gehirnstrukturen. Wie das Sprechen für die Ausbildung von Sprachfähigkeit erforderlich ist, ist das Lesen Voraussetzung für die Ausformung von Lesefähigkeit und damit für die Entwicklung von Verstand und Intellekt.
Sprache und Lesen sind also nicht nur Vermittler und Träger von Kenntnissen und Bildung, sondern schaffen überhaupt erst die biologischen Voraussetzungen für unsere Lern- und Bildungsfähigkeit. Und wir wissen durch die moderne Hirnforschung, daß Lesen in dieser prägenden Funktion nicht ersetzt werden kann, schon gar nicht durch bewegte Bilder.
Wenn wir uns fragen, wie wir Heranwachsende auf die neuen Medien vorbereiten sollen, dann kann die Antwort nur lauten: Durch intensives Einüben der klassischen Kulturtechniken Sprechen, Lesen und Schreiben. Das Bohren dicker Bretter wird auch in Zukunft niemandem erspart bleiben können. Der Führerschein für die Datenautobahnen der Zukunft wird durch das Lesen erworben.
Wie aber steht es mit dem Lesen und , dem Lesevermögen in Deutschland heute? Die Unesco schätzt, daß es in Deutschland circa vier Millionen funktionale Analphabeten gibt. Funktionale Analphabeten sind Menschen, die das Lesen und das Schreiben gelernt haben, aber nicht in der Lage sind, den Inhalt eines einfachen Textes aufzunehmen und wiederzugeben.
Untersuchungen, die vor wenigen Jahren im Rahmen einer OECD-Vergleichsstudie publiziert wurden, zeigen, daß 14 Prozent der erwachsenen Deutschen über ausgesprochen schlechte, weitere 34 Prozent über nur mäßige Fähigkeiten verfügen, den Inhalt von gedruckten Texten zu verstehen. Nur 6 Prozent der Bevölkerung lesen täglich in einem Buch; vor zehn Jahren waren es noch 16 Prozent. Rund 15 Prozent der Lehrstellenbewerber sind in Deutschland nicht vermittelbar, weil ihre Grundkompetenzen im Lesen und Schreiben, aber auch im Textverständnis unzureichend sind.
Circa 100 000 junge Menschen verlassen nach Angaben des Bundesbildungsministeriums jährlich die Schulen ohne Abschluß; mindestens 10 000 von ihnen gelten als Analphabeten. Die Wurzeln dieser Entwicklung gehen indessen tiefer und liegen vermutlich auch in der gestörten Sprachentwicklung der Kinder vor der Einschulung.
Seit einigen Monaten liegen ja nun die Ergebnisse der PISA-Studie (Progamme for International Student Assessment) vor. Zur Erinnerung: 265 000 Schüler und Schülerinnen im Alter von 15 Jahren aus 32 Ländern nahmen daran teil. Die Studie erfaßte drei Bereiche: Lesekompetenz sowie mathematische und naturwissenschaftliche Grundbildung. Vor allem in der Lesekompetenz weisen die deutschen Schüler erhebliche Schwächen auf. Es fehlt ihnen vor allem am „verstehenden Lernen", wie die Journalistin Heike Schmoll in einem Artikel formulierte. „Sie spulen angelernte Techniken mechanisch ab, können aber das Gelesene nicht mit eigenen Erfahrungen, Wissensbeständen und Ideen in Beziehung setzen."
Verstärkt wird die Problematik durch den sozialen Aspekt: Die Unterschiede zwischen dem oberen und dem unteren Viertel der Sozialstruktur sind in Deutschland am größten. Mehr als 40 Prozent der befragten Schüler gaben an, sie würden nicht zum Vergnügen lesen. Nur 9 Prozent erreichen die höchste Kompetenzstufe, hingegen liegen 10 Prozent sogar unterhalb der Mindestkompetenz, weitere 10 erreichen nur die Mindeststufe.
Es ist also leider so, daß es mit der Lesefähigkeit und dem Leseinteresse in Deutschland nicht zum Besten steht. Die Zeit ist vorbei, in der Belesenheit als Ausweis eines besonderen Ranges galt und gesellschaftliches Ansehen verschaffte. So absurd es auch ist: In der Wissensgesellschaft ist die intellektuelle Auseinandersetzung derzeit nachrangig. An der Auseinandersetzung um kulturelle Fragen beteiligen sich nur wenige.
Die Medienprogramme bilden dies unmißverständlich ab; man beachte hierzu nur die Ausgestaltung der Prime-Times in den öffentlich-rechtlichen und vor allem in den privaten Fernsehprogrammen. Vor diesem Hintergrund gibt es viele Bemühungen, Leser wieder zurückzugewinnen; Bemühungen natürlich der Schulen, aber auch anderer Einrichtungen, wie der Stiftung Lesen. Gerade junge Leute dauerhaft zu erreichen, ist indessen schwer.
Viele dieser jungen Menschen haben wenig Bezug zu unserer Gesellschaft in der derzeitigen Form, und sie haben vor allem eine ganz eigene Art der Kommunikation untereinander entwickelt. Ihr Alltag wird stark durch die Beschäftigung mit elektronischen Medien, hier wiederum durch die elektronische Event- und Spielkultur geprägt. Nach einer neueren Untersuchung der Stiftung Lesen sagten 1992 etwa 46 Prozent der Jugendlichen, daß das Elternhaus zum Lesen animiert; 2000 waren es nur noch 25 Prozent. Die Zeit für das Lesen nimmt ab.
Die Bereitschaft zum Lesen längerer, inhaltlich anspruchsvoller Texte, aber auch das schiere Vermögen zu lesen, schwindet. Vielfach wird nur angelesen, dann weggelegt und vergessen. In allen neueren Umfragen zeigt sich, daß die Zeit, die der Einzelne für das Lesen verwendet, nur noch knapp bemessen wird. Folgt man dem Freizeitforscher Opaschowsky, dann überschüttet „das Tempo der heutigen Medien Kinder und Jugendliche mit einer immer schnelleren Abfolge von Bildern und Informationen" . Infolgedessen bringt unsere Kultur eine ganz neue Mediengeneration hervor, die sogenannte Kurzzeit-Konzentrations-Kinder (KKK)". Man kann generell sagen, daß seltener- weniger, oberflächlicher und kürzer gelesen wird. Der Philosoph Peter Sloterdijk spricht vom neuen Typ des „Users" und einer Kultur der Ungeduld.
Die Hoffnung, daß sich mit dem Einzug der elektronischen Medien die Vermittlung von Wissen und Bildung beschleunigen und verstärken würde, also eine neue Bildungsexplosion sich ereignen würde, hat sich nicht erfüllt. Eher ist das Gegenteil geschehen. Wir sind, um mit Elisabeth Noelle-Neumann zu sprechen, auf dem Weg, unsere Illusionen zu vermehren, etwas zu wissen: Man schaut hin, aber man erkennt nicht. Man weiß, wie man etwas findet, aber man weiß eigentlich nicht, was man finden möchte.
Clifford Stoll, Mitbegründer des Internets, spricht von der Utopie des mühelosen Lernens und bezeichnet das so genannte Edutainment als pädagogische Illusion: Lernen gehe nicht ohne Anstrengung. Die Ergebnisse der PISA-Studie müssen unbedingt Konsequenzen haben. Zuallererst muß den Eltern wieder das Bewußtsein vermittelt werden, daß sie sich um die Förderung der Sprach- und Lesekompetenz ihrer Kinder kümmern müssen. Des Weiteren müssen Kindergärten und Grundschulen für ihre Aufgaben besser ausgestattet werden. Dazu gehören Wertschätzung, Mitarbeiter und Mittel für Bücher und Bibliotheken.
Wir wissen, daß nicht die Nutzung der Medien den Grad unserer Bildung ausmacht, sondern der Grad unserer Bildung unsere Möglichkeiten bestimmt, mit den Medien sinnvoll umzugehen und höchstmöglichen Nutzen aus ihnen zu ziehen. Alle reden inzwischen viel über Medienkompetenz - leider zu wenig darüber, wie man sie erwirbt.
Ich meine, daß Initiativen wie „Schulen ans Netz" oder „D21" zu vordergründig und zu oberflächlich angelegt sind. Was mit dem Begriff der Medienkompetenz im Grunde gemeint ist, hat der deutsch-amerikanische Computerwissenschaftler Joseph Weizenbaum vor einiger Zeit formuliert: Medienkompetenz bedeutet die Fähigkeit, kritisch zu denken; kritisch zu denken, lernt man allein , durch kritisches, verarbeitendes Lesen, und Voraussetzung hierfür ist eine hohe Sprachkompetenz."
Ganz in diesem Sinne zeigen alle neueren Untersuchungen, daß der bessere Leser immer auch der bessere Mediennutzer ist. Das Betriebssystem für die elektronischen Medien ist das Lesen; das Betriebssystem für das Lesen ist die Sprachkompetenz. Oder um auf die Überschrift dieses Artikels zurückzukommen: Hat jemand schon einmal ein Kind gesehen, das Fahrrad fahren konnte, bevor es laufen gelernt hatte?
Ulrich Wechsler ist Gründungsvorsitzender der Stiftung LESEN.
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