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Sprache / Artikel zur Sprache XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX / 45. Vom babylonischen Sprachensalat
 

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Vom babylonischen Sprachensalat zur Verflachung der Sprache
 

 

aus „BIONIK“ von Kurt G. Blüchel, 2005   

..... Wir Menschen sind uns zuweilen nicht einmal einig in der Beurteilung einfacher Farben: Rot oder grün? Gelb oder blau? Euripides sagt in der „Iphigenie“, die Simse des Altars seien vom Blut xanthon gewesen; das Wort scheint also „rot“ zu bedeuten, und bei lateinischen Schriftstellern wird es auch ausdrücklich mit ruber (rot) gleichgesetzt. Aber Aischylos nennt in den „Persern“ die Blätter des Ölbaums xanthon; danach wäre es eher mit „grün“ zu übersetzen. Ebenfalls wird jedoch der Honig gelegentlich xanthon genannt; die Bedeutung des Wortes spielt also auch ins Gelbliche hinüber. Ähnlich verwenden die alten Griechen, unsere wissenschaftlichen Lehrmeister, auch andere Farbnamen. Ochron bezeichnet im Allgemeinen die Hautfarbe und wird meist mit „blass“ übersetzt. Aber in einem medizinischen Ratgeber wird auf die Frage, woran der Arzt die Fieberhitze erkenne, geantwortet: daran, dass der Kranke ochron wird. Hippokrates sagt sogar einmal ausdrücklich, ochron sei wie die Farbe des Feuers. Zu allem Unglück wird jedoch bei wieder einem anderen Schriftsteller die Farbe des Frosches als ochron beschrieben. Sollte ochron auch „grün“ bedeuten? Ein drittes Beispiel: Die Farbe des Mondes heißt glaukon. Das gleiche Beiwort erhalten Augen, die vorher als feuerfarbig geschildert waren; das Wort scheint ein leuchtendes Rot zu signalisieren. Aber Plato erläutert glaukon als Mischung von weiß und azurfarben: Demnach scheint es eine hellblaue Färbung auszudrücken, und die Römer wiesen dezidiert daraufhin, es bedeute das Gleiche wie caesius, also „blaugrau“. Schließlich nennt Euripides eine mit Blättern bekränzte Flur glaukon; also kommt das Wort auch im Sinne von „grün“ vor. Manche Gelehrte helfen sich damit, glaukon einfach mit „glänzend“ zu übersetzen, und der Sekundaner kennt die „glaukopis“, Homers „helläugichte“ Athene. Aber dieser Ausweg erscheint fragwürdig, denn die Augenkrankheit Star heißt im Griechischen glaukoma; bei ihr wird aber das Auge nicht glänzend, sondern trüb. Hyakinthon schließlich hat Martin Luther in der Bibel mit „gelb“ übersetzt, andere Übersetzer mit „grün“. Heute glauben wir, dass hyakinthon “blau“ bedeutet.

Angesichts dieses wunderlichen Farbenlabyrinths haben manche Forscher die Hypothese aufgestellt, die Griechen seien samt und sonders farbenblind gewesen. Aber diese Ansicht hat sich nicht durchgesetzt. Wir wissen heute: Für das ganze Problem ist nicht der Augenarzt zuständig, sondern der Sprachforscher. Wer wollte nicht gerade deswegen ins Grübeln kommen? So haben die Griechen offenbar ganz andere Töne zu einheitlichen Farbbegriffen vereinigt. Auch die lateinischen Farbnamen stimmen nicht mit den unseren überein. Wer etwa purpureus mit „purpurfarben“ übersetzen wollte, wird erstaunt sein, dass Horaz auch den Schwan purpureus nennt; die Römer gaben glänzend weißen und glänzend schwarzen Gegenständen die Bezeichnung „purpurn“. Als caeruleus („tiefblau“) beschrieben sie den Himmel, das Meer und die Augen der Germanen, aber auch die Haare der Inder, die Nacht und den Tod. Und deutsche Italienurlauber stellen erstaunt fest, dass Römer oder Sizilianer den Rotwein vino nero, also „Schwarzwein“, nennen. Südamerikarrische Urwaldstämme haben über 50 verschiedene Wörter für die Spielarten von Grün, dagegen kein gemeinsames, die Farbe definierendes Wort: für sie ist die Unterscheidung der verschiedenen Schattierungen so wichtig, dass sie deren Gemeinsamkeit gar nicht wahrnehmen.

Findet man diesen babylonischen Sprachensalat nur bei Farben? Keineswegs! Im Serbischen gibt es beispielsweise kein einheitliches Wort für Onkel, sondern drei verschiedene Wörter für den Vaterbruder, den Mutterbruder und für den Gatten der Vater- oder Mutterschwester. Der Serbe empfindet also den Onkel väterlicherseits und den Onkel mütterlicherseits als zwei verschiedene Arten von Verwandten. Er besitzt auch kein einheitliches Wort für den Schwager: Der Bruder des Ehemanns heißt dever, der Bruder der Ehefrau sura. Auch im Mittelhochdeutschen gibt es ähnliche Unterschiede. Im Chinesischen wird „Bruder“ nicht nur mit Wort, sondern sogar mit zwei Wörtern bezeichnet: eines für den älteren Bruder und eines für den jüngeren Bruder - so wesentlich erscheint den Menschen aus dem Reich der Mitte dieser Unterschied. Manche Südseeinsulaner haben keine Zahlwörter schlechthin, sondern sie haben für jede Zahl verschiedene Wörter, je nachdem, ob es sich beispielsweise um Menschen, Kokosnüsse, Hütten, Delfine oder Pflanzungen handelt. Ihre Sprache ist also noch weit weltanschaulicher als die unsere. Sie vermag den abstrakten Begriff „zwei“ nicht zu bilden, sondern kann sich Zahlen nur Verbindung mit bestimmten Dingen vorstellen. Einige Indianersprachen haben auch 13 verschiedene Zeitwörter für das Waschen, le nachdem ob Hände, Gesicht, Kleider oder Schüsseln gewaschen werden. Ein Pferd ist im deutschen Sprachraum - aber nur dort - entweder ein Hengst, eine Stute oder ein Wallach, zuweilen ein Ross oder ein Renner, eine Mähre, ein Klepper oder ein Gaul, ein Schimmel, Fuchs, Rappe oder Falbe. In Wirklichkeit handelt sich immer um dasselbe vierbeinige Geschöpf. Daß sich die alten Römer mit dem Wort equus und - mit leichter Abwandlung - equa begnügten, ist irgendwie verständlich: Sie lebten mit Pferden auf weniger freundschaftliche Weise zusammen als die alten Deutschen und empfanden daher nicht das Bedürfnis nach so vielen Unterscheidungen.

Mit dem Zauberstab des Wortes bilden Menschen aus der Formlosigkeit und Bewegtheit der Welt die ordnenden Gestalten der Begriffe. Dieses Instrument verwendet jedes Volk verschieden, und in der Art, wie es damit umgeht, prägen sich seine Anschauungen aus. Die Koreaner zum Beispiel, ein besonders förmliches, streng nach Kasten getrenntes Volk, kennen bei einem Zeitwort 20 verschiedene Formen, je nach dem Rangverhältnis zwischen Sprechendem und Angesprochenem. Bei einigen afrikanischen Eingeborenendialekten beginnt jedes Wort mit einer von 17 Vorsilben: mit ihnen teilen diese Menschen die ganze Welt in 17 Grundkategorien ein. Durch diese Art der Wortbildung wird die ganze Welt schematisiert. Das Oberhaupt einer Gemeinde nennen wir „Bürgermeister“, ursprünglich Burgemeister, also Meister der Burg; in der Zigeunersprache heißt das Stadtoberhaupt peso rai, was „dicker Herr“ bedeutet; offenbar erachten die Sinti und Roma als kennzeichnendes Merkmal dieses Amtes etwas ganz anderes. „Die Verschiedenheit der Sprachen“, sagte Humboldt, „ist nicht eine Verschiedenheit an Schällen und Zeichen, sondern eine Verschiedenheit der Weltansichten selbst.“ Als man Aristoteles ins Lateinische, Arabische und Deutsche übersetzte, kamen drei verschiedene Aristoteles heraus, und manche Übersetzer weisen darauf hin, daß es völlig unmöglich sei, eine Seite Platos ins Hebräische zu übertragen. Zwei verschiedene Sprachen sind zwei verschiedene Weltansichten. Schopenhauer hat deshalb empfohlen, daß in jeder Übersetzung der Geist einen neuen Leib bekommen müsse - jede Übersetzung sei eine Art Seelenwanderung.

Der große Chemiker und Philosoph Wilhelm Ostwald (1853 bis 1932) hat einmal gesagt: „Die Sprache ist ein Verkehrsmittel; so wie die Eisenbahn die Güter von Leipzig nach Dresden fahre, so transportiere die Sprache die Gedanken von einem Kopf zum anderen.“ Aber die Köpfe sind keine Lagerhäuser und die Worte keine Güterwagen. Will man einen wirtschaftlichen Vergleich anwenden, so entspricht die Sprache nicht dem Verkehrsgewerbe, sondern den Güter schaffenden, Wert gestaltenden Teilen der Wirtschaft. Die Sprache gibt der Welt ihre Form. Sie ist keine bloße Etikettierung, sondern ordnet die Vielfalt der Gegenstände, Vorstellungen und Hypothesen. „Ein Volk hat keine Idee, zu der es kein Wort hat: die lebhafteste Anschauung bleibt dunkles Gefühl, bis die Seele ein Merkmal findet und es durchs Wort dem Gedächtnis, der Rückerinnerung, ja endlich dem Verstande der Menschen, der Tradition einverleibt“ (Herder). Goethe hat mit einem schönen Beispiel anschaulich gemacht, welche Bedeutung allein dem grammatischen Aufbau einer Sprache für die Weltanschauung zukommet: „Welch eine andere wissenschaftliche Ansicht würde die Welt gewonnen haben, wenn die griechische Sprache lebendig geblieben wäre und sich anstatt der lateinischen verbreitet hätte. Das Griechische ist durchaus naiver, zu einem natürlichen, heitern, geistreichen ästhetischen Vortrag glücklicher Naturansichten viel geschickter. Die Art, durch Verba, besonders durch Infinitive und Partizipien zu sprechen, macht jeden Ausdruck läßlich; es wird eigentlich durch das Wort nichts bestimmt, bepfählt und festgesetzt, es ist nur eine Andeutung, um den Gegenstand in der Einbildungskraft hervorzurufen.“ Auch in der Auseinandersetzung der Nationen sind Glanz und Kraft einer Sprache von jeher gewichtige Trümpfe gewesen. „Die Geschichte zeigt, daß alle herrschenden Völker der Weltperioden nicht durch Waffen allein, sondern vielmehr durch Verstand, Kunst und durch eine ausgebildete Sprache über Jahrtausende hin geherrscht haben“ (Herder). Von der Verfassung, in der sich eine Sprache befindet, hängt es ab, was in ihr gedacht und gesagt wird. Eine saftlose Sprache bedeutet ein verwaschenes Denken. Jeder Verfall von Tugenden und Werten schlägt sich in der Sprache eines Landes nieder - und umgekehrt! Der österreichische Schriftsteller Josef Weinheber (1892-1945) hat diesen Sachverhalt etwas pointierter zum Ausdruck gebracht: „Der Sprachverderber ist der eigentliche Hochverräter.“

Durch Verflachung der Sprache verflacht auch das Denken. Wenn tausende Wörter vergessen werden, gehen mit ihnen tausende Begriffe unter. Wenn die Sprache schablonenhaft wird und die Modewörter des Zeitgeistes den anspruchslosen Sprachbedarf von Millionen befriedigen, dann läuft auch das Denken Gefahr, in einem allgemeinen Brei verschwommener Begriffe zu verkleistern und gegenüber konkurrierenden Sprachen - zum Beispiel im Wettbewerb internationaler Institutionen wie EU und UN - den Kürzeren zu ziehen. Wird der Ausdruck austauschbar, der Satzbau undurchsichtig und nebelhaft, dann verlieren beide - Sprache und Denken einer Nation - Schwung, Tatkraft und Leidenschaft. Mit besonders bitteren Worten hat bereits Schiller dieses typisch deutsche Übel beklagt: „Die Sprache der Gelehrten ist der Leichtigkeit, Humanität und Lebendigkeit nicht fähig, welche der Weltmann mit Recht verIangt. Es ist das Unglück der Deutschen, daß man ihre Sprache nicht gewürdigt hat, das Organ des feinen Umgangs zu werden, und noch lange wird sie die üblen Folgen dieser Ausschließung empfinden.“ Deswegen beherrschen wir Deutschen – wie schon Goethe gesagt hat – „die Kunst, die Wissenschaften unzugänglich zu machen“. Mancher deutsche Professor gleicht in seinen Abhandlungen einem Mathematiker, der mit dem Rücken zum Hörsaal auf dem Podium an seinem Katheder steht und auf der schwarzen Tafel endlose kunstreiche Formeln kritzelt; er schaut sich nicht um, und es ist ihm ganz gleichgültig, daß selbst der wißbegierigste Student angesichts solcher Zahlenlawinen den Faden verloren hat, daß ein großer Teil des Auditoriums längst Zeitung liest, ein anderer Teil schläft, ein anderer Teil sich klammheimlich verdrückt hat - unbeteiligt wie ein Monument steht er da, den Rücken zum Publikum, vor dem Kopf das schwarze Brett, das ihm die Welt bedeutet...


 



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