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Sprache / Rechtschreibreform / Berichte 2005/7-9 / 59. Verlierer der
 

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Verlierer der Sprachgeschichte
Die Kultusminister tagen wieder zur Rechtschreibreform


Berliner Zeitung vom 14.07.2005 von Reinhard Markner   

Die heutige Sondersitzung der Kultusministerkonferenz (KMK) in Berlin dient primär der Vorstellung der Ergebnisse einer neuen Pisa-Studie. Auf Antrag Bayerns werden sich die Minister aber auch noch einmal mit dem Vorschlag beschäftigen, die notenwirksame Einführung von Teilen der Rechtschreibreform zu verschieben. Er war am 23. Mai gescheitert, weil eine Minderheit der Ministerpräsidenten dagegen votiert hatte.

Degradierter Rechtschreibrat
Die von der KMK Anfang April gefällte Entscheidung, drei Teilbereiche der Reform für "unstrittig" zu erklären, desavouierte den Ende letzten Jahres eingesetzten Rat für deutsche Rechtschreibung, der mit seinen Reparaturarbeiten gerade erst begonnen hatte. Durch eine Änderung seines Statuts ist dem Rat mittlerweile auch die Revision der reformierten Silbentrennung ("ane-cken" oder "ext-rem") untersagt worden.

Da der Rechtschreibrat unter Leitung seines Amtsvorgängers Hans Zehetmair berät, ist der bayerische Kultusminister Siegfried Schneider über diese Entwicklung verständlicherweise unglücklich. Was der Rat mittlerweile als erste Arbeitsergebnisse vorgelegt hat, stimmt allerdings auch nur in Maßen freudig.

Zwar stimmt die Grundtendenz, die barocken Getrenntschreibungen ("Furcht erregend", "lahm legen") wieder zurückzudrängen. Ein schlüssiges Gesamtkonzept liegt aber weiterhin nicht vor, zumal der Rat die Strukturen des defekten Regelwerks von 1996 nicht angetastet hat. Er empfiehlt, "kopfstehen" und "er steht kopf" zu schreiben, aber "marathonlaufen" und "er läuft Marathon". Aus politischen Gründen bleibt es natürlich bei "Rad fahren" und "er fährt Rad". "Kopfstehen" zählt der Rat zu jenen Verben, deren erste Bestandteile "die Eigenschaften selbstständiger (!) Substantive weitgehend verloren haben". Das ist schon etwas merkwürdig. Wenn dann noch dieselbe Begründung für die Schreibung "leidtun" gegeben wird, sind aber die Grenzen des guten Geschmacks überschritten.

Das Adjektiv "leid" - es sollte sich mittlerweile herumgesprochen haben - ist ein anderes Wort als das Substantiv "Leid". Das Grimmsche Wörterbuch weiß: "gewöhnlich ist das adj. leid nur noch in den festen formeln leid sein, werden, thun". Stimmt, und deshalb ist eine orthographische Unterscheidung zwischen "leid sein" und "leidtun" so wenig grammatisch geboten, wie sie im Schreibgebrauch angebahnt ist. Statt "leid" könnte "überhand" unter die unselbständig gewordenen Substantive gerechnet werden - stattdessen schlägt der Rechtschreibrat es zu jenen Verbpartikeln, die "Merkmale von frei vorkommenden Wörtern verloren haben". Zu diesen Verlierern der Sprachgeschichte zählt er unter anderem noch "entzwei-" und "fürlieb-". "Fürlieb" habe man bis ins 18. Jahrhundert hinein bisweilen noch getrennt geschrieben, heißt es im Grimm, "doch setzte man das wort immer nur in der verbindung mit nehmen". Welches Merkmal soll es also im Laufe der Zeit verloren haben?

Diese Bestimmung ist ebenso unklar wie die Gegenüberstellung von "darin sitzen" und "drinsitzen". Möglicherweise will man an der Getrenntschreibung der unverkürzten Wörter festhalten. Das Deutsche kennt aber Verben wie "darangehen" oder "darunterfallen" und andererseits die Wendung "sich nichts d(a)raus machen" - unabhängig davon, ob das a wegfällt oder nicht. Die Betonung zeigt es an.

Merkwürdig ist der Umgang mit dem Verb "kennenlernen". Es soll bei "übertragener Bedeutung" wieder zusammengeschrieben werden dürfen - eine wörtliche Bedeutung von "kennen lernen" ist jedoch unbekannt. Eine Speise möge man "kaltstellen" oder "kalt stellen", meint der Rat, einen Politiker hingegen nur "kaltstellen" - wegen "idiomatisierter Gesamtbedeutung". Der alte Duden nannte das weniger pompös einen "neuen Begriff".

Der Schreibende entscheidet
Der Rat weiß hingegen selbst nicht so genau, was von seiner Terminologie zu halten ist: "Lässt sich in einzelnen Fällen keine klare Entscheidung darüber treffen, ob eine idiomatisierte Gesamtbedeutung vorliegt, so bleibt es dem Schreibenden überlassen, getrennt oder zusammenzuschreiben."

Da sie den Rechtschreibrat ohnehin entmachtet haben, könnten die Kultusminister diese Toleranzregel gleich auf das ganze unstrittig umstrittene Gebiet ausdehnen. Eine entsprechende Formulierung könnte etwa lauten: "Die Getrennt- und Zusammenschreibung unterliegt keiner behördlichen Aufsicht. Hinweise zum empfehlenswerten Schreibgebrauch sind den einschlägigen Wörterbüchern zu entnehmen." Soweit erkennbar, stünde einer solchen Regelung nicht einmal eine EU-Richtlinie entgegen.

 



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