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Sprache / Artikel zur Sprache XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX / 66. Der Dativ ist dem Genitiv
 

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„Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod"
 Buchbesprechung in WSB 9/2005

 

Wiener Sprachblätter 2005/3   

Kein anderes stilkundlich-sprachkritische Werk der letzten Jahre hat soviel Aufmerksamkeit erregt wie dieses von Bastian Sick verfaßte Werk. Sick ist der Betreuer der Zwiebelfischspalte der Weltnetzausgabe des Spiegel (scheint im gedruckten Spiegel nicht auf), einem Gegenstück zu unserem „Nasenstüber". Ein „Zwiebelfisch" ist übrigens ein Buchstabe einer Schriftart, die versehentlich in ein Wort eines Textes mit anderer Schriftart geraten ist (z. B. das la in Zwiebelfiscla), ein Fehler, der heute, da die Lettern nicht mehr mit der Hand eingefügt werden, kaum mehr vorkommt.

Um es kurz zu machen: das ungefähr 200 Seiten lange und locker geschriebene Buch ist lustiger, angenehmer Lesestoff, der keinerlei sprachwissenschaftliche Voraussetzungen verlangt, aber nur für diejenigen neuartig, die Engel und Reiners nicht kennen; noch dazu sind deren Bücher weit umfassender (vgl. WSB 2/2002 und 3/2002) als Sicks Taschenbuch. An Ludwig Reiners gemahnt auch Sicks Stilmittel, sich durch übertriebene Nachahmung über eine Stilschwäche lustig zu machen; z. B. schließt das Kapitel über die zu häufige Verwendung von -bar und fähig mit den Worten: „Wie der Kampf der Silben ausgeht, bleibt abwartbar. Oder abwartungsfähig. Vielleicht haben wir es in ein paar Jahren mit akzeptierungsfähigen Entscheidungen zu tun, mit kauffähigen Produkten und erinnerungsfähigen Menschen." (S. 86). Das ist ja recht erheiternd, aber im Vergleich zu Reiners' Beginn der Heiligen Schrift auf amtsdeutsch (,Am Anfang erfolgte seitens Gottes sowohl die Erschaffung des Himmels als auch die der Erde ...", vgl. WSB 2/2002, S. 40) ein wenig harmlos. Dieses Buch ist nur deswegen so bekannt geworden, weil die meisten Zeitgenossen Reiners (und auch die WSB) nicht kennen. Mit Verwunderung nimmt der Leser zur Kenntnis, daß es sich bei dem überwiegenden Teil des Tadels und der Lehren um die herkömmlichen Stilvorschriften handelt.

Zugute halten muß man Sick, daß er sich gegen die Verirrungen der Rechtschreibreform und des Denglischen ausspricht und neue Schwierigkeiten anspricht. Bemerkenswert ist seine Begründung, warum der Abklatsch (Lehnprägung, Calque) es macht Sinn (von it makes sense) sinnlos ist:

„Sinn“ und „machen“ passen einfach nicht zusammen. Das Verb „machen“ hat die Bedeutung von fertigen, herstellen, tun, bewirken; es geht zurück auf die indogermanische Wurzel mag-, die für „kneten“ steht. Das Erste, was „gemacht“ wurde, war demnach Teig. Etwas Abstraktes wie Sinn lässt sich jedoch nicht kneten oder formen. Er ist entweder da oder nicht. Man kann den Sinn suchen, finden, erkennen, verstehen, aber er lässt sich nicht im Hauruck-Verfahren erschaffen. (S. 49).

Eine erfrischende Antwort finden wir auf S. 146f.: „Die Antwort auf die Frage, ob es „downgeloadet“ oder „gedownloadet“ heißen muss, lautet: Weder noch, es heißt „heruntergeladen“.

Neuer Unsinn sind die Lehnprägungen ich erinnere das nicht, ich denke (statt glaube), sind Sie bequem; Halbzeit zwei (statt zweite Halbzeit) oder Minute 68, in 2005, alle natürlich dem Amerikanischen nachgebildet (S. 154).

Aberwitzig ist auch die Veramerikanisierung von Städtenamen: in Mexiko sagt man Ciudad de Mexico, auf deutsch Mexiko-Stadt, die Dengländer sagen Mexiko-City und glauben, daß sie die einheimische Bezeichnung verwenden; dasselbe bei Kuweit City und Panama City (S. 219). Wann wird es zu Vatican City kommen?

Einige Ungenauigkeiten und sogar Fehler, die einem Sprachkritiker nicht unterlaufen sollten, haben sich in das Buch eingeschlichen. Es ist m. E. nicht unmöglich, statt Student Studierender zu sagen, weil jemand nur in der Zeit ein Studierender sei, in der er tatsächlich hinter einem Buch sitze (S. 171); im Deutschen gibt es eine ganze Reihe hauptwörtlich gebrauchter Mittelwörter, vgl. der Reisende, der Vorsitzende usw. (ein Vorsitzender bleibt ein Vorsitzender, auch wenn er zu Hause im Bett ruht). Erstaunlich ist die Aussage (S. 182), daß das Imperfekt (z. B. ich trank) die unvollendete Form des Deutschen sei, das Perfekt dagegen (ich habe getrunken) die vollendete, abgeschlossene. Wahr ist das Gegenteil. Bei ich habe getrunken ist die Wirkung noch vorhanden (z. B. schwankt der Sprecher), ich trank kann sich auch auf eine Zeit vor zwanzig Jahren beziehen (z. B. trank der Sprecher in der Schule nie Wein). Belustigend sind die Beispiele auf S. 187: „bewegen: Das reflexive Verb wird regelmäßig gebeugt: bewegen, bewegte, bewegt; ich bewegte zuerst den linken Arm, dann den rechten; deine Geschichte hat mich sehr bewegt." Beide sind nicht Beispiele für die reflexive, sondern für die transitive Verwendung von bewegen (das mich ist hier nicht reflexiv, rückbezüglich!). Reflexiv ist z. B.: das Faultier bewegt sich langsam.

Mit einigen Einschränkungen ist das Buch als leichter Reiselesestoff zu empfehlen. Ein zweiter Band ist soeben erschienen.

 

 



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