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Sprache / Artikel zur Sprache XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX / 8. Die unverhüllte Inhumanität
 

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Die unverhüllte Inhumanität
 Dolf Sternbergers scharfsinnige Analysen des politischen Sprachgebrauchs

 

von Iring Fletscher    

Dieser elfte Band der Schriften Dolf Sternbergers enthält in den ersten beiden Teilen vor allem Reden und Essays zum Problem der Rolle der Publizistik in der Demokratie, während die beiden letzten Teile sich mit dem schlechten und abgründigen Deutsch nicht nur der Nazis beschäftigen. Während die grundsätzlichen Ausführungen über die „vierte Gewalt" zwar lesenswert und wie immer brillant formuliert sind, haben mich vor allem die sprachkritischen Überlegungen und Glossen als höchst aktuell beeindruckt.

Eine besonders scharfe Analyse des Sprachgebrauchs findet sich allerdings schon in der ersten Abteilung. Es handelt sich um eine decouvrierende Untersuchung der von Franz von Papen als Reichskanzler benützten Metaphern. Hier ist Sternberger weit radikaler als der spätere Leitartikler der F.A.Z. „Die Worte in staatsmännischen Reden gleichen vielfach Kapseln, die außen farblos sind, deren Inhalt aber geheim bleibt, und die ebendeswegen unzähliger Kommentare bedürfen."

Sternbergers Kommentar etwa zu dem Gebrauch des Wortes „gottgewollt" läßt an Klarheit nichts zu wünschen übrig: „Jede Art von Ordnung oder auch Unordnung läßt sich als gottgewollt rechtfertigen ... Zunehmend ... wurde das, was mit dem Willen Gottes gedeckt und durch Berufung auf ihn gestützt und erhöht wurde, weniger und bestimmter: die Monarchie etwa oder die Güterverteilung, der Gegensatz von Arm und Reich und dergleichen. Infolge davon fielen die Menschen, die es in dieser jeweiligen Beziehung anders machen wollten, aus der gottgewollten Ordnung heraus und wurden zu teuflischen Mächten. Herr von Papen versteckt sich bloß noch hinter dem Willen Gottes . . ., dies fromme und große Wort . . . dient bei ihm dazu, anderen Interessenten gegenüber das Versprechen zu kaschieren, das er den Besitzern der Produktionsmittel betreffs Abbau der Soziallasten gegeben hat. Die Besitzenden selber dürften Gottes Wille wohl verstanden haben." In ähnlicher Weise entschlüsselt Sternberger dann auch den Sinn von „Söhne der Heimat", „Lebenswille", „des Volkes Mark", an dem „Gift frißt", „Schicksal", "Stände" und so weiter. Die Metapher "sittliche Grundlagen" wird als „Kapital, Profit und alle Institutionen zu dessen Schutz: Militär, Polizei, Gesetzgebung, Bürokratie" entschlüsselt.

Der Leitartikel aus der Frankfurter Zeitung vom 22. Juni 1940 feiert und kommentiert die Erfindung des Buchdrucks als aktuelles Ereignis, während tags zuvor in Compiegne die Waffenstillstandsbedingungen unterzeichnet worden waren. Nur für die stupide Zensur versteckt, charakterisiert Sternberger am Schluß dieses Artikels, wie die durch den Buchdruck ermöglichte „Geburt der Öffentlichkeit" durch ein staatliches Meinungsmonopol wieder zunichte gemacht wird: „Wir haben gesehen, daß man von den alten und neuen Mitteln der Vervielfältigung im politischen und sozialen Leben den stärksten Gebrauch machen und dennoch die öffentliche Meinung in der entscheidensten Weise lenken und führen kann - womit sie eben aufgehört hat, öffentliche Meinung im überlieferten, liberalen Sinne zu sein.

Die Mittel der Vervielfältigung sind aus ihrer Verteilung und Zerstreuung genommen und elber in einer Hand vereinigt und konzentriert, als Mittel der einen Macht m Dienst genommen worden, und dies ist sogar zu einem wesentlichen Kennzeichen der modernen Herrschaftsform geworden." Man staunt, wie solche öffentliche Kritik in der Publizistik des „Dritten Reiches" möglich war. Vermutlich zur abmildernden Verschleierung fügt Sternberger den Satz hinzu, auf diese Weise sei es möglich, „ganze Völker zu organisieren und zu einem, für alle gültigen Ziele zu aktivieren". Von der Gestapo vorgeladen, hätte er sagen können, er habe nur nüchtern formuliert, was Goebbels in seinen Direktiven für die Presse und den Rundfunk etwas blumenreicher gesagt habe.

Es reizt mich, Beispiele für Sprachkritik .,aus dem Wörterbuch des Unmenschen" zu zitieren, das auch durch Sprachglossen nach 1945 fortgeführt wurde. Dabei geht es um verhüllte Inhumanität, die sich sogar des Wortes „Mensch" bedienen kann, um Verschwommenheit und falsche Weihe - wie sie das Wort „Anliegen" (statt Interesse) oder „Wissen um" statt Wissen von (oder Wissen der) - zu suggerieren. Entlarvend ist die Analyse des Gebrauchs von „Ressentiment", wenn ehemaligen Feinden zugestanden wird, „sie hätten keine Ressentiments gegen Deutsche" mehr. Daß zumindest in unserer Sprache, durch Nietzsche und Freud beeinflußt, Ressentiment ein minderwertiges Gefühl von Neid, Mißgunst, Übelwollen Schadenfreude und so weiter bezeichnet, wird in dieser - freundlich gemeinten - Redeweise „vergessen". „Der falsche Wortgebrauch entspringt ... aus dem Bedürfnis, die Gründe wegzuwischen, sie vergessen zu machen, selber zu vergessen, und sei es auch auf Kosten derer, welche Gründe haben", Gründe nämlich, Deutsche als Angehörige des Volkes zu hassen, das ihr Land mit Krieg überzog (wie Belgien, die Niederlande, Polen, Frankreich, Rußland) oder ihr Volk auszurotten versuchte (wie das jüdische).
Besonders eindrucksvoll ist auch die „Untersuchung eines Satzes", der sowohl grammatikalisch und stilistisch total verunglückt ist als auch - nach mühevoller Entschlüsselung - sich als nichtssagend erweist. Er lautet: „Erst muß doch das menschliche Zusammenleben in Ordnung sein, um menschliche Betätigung zu erlauben" (Lehrbuch für Politik, 1950). An diesem Satz stimmt einfach nichts.

Sternberger braucht zwölf Seiten, um zuerst auf seinen (womöglich) gemeinten Sinn zu kommen und ihn dann als nichtssagend zu entarven. Ich muß mir leider versagen, diese Argumentation zu rekapitulieren, sie ist jedenfalls ein ;roßartiges Beispiel von Sprachkritik, einer Kritik, die heute ebenso notwendig ist, wie sie es 1950 war. Ich zitiere als Beispiel einen Satz, der erst in diesen Tagen in einer der führenden bundesdeutschen Tageszeitungen stand, um nachzuweisen, daß wir eine ganze Reihe von Sternbergers brauchten, um die andauernde Sprachmisere zu überwinden: „Der Anspruch der Praxisorientierung einer Wissenschaft erfordert ein Abstraktionsvermögen, das die Unwägbarkeiten der Wirklichkeit ebenso ausblendet wie die Wiederkehr der Geschichte." Die Junge Historikerin, die diesen Satz in einer Rezension formuliert, häuft die meisten Fehler an, die Sternberger seinerzeit aufgedeckt hat: Substantivitis, unklare Satzkonstruktion, problematischer Sinn.

Zu den Modeworten, die Sternberger kritisch kommentiert („Ringen" - der Parteien, die einen Kompromiß verkaufen wollen und sich „nach schwerem Ringen" geeinigt haben, „Denkanstöße" - die an Elektroschocks erinnern; „Unterstreichen"), könnte man heute eine ganze Reihe hinzufügen: „abwickeln", „kontaktieren", "anschreiben" (statt jemandem schreiben), „reflektieren" (transitiv gebraucht), „sich einbringen", „Sinn machen", „beinhalten" (statt enthalten, umfassen) et cetera.

Sprachkritik ist keine belanglose Nebenbeschäftigung von pedantischen Gelehrten. Sie ist notwendig und heilsam. Wittgenstein schreibt irgendwo: „Philosophie ist ein Kampf gegen die Faszination, die Ausdrucksweisen auf uns ausüben." Gefährlich wird diese Faszination besonders dann, wenn sie von nicht genügend durchdachten und schiefen Begriffen und Sätzen ausgeübt wird.

Dolf Sternberger: Sprache und Politik Insel Verlag, Frankfurt am Main 1991; 447 S.

 



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