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Sprache / Artikel zur Sprache XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX / 9. Zwischen Zeitstil- und Modewort
 

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Zwischen Zeitstil- und Modewort
 Eine zweckmäßige Sprachreform erleichtert die Verständigung

 

Von Lutz Mackensen   

Was kümmert den Ingenieur die Sprache? Das ist eine dumme Frage. Aber sie ist nicht aus der Luft gegriffen. Wie sie hier steht, ist sie oft zu hören. Bei dem Versuch, den technischen Bereich der Sprache zu untersuchen, findet man unter den Ingenieuren im wesentlichen zwei Gruppen: die einen, die auf ihre Sprache meist viel genauer achten als Angehörige anderer Berufe, die sich, ehe sie den Stift aufnehmen, der Regeln zu erinnern suchen, die sie im Grammatikunterricht ihrer Schuljahre gelernt haben, und die, wenn sie schreiben, gern zwischen „falsch" und richtig" unterscheiden möchten, und die anderen, die zu ihrer Sprache wie andere zur Wasserleitung stehen: wenn sie aufgedreht wird, hat sie, wie auch immer, zu fließen. „Schön" oder „schlecht", „richtig" oder „falsch" gibt es nicht. Das einzige, worauf es wirklich ankommt, ist die Tatsache, daß es fließt; irgend etwas wird der, für den man den Hahn betätigt, schon damit anzufangen wissen.
Nun ist der Ingenieur heute einer der wichtigsten Verbraucher unserer Sprache. Er verlangt ihr, unaufhörlich fast, neue Wörter für das ab, was er sucht oder fand: er verbindet, trennt, kürzt, holt Fremdwörter heran, deutscht fremde Bezeichnungen ein und bildet aus lateinischen, griechischen, englischen, deutschen Bestandteilen Neuwörter, die oft ohne Vorbild sind. Er führt der Muttersprache neue Begriffe zu, die meist nicht nur von Fachkreisen gebraucht werden, die sich in der Umgangssprache ansiedeln und von Mund zu Mund, ja von Kind zu Kind gehen. Neun von je hundert Worten, die der Durchschnittsdeutsche spricht, stammen aus der Technik oder haben technischen Bezug. Es gibt keine andere Fachsprache, die so viel zur Umgangssprache unserer Zeit beigetragen hat wie sie. Das ist, bei ihrer Rolle im öffentlichen Leben, nicht verwunderlich. Aber es ist eine Antwort auf die anfangs gestellte Frage. Der Ingenieur hat, bei so inniger Verbindung zu seinem Werkstoff Sprache, ihr gegenüber eine besondere Verantwortung. Sie ist um so hintergründiger, je stärker dieses Geben und Nehmen ist. Hier versagt das Bild vom Wasserhahn endgültig: angewiesen auf die Sprache, ist der Ingenieur auch unablässig ihr Beiträger. Er kommt ohne sie nicht aus, aber sie holt sich aus seinen Bekundungen den Zuwachs, aus dem sie fortlebt.

Diese Partnerschaft zur Sprache hat im Grunde jeder Mensch. Es ist eines ihrer Geheimnisse, daß die Sprache für jeden da ist und durch jeden weiterentwickelt wird, vorgeformt und doch noch formbar, daß sie Erbe und Werkstoff ist. Sie nötigt uns, da wir sie übernehmen, eine Fülle von Begriffen Lind Vorstellungen, ein ganzes Weltbild auf, an das wir gebunden sind, aber das wir doch durch das, was wir erleben und damit ersprechen, modifizieren, um es verändert unseren Kindern weiterzugeben. Was jeder von uns tut, der Ingenieur tut es in besonderem Maß. Er ist in seinem Drang, voranzukommen, der ungestümste aller Zeitgenossen; er schlägt sich mit dem Spracherbe mehr herum als jeder andere; es ärgert ihn, weil es seine Beweglichkeit bedrängt, weil es ihm zu eng ist, aber es stachelt ihn zu besonderen Leistungen auch auf diesem Gebiet an. Er deckt sich seinen Nachholbedarf mit einer Schöpferkraft, die in der Vergangenheit unserer Sprache ohne Beispiel, für ihre Zukunft von entscheidender Bedeutung ist. Das ist der Punkt, an dem auch die Maße „schön" und „schlecht", „richtig" und „falsch" fragwürdig werden. Es entsteht in unsern Jahrzehnten eine neue Sprachform, die ihre Anregungen weithin aus dem technischen Bereich erhält, eine Sprachform, die nicht von den Regeln" früherer grammatikalischer Feststellungen geprägt wird, sondern eigene Grundsätze entwickelt. Das ist keine Fachsprache wie die der Ärzte oder Gärtner; je tiefer die Technik ins Haus dringt, je mehr sie unsere Lebensformen ändert und bestimmt, um so mehr nehmen wir alle unser Teil von ihr in unser Sprechen hinein.

Das Streben nach Deutlichkeit
Aber bei alledem bleibt der Ingenieur doch Teilhaber der Muttersprache wie jeder andere Sprachgenosse. Er ist, zunächst jedenfalls, auf ihr Wortgut angewiesen; die Art, wie sie Gedanken form gibt, wie sie Sätze baut, ist auch für ihn verbindlich. Er ist, wie wir alle, auch ihren Zeitströmungen und Moden ausgesetzt, bei seinen meist engen Beziehungen zur Industrie und Wirtschaft sogar besonders stark. Denn auch von hier gehen starke Impulse auf die Sprache, aber solche, die den Bedingungen seiner Arbeit oft zuwiderlaufen. Natürlich richtet die Wirtschaft andere Wünsche an ihre Partner als die Technik: sie will für ihre Erzeugnisse werben; sie bevorzugt eine Sprachform, die nicht so sehr wissenschaftlich genau als vielmehr eingängig und publikumswirksam sein möchte. Aber was sie herstellt, stammt vom Ingenieur und entsteht unter seinen Augen; erst wenn er seine Arbeit beendete, beginnt der Kaufmann die seine. Da reicht einer dem andern die Hand; dabei gehen auch Worte hin und her, Redeformen und Sprechweisen werden ausgetauscht und angewöhnt. Das Sprachband zur Wirtschaft hin erschwert dem Ingenieur sein eigenes Sprachanliegen beträchtlich: er gerät hier leicht in eine Sprechweise, die seinem Bedürfnis zur Präzision des Ausdrucks entgegenarbeitet.

Daneben wirken, woher sie nun auch stammen mögen, andere Sprachmoden auf ihn und bringen ihn, ohne daß er es bemerkt, von seinem Wege ab. Ich gebe hier einig Hinweise, die dem einen oder andern Leser willkommen sein mögen - nicht, daß sie neu wären, aber mir fällt auf, wie oft sich gerade Verfasser von Büchern und Aufsätzen technischen Inhalts durch diese Eintagsfliegen unserer Sprache beirren lassen. Da ist, um einen Anfang zu machen, unsere merkwürdige, scheinbar unserer Zeitnot widersprechende Eigenart zur Spreizung unserer Aussagen. Wir haben es uns seit geraumer Zeit, vielleicht nicht ohne den Einfluß französischer Vorbilder und jedenfalls angeregt und gestützt durch die Zeitungen früherer Jahrzehnte, angewöhnt, einen Vorgang statt durch ein Zeitwort durch eine Verbindung von Haupt- und Zeitwort auszudrücken. Das ist um so abwegiger, als jedenfalls das Zeitwort unsere Sätze bewegt, durch diese Umschreibung aber das Gewicht unserer Aussage auf das Hauptwort verlagert, während das Zeitwort fast gleichgültig, bedeutungslos wird. Diese Unart ist also nicht nur umständlich, sie läßt unsere Sätze auch erstarren. Man sollte denken, der Ingenieur werde das eine wie das andere, zeitraubende Umständlichkeit wie unlebendige Satzaussagen, unter allen Umständen zu vermeiden suchen. Aber im Gegenteil: er bedient sich dieser seine Zeit und seinen Platz und das Verständnis seiner Leser blockierenden Ausdrucksweise mit besonderer Freude. In technischen Zeitschriften der letzten Wochen las ich: „Die Verformbarkeit von Stählen kann wesentlich verbessert werden" statt: „Stähle lassen sich besser verformen", „Im Zuge der Automatisierung fallen in gesteigertem Maße Aufgabenstellungen an" statt: „Die Automatisierung stellt immer neue Aufgaben", „Eine besondere Eignung derartiger Anlagen ist für die Automatisierung gegeben" statt: „Solche Anlagen können besonders gut automatisiert werden", „Eine Aufwärtsentwicklung des Textilgewerbes war zu verzeichnen" statt: „Das Textilgewerbe entwickelte sich erfreulich."

Besonders beliebt sind die sogenannten „Vertretungen". Was wird da nicht altes „gefunden"! Etwas kann „Verwendung (oder: Anwendung) finden'' (= verwendet werden), „Eingang finden" (= eindringen), „Verbreitung finden" (= verbreitet werden). Anderes „gelangt zur Anwendung" (= wird angewendet), „gelangt zum Verkauf" (= wird verkauft), „kommt zum Ausdruck" (= drückt sich aus), Einsparungen werden „erzielt" (= man spart ein), Qualitätseinbußen entstehen" (die Qualität wird geringer); eine „Entwicklung wird durchgeführt" (= es wird entwickelt, entwickelt sich), „Damit ist eine Leistungs- und Qualitätssteigerung verbunden" (= damit steigern sich Leistung und Qualität). Etwas wird „einer nochmaligen Kontrolle unterzogen" (= nochmals geprüft).

Wenn schon die Schreiber so viel Zelt haben, sich so verquollen auszudrücken, sollten die Schriftleiter ihren Rotstift nicht sparen, und in ihren Spalten Raun für echte Aussagen zu schaffen. Das wäre eine Arbeit, die sich, bei aller sprichwörtlichen Zeitnot, bezahlt machte. Warum muß es langatmig und unlebendig heißen: „Eine günstige Achsdruckverteilung ergibt sich ...", wenn es kürzer und anschaulicher heißen könnte: „Der Achsdruck verteilt sich günstig ...".

Häufig sind auch Doppelaussagen. Wenn behauptet wird, etwas „erfordert" etwas anderes, kann ich mir die Vokabel „zwangläufig" sparen: sie ist im Erfordernis enthalten. Man schreibe also nicht, dieses oder jenes „erfordert zwangläufig die Überwachung", sondern „macht die Überwachung notwendig", oder, noch besser und kürzer: „muß überwacht werden". - Die Präposition „für" deutet einen Zweck an; es ist unnötig, den Zweck noch besonders zu betonen. Es heißt also nicht: „für diesen Einsatzzweck", sondern „für diesen Einsatz"; nicht „für Fernmeßzwecke", sondern „für Fernmessungen", nicht „Öl für Heizzwecke", sondern „Heizöl". Ähnlich macht die Präposition „mit" Zusätze entbehrlich: „mit Hilfe von Zentrifugen" sagt nicht mehr aus als „mit Zentrifugen". Und wer die Präposition „unter" zeitlich verwendet, schließt in sie den Begriff der Gleichzeitigkeit ein. Fin Satz wie „unter gleichzeitiger Ausbildung einer Wandalkalität" ist also eine Doppelaussage - erfolgte die Ausbildung später, wäre „unter“ fehl am Platz.

Einsparbar sind oft auch Beiwörter. Da wird über „alle vorkommenden Schalt- und Meßgeräte" geschrieben - natürlich, über die nichtvorkommenden läßt sich wenig sagen; es genügt also „alle". „Der erforderliche Schutz muß erreicht werden": da hat ein Unheil ein zweites nach sich gezogen. Hätte der Verfasser keine „Vertretung" mißbraucht („Schutz erreichen"), wäre er nicht darauf verfallen, dem Pseudohauptwort auch noch ein entbehrliches Adjektiv beizugeben. An nichterforderlichen Schutz denkt kein vernünftiger Mensch. Also: „Es muß - geschützt werden". „Das notwendige Werkzeug ist nicht umfangreich". Sehr beruhigend: aber wie steht es mit dem unnötigen Werkzeug? Jemand will „alle gebotenen Vorteile ausnützen", ein anderer „auf bestehende Einrichtungen Rücksicht nehmen"; ein dritter erzählt, der heiße Boden habe die Reifen „der eingesetzten Fahrzeuge zerstört" (weiche denn auch sonst?), ein vierter will die „Verbindungen zwischen den teilnehmenden Kraftwagen aufrechterhalten" - mehr zu tun hieße ihn auch in der Tat überfordern. Besonders nett ist der Satz geraten: „Ein vorhandenes Bauobjekt war in dieser örtlichen Lage vorhanden": da sind gleich zwei Beiwörter überflüssig. In diesen Zusammenhang gehören auch die „eventuellen Leckstellen", die vermieden werden sollen, und, ein besonders häufiger Gast, („die genannte Firma". Oft wirken solche unbedachten Beifügungen komisch. „Für jeden Bedarfsfall gibt es", schreibt ein Ingenieur „geeignete Lötverbinder". Wie tröstlich! Mit ungeeigneten Lötern wäre auch niemanden geholfen. Übrigens spukt in diesem Satz auch der „Bedarfsfall", auch er ist eine beliebte Doppelaussage (denn jeder „Bedarf" ist ein „Fall". Der Satz müßte also heißen: „Für jeden Bedarf gibt es Lötverbinder."

Und wo wir gerade von Beiwörtern reden: man versuche doch, daran zu denken, daß die Endung -weise eine Art und Weise ausdrückt, also nur zur Bildung von Adverbien dienen kann. Sie läßt sich nicht wie ein Adjektiv behandeln. Man kann wohl etwas „teilweise umstellen" oder „schrittweise anschaffen", aber „teilweise Umstellungen" und „schrittweise Anschaffungen" sind vom übel. Die modische Beiwortendunq -mäßig ist oft entbehrlich: „kursmäßige Züge“ sind „Kurszüge" nichts weiter.

Wir neigen überhaupt seit einiger Zeit dazu, Beiwörter dort zu setzen, wo eigentlich ein Hauptwort die Aussage tragen müßte. Ein Musterbeispiel dafür ist „betrieblich", das fast immer falsch, d. h. dort gesetzt wird, wo es „im Betrieb" heißen müßte. Jemand will sich „betrieblich Erleichterungen verschaffen". Will er das „im Betrieb" oder „durch einen (näher zu erläuternden) Betrieb" oder wie tun? Ein anderer stellt „berufliche Anforderungen" und meint „Anforderungen, die der Beruf stellt". Hier wäre deutlichere Wortfügung einer Verständigung günstig. Das gilt besonders auch für Modewörter, die entweder falsche Gedankenverbindungen anregen oder überhaupt unnötig sind. Wer behauptet, etwas sei „praktisch nicht möglich", meint meist gar nicht, es sei zwar in der Theorie vorstellbar, aber in der Praxis nicht durchzuführen, sondern setzt das „praktisch" nur hinzu, um seinen Satz gewichtiger zu machen. Und gerade das hat der Ingenieur nicht nötig, ja er schadet seiner Aussage damit, wenn ich recht sehe. Das alles sind Sprachunarten der Zeit Die Liste ließe sich unschwer erweitern; das ist hier so unmöglich wie unnötig. Denn es kam mir darauf an zu zeigen, wie gut der Ingenieur daran täte, sich gegen sprachliche Unbedachtheiten zu wehren, die ihn in seinem Anliegen stören. Diese Ratschläge müßte jeder befolgen; aber der Ingenieur sollte sie sich besonders anliegen lassen. Sein Streben nach Kürze und Deutlichkeit darf er sich nicht durch Verquollenheiten des Zeitstils erschweren. Da geht es nicht um „schön" oder häßlich, sondern um „zweckmäßig oder abträglich": Und das sind Wertungen, die den Ingenieur an seiner Sprache kümmern müssen.


 



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