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Sprache / Rechtschreibreform / Berichte 2005/7-9 / 91. Wiener Sprachblätter zur
 

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Wiener Sprachblätter zur Rechtschreibreform
Zeitschrift für gutes Deutsch

 

von Gottfried Fischer   

Die geplante Rechtschreibänderung (soll ab 2005 verpflichtend sein)

Das Wort Rechtschreibreform klingt recht positiv, denn unter einer Reform versteht man meist eine sinnvolle Erneuerung eines veralteten und nicht mehr gut funktionierenden Phänomens oder Systems; sonst würde man einfach von einer Änderung sprechen. In diesem Sinn haben sich die Reformer bereits Vorschußlorbeeren zugestanden. Es ist jedoch sinnvoller, durch rationale Überlegungen festzustellen, ob es sich hier tatsächlich um eine Reform handelt oder bloß um eine Rechtschreibänderung.

Eine Rechtschreibreform stellt einen großen Eingriff in das Kulturleben einer Sprachgemeinschaft und jedes einzelnen dar, folglich kann man davon ausgehen, daß sie von ungeheurer Dringlichkeit und äußert vorteilhaft sein muß, wenn sie denn tatsächlich trotz der Schwierigkeiten, die sie bereitet, eingeführt wird.

Übersicht (zu den ausführlichen Darlegungen )

1.1 Die Kosten
1.2 Werden mehr Menschen Deutsch lernen?
1.3 Mehr Literaten?
1.4 Sprachwandel wird nachvollzogen?
1.5 Vereinfachung der Schreibweise?
1.6 Das etymologische Prinzip
1.7 Drei Konsonanten
1.8 Großschreibung
1.9 ss/ß
1.10 Getrennt- und Zusammenschreibung
1.11 Schreibung der Fremdwörter
1.12 Zeichensetzung
1.13 Ein Traditionsbruch
1.14 Ist die Reform im Sinne der Demokratie?
1.15 Die Übergangszeit
1.16 Alle politischen Richtungen bei den Reformgegnern vertreten
1.17 Finte: Vorzeitige Einführung
1.18 Geographische Bezeichnungen und Personennamen
1.19 Einer der wahren Gründe
1.20 Keine Verbesserung der Schreibfähigkeiten
1.21 Die wirklichen Schwierigkeiten
1.22 Schluß

Weitere Artikel in dieser Rubrik:
2 Wass isst dass??
3 Die deutsche Rechtschreibung wird unerlernbar

Das Urteil über die deutsche Sprache wurde in Karlsruhe gefällt: es werden die neuen Rechtschreibungen eingeführt. Wenn die Chefrichter behaupteten, sie hätten nicht "Obergutachter" über die deutsche Sprache (Vorsitzender Richter Papier) spielen wollen, so ist dies entweder tatsachenblind oder heuchlerisch zu nennen, denn von Anfang an unterstützten sie die Reform, indem sie zum Beispiel fünfmal mehr Fachleute als Gutachter vorluden, die sich für die Reform aussprachen, als solche, welche die Änderung ablehnten, und dann noch dazu, das wohl der Gipfel der Unparteilichkeit, den Kultusministern bereits vor der Urteilsverkündung zu verstehen gaben, alles sei in ihrem Sinne entschieden. Sie entschieden folglich über die Geschichte der deutschen Sprache und behaupteten dabei, nicht über die Sprache geurteilt zu haben. Wie man eine solche Vorgehensweise wohl nennen soll? Indessen stellt dies mitnichten den einzigen Widerspruch in der oberstgerichtlichen Beweisführung dar, denn einerseits wird gefordert, die Einheitlichkeit der Rechtschreibung sei sicherzustellen, und andererseits leisten die Richter einer Reform Vorschub, welche die (bis jetzt bestehende) Einheitlichkeit auf Jahrzehnte hin zerstören soll. Weiters werden wir belehrt, die Reform sei geringfügig (und daher sei kein Gesetz notwendig, die Anordnung der Minister genüge), andererseits soll sie die Rechtschreibung erheblich erleichtern. Obwohl sich die Karlsruher als Helfershelfer der Reformer betätigten, schrieben sie ihr Urteil übrigens nicht in der reformierten Schreibweise – und sie wußten warum; niemand weiß heutzutage, wie die neuen Regeln anzuwenden sind, sie hätten ihr Erkenntnis der Lächerlichkeit preisgegeben.

Ist die Rechtschreibänderung nun geringfügig oder nicht, betrifft sie, wie die Befürworter behaupten, nur jedes dreihundertste Wort eines Textes, oder zehn vom Hundert des deutschen Wortschatzes, wie die Gegner feststellen? Nun, die Reformer haben sich eines Kunstgriffs bedient, sie klammern nämlich die Änderungen im Bereich der ss/ß-Schreibung aus ihrer Berechnung aus, und gerade dieser Wandel macht neunzig vom Hundert der Umgestaltungen aus; man könnte hier von Augen(aus)wischerei sprechen.

Ist die geplante Rechtschreibreform wirklich so schlecht, wie ihre Gegner (immerhin zwischen fünfundsiebzig und neunzig v. H. der Bevölkerung, alle – äußerst progressiven – Schriftsteller, die Mehrheit der Sprach- und Literaturwissenschafter und fast alle Parteien außer der PDS und in Österreich den Grünen, der sozialdemokratische Wiener Exbürgermeister Zilk, der bundesdeutsche konservative Kanzler Kohl, Präsident Herzog, Außenminister Kinkel von der FDP) meinen, oder ist das Urteil dieser Gegner nur von schmählichem Neid auf die begnadeten Eingebungen der Reformer geleitet? Können wir nicht doch bedenkenlos fünf Milliarden Schilling (Schätzung der "Presse") für die Durchsetzung der Reform in Österreich ausgeben, um etwas wirklich Schönes zu bekommen?

Wenn man sich Beispiele für die neue Getrennt- und Zusammenschreibung an-sieht, glaubt man zunächst, daß die Reformer scherzen. Bisher heißt es wohlbehütet und wohlgeraten, das ist nicht sehr schwer zu merken, geändert werden soll in wohl behütet und (man höre und staune) wohlgeraten! Leider handelt es sich hierbei nicht um einen Scherz, ja nicht einmal um einen Einzelfall, das Büchlein von Stephanus Peil (Wörterliste) ist voll von solchen Beispielen für Ungereimtheiten. Der Grund dafür ist leicht zu finden, nämlich im neuen Regelwerk, wo es heißt, möglichst viele Wörter sollen getrennt werden, dabei sollen möglichst formal-grammatische Regeln gelten wie beispielsweise mangelnde Steigerungsfähigkeit, z. B. bloßstellen, ein *blößer stellen ist nicht möglich, daher wird bloßstellen zusammengeschrieben. Diese Regel wäre ja verständlich und nützlich, aber was soll das "möglichst"? Das heißt einfach, daß in allen Fällen, wo keine formal-grammatischen Regeln anwendbar sind, Wortlisten, das heißt aber Willkür zum Tragen kommt; daher stammt die Verwirrung, daher kommen die wie ein schlechter Witz aussehenden widersprüchlichen Schreibweisen. Außerdem werden nicht einmal die eigenen Regeln beachtet; man vergleiche das obgenannte Beispiel: Da wohl behütet getrennt geschrieben wird, müßte es ja steigerungsfähig sein, also *wohler behütet. Aber die Getrenntschreibung ist noch aus einem anderen Grunde Unfug, denn in dem Neuschreibsatz er war wohl behütet weiß man nicht, ob wohl im Sinne von "gut" oder "wahrscheinlich" gebraucht wird, der Satz wird uneindeutig. Ob darin das Ziel einer Rechtschreibreform liegen sollte?
Ein frisch gebackenes Ehepaar (neben frischgebackenem Brot) macht einen wirklich schmunzeln, man denkt unwillkürlich an einen Backvorgang, während ein hoch begabt neben einem hochgebildet wirklich Stirnrunzeln hervorruft. Wissen die Reformer nicht, daß es sich bei hoch- um ein sogenanntes Präfixoid handelt, mit der Bedeutung "in hohem Ausmaß, sehr, außergewöhnlich", vergleiche folgende von mir aus Zeitungen und Zeitschriften gesammelten Bildungen:

hochaktuell, hochamüsant, hochanfällig, hochangereichert (Uran), hochangesehen, hochanständig, hochbedeutsam, hochbegabt, hochberühmt, hochbetagt, hochbezahlt, hochdekoriert (Offizier), hochelegant, hochempfindlich, hochentwickelt, hocherstaunt, hochexplosiv, hochfein, hochgefährlich, hochgelehrt, hochgerüstet, hochherrschaftlich, hochhitzebeständig, hochindustrialisiert, hochintelligent, hochinteressant, hochkarätig, hochkompetitiv, hochkompliziert, hochkonzentriert, hochmechanisiert, hochmodern, hochnotpeinlich, hochoffiziell, hochpolitisch, hochpreisig (Autos), hochproduktiv, hochprozentig (Alkohol), hochqualifiziert, hochradioaktiv, hochrangig, hochromantisch, hochrot, hochschwanger, hochsensibel, hochstehend, hochtechnisch, hochungesättigt, hochunglücklich, hochverdient, hochverehrt, hochwertig, hochwillkommen, hochwirksam

Hier soll ein sprachlicher Zusammenhang, der mittels Zusammenschreibung deutlich gemacht wird, durch die Reformiererei verdunkelt werden, wodurch aber auch die in der heutigen Rechtschreibung liegende Folgerichtigkeit entfernt wird. Wie soll man Schülern oder Ausländern (oder uns) beibringen, daß es schwer fallen, aber schwerfällig, schwer behindert, aber schwerstbehindert heißt? Bei schwer fallen fällt noch ins Gewicht, daß die heute mögliche Unterscheidungsmöglichkeit schwerfallen ("Schwierigkeiten bereiten") und schwer fallen ("einen schweren Sturz tun") vernichtet wird.

Es fällt auch sehr schwer zu glauben, daß neuen Abteilungsvorschriften ernstgemeint sind. Wer würde Demok-rat abteilen oder ext-ra oder vol-lenden? Nur ein Vol-lidiot! Zu welcher Art Meise gehört die Walda-meise, welchen Amtsrang hat ein Kast-rat inne?

Ein Beispiel für die neuen Beistrichregeln gefällig: Er fing an seine Geliebte im Arm zu essen. Da ist das heutige Er fing an, seine Geliebte im Arm, zu essen doch wesentlich menschlicher.

4 Aussprache und Reform
5 Zum Urteil des Karlsruher Bundesverfassungsgerichtshofs
6 Demokratie oder Rechtschreibreform
7 Etymogelei bei der Rechtschreibreform
8 Herkünftelei und Rechtschreibreform
9 Richtig falsch. Die Rechtschreibreform in Kinder- und Jugendbüchern

zu den ausführlichen Darlegungen

 



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