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Bildung Grade Titel XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX / Das deutsche Titelwesen XXXXXXXXXXXXXXXX / Dr.Schneider -Schneider - Doktor - / An Frau Schwind von Egelstein
 

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An Frau Sabine Schwind von Egelstein
"Knigge-Expertin" laut AZ München vom 11.3.2009 in "Wie benehmen Sie sich?

München, den 12.3.2009

Sehr geehrte Frau Schwind von Egelstein,

die AZ berichtete in der gestrigen Ausgabe über einen Kurs bei Ihnen als der „Knigge-Expertin“. Ich habe den Artikel mit Interesse und z. T. auch mit Gewinn gelesen. Ihre Empfehlung für die Anrede von Promovierten, Pkt. 8 „Doktor“, scheint mir jedoch, die richtige Wiedergabe vorausgesetzt, noch auf dem Stand von Knigges Zeiten zu sein. Damals wurde im Milchladen sogar die Ehefrau des Arztes mit „Frau Doktor“ angeredet. Der aktuelle Umgang mit akademischen Titeln und Graden findet etwas lässiger statt, auch weil es seit dem BGH-Urteil im Jahre 1962 feststeht, also seit knapp einem halben Jahrhundert, dass akademische Grade kein Bestandteil des Namens sind, übrigens auch keine Berufsbezeichnung, was besonders für den Diplomgrad gilt. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass der Doktorgrad vor dem Namen angegeben werden kann, aber nicht muss.

In der Gesellschaft hat sich diese Erkenntnis noch nicht vollständig herumgesprochen, obwohl in den Medien fast regelmäßig die akademische Verzierung weggelassen wird. Ich halte es für bedenklich, dieser wirklichkeitsnahen Entwicklung entgegen zu wirken, indem Sie die Anrede mit dem Doktorgrad sogar als Verpflichtung hinstellen, siehe auch S. 10 Ihres „Job-Knigge von A bis Z“ im Internet, wonach Titel „unbedingt“ zur Anrede gehörten.

Sie unterstützen die Teilung der Gesellschaft in Promovierte und Nichtpromovierte, ohne dass hierfür ein sachlicher Grund vorliegt. Was sagen eigentlich die zwei Buchstaben „Dr.“ aus? Nicht mehr als dass der Promovierte vor unbekannter Zeit ein Studium unbekannter Fachrichtung mit einer Dissertation unbekannter Qualität erfolgreich beendet hat. Dennoch erweckt das lebenslang benutzte Dr.-Kürzel den Anschein  überdurchschnittlich menschlicher, fachlicher und beruflicher Qualifikation des Titelträgers, ohne wenigstens einen Anhalt dafür zu bieten, vom Beweis ganz zu schweigen. Es ist bekannt, dass bspw. Dissertationen auf dem medizinischen Gebiet aus einer leicht zu erstellenden Statistik und deren Beurteilung besteht. Andererseits haben viele Vollakademiker (z. B. Juristen) aus welchen Gründen auch immer nicht promoviert und müssen sich Ihr Ansehen gegenüber promovierten Kollegen nicht nur erarbeiten, sondern sind später auch vielfach leistungsstärker als so mancher Promovierte. Finden Sie es dann angebracht, den Promovierten automatisch lebenslang als vor allem geistig höherwertigen Menschen hervorzuheben? Es gilt leider noch immer das Vorurteil, der Herr Dr. Meier weiß, kann und leistet mehr als der Herr Meier, bis der Herr Meier das Gegenteil bewiesen hat. Haben Sie bedacht, dass Sie dieses Vorurteil mit Ihrer Meinung unterstützen?

Hier hätten Sie, sehr geehrte Frau Schwind von Egelstein, eine sehr verdienstvolle Gelegenheit, in Ihren Kursen und Beratungen unter Bezug auf die eindeutige Rechtslage den mündigen Bürger zu unterstützen und nicht weiter die devote Anrede mit dem „Doktor“ vor dem Namen zu empfehlen, zumal entgegen Ihrer Ansicht dazu keine Verpflichtung besteht. Natürlich habe ich Verständnis für beruflich oder gesellschaftlich Abhängige, die der Eitelkeit oder dem mangelnden Selbstbewusstsein ihres Vorgesetzten ausgesetzt sind und eventuell mit Nachteilen beim Ignorieren des Titels (bzw. Doktorgrades) rechnen müssen.

Im Falle der Frage zu „8. Doktor“ halte ich daher die Antwort a (Herr Schneider) für richtig, sogar auch dann, wenn er mit „Herr Dr. Schneider“ vorgestellt worden wäre. Mein Respekt vor der (vermuteten) Leistung eines Promovierten während seines Studiums pflege ich stets damit auszudrücken, dass ich mich nach der Fachrichtung und dem Dissertationsthema erkundige.

Auf meiner Webseite u. a. zu akademischen Titel und Graden biete ich Ihnen ausführliche Informationen zum Titelwesen an, speziell zum „Doktor“. Besonders empfehle ich den Artikel „Macht und Schein der Titel“.

Mit freundlichen Grüßen
Ulrich Werner

Anlage: Leserbrief an die AZ  

siehe auch

„Herr Dr. Schneider“ -  „Herr Schneider“ – Herr Schneider“? - In Benimm-Kursen wird die Tradition gepflegt

"Stil & Etikette -  Der Ratgeber für menschliche Kontakte"  

Weitere Links:

Das deutsche Titelwesen

Doktorgrad allgemein

Anspruch auf Anrede mit dem Doktorgrad

Anrede mit Graden und Titeln

Macht und Schein der Titel

 



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