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Bildung Grade Titel XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX / Doktor-Grad, Übersicht / Dr.-Grad im Personalausweis - Appell / Der Staat als Psychotherapeut
 

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Der Staat als Psychotherapeut

 Diagnose: Komplexe - Kompensation: Dr.-Grad im Ausweis

 

Das Motiv mag edel sein: Das Selbstbewusstsein von psychisch schwachen Bürgern soll gestärkt werden. Zu gibt es allerdings niemand. Das Doktorkürzel vor dem Namen als auffälliger Hinweis auf die Bildungsqualität verheißt besonderes Wissen und Können. Übersehen wird dabei, dass es häufig unbekannt oder sogar zweifelhaft ist. Beides beruht auf Glauben. Denn kaum jemand kennt belegbare Fakten für diese Eigenschaften. Es wird einfach angenommen. Eine Skepsis wäre vor allem deshalb angebracht, weil diese akademische Signal „Dr.“ ohne spätere Überprüfung lebenslang aktiv ist. Nichtpromovierte, auch Akademiker mit Staatsexamen und anderen Graden müssen ihr Ansehen immer wieder erwerben und bestätigen.

Der Doktorgrad wird aufgrund einer einmaligen Leistung unbekannter Güte und uneinheitlicher Kriterien verliehen. Voraussetzungen und Bedingungen sind nicht mit einander vergleichbar. Trotzdem erhält er in der Gesellschaft automatisch die einheitliche Bewertung des Außergewöhnlichen, obwohl sie eigentlich zwischen schwach bis sehr gut lauten müsste. Die traditionelle Überbewertung der Promotion ist ein klassisches Beispiel für ein Vorurteil, das offensichtlich unter Berufung auf die Tradition besonders in den Gesellschaftsschichten mit niedrigerer Bildung wach gehalten wird. Wer die Vorteile daraus genießt, hat kein Interesse an einer Aufklärung oder gar Änderung der übertriebenen Titelpflege. 

Es ist bedenklich, dass höchst offiziell eine auf Vorurteilen sowie persönlichen Eigenheiten und Empfindlichkeiten beruhende Tradition benötigt wird, um ein hoheitliches Identitätsdokument zu gestalten, und zwar bestimmungs- und gesetzwidrig. Die Mehrzahl der Bürger erwartet von der Staatsregierung, dass sie sich bei hoheitlichen Maßnahmen auf sachliche Gründe stützt und nicht Stimmungen und Bräuche als Grundlage für Gesetze missbraucht. Im vorliegenden Fall kapituliert dem Staat gegenüber verantwortlicher Sachverstand vor übertriebener Liebe zur Tradition. Ich bezweifle, dass teilweise dubiose Titelpflege, wie sie im neuen Ausweis zum Ausdruck kommt, die Entwicklung eines modernen Rechtsstaates fördert. Konsequent angewendet würden die Traditionen grundsätzlich jeden gesellschaftspolitischen Fortschritt blockieren. Das Ansehen unseres Staates wird nicht durch die Bekanntgabe von Titeln, sondern durch Leistung begründet. Erschwerend ist dabei die Missachtung des Gleichheits-Grundsatzes und des Diskriminierungsverbotes.

Als Ausdruck des wirtschaftlichen und technischen Forschritts in Bayern prägte einst Edmund Stoiber das Motto „Laptop und Lederhose“, worin der Begriff Lederhose als Symbol für Tradition in Bayern gelten kann. Dem Laptop aus Stoibers Zeiten entspricht heute der E-Ausweis, der Lederhose im aktuellen Fall der Doktorgrad. Der aus der Hose dringende Duft von akademischem Weihrauch erinnert mich an die Zeit, in der die Ehefrau eines Promovierten im Milchladen mit seinem Titel angeredet wurde. Ist es vermessen zu erwarten, dass der Gesetzgeber seine Aufgaben mit mehr Ernst und Verantwortung wahrnimmt, wie es vor drei Jahren vom damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble vorbildlich praktiziert wurde?



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