Sprache. Von kirishuwassa trinkenden Japanern, wishiwashi redenden Amerikanern und Menschen, die halbkaputti gehen: Wenn deutsche Wörter ins Ausland wandern. Wie nennt man das "@"-Zeichen, also den Klammeraffen in Israel? Erraten: strudel. Die Presse (Fabry) Es gibt nicht nur den kindergarten. "You are too wishiwashi", schimpft ein US-amerikanischer Präsidentschaftskandidat seinen Gegner. "I don't want to shlep too much around", erklärt eine Dame die Kleinheit ihres Koffers. Mrs. Doris Long (92 Jahre) hat eben "her sixth abseil" von einem Hochhaus absolviert, liest man in der Zeitung. Und in Suaheli gehen nicht nur Dinge, sondern auch Menschen kaputti, oder auch halbkaputti - wenn sie bewusstlos sind.
Ob unsere Anglizismen in englischen Ohren wohl auch so skurril klingen? Rund 6000 in alle möglichen Erdteile "ausgewanderte" und dort immer noch im Alltag verwendete Wörter, samt Geschichtchen dazu, bekam der Deutsche Sprachrat auf einen internationalen Aufruf hin gemeldet: neues Material für die Wissenschaftler (einiges kannten selbst die Experten nicht) - und eine Freude für den Laien. Die kuriosesten und interessantesten Fälle hat der Sprachrat nämlich, von Experten auf Richtigkeit überprüft, zu einem köstlichen Buch versammelt ("Ausgewanderte Wörter", Hueber Verlag).
In der westafrikanischen Wolof-Sprache sagen sie lecker - und meinen lecker. Bulgaren nehmen auf Reisen einen Kufar mit. Ein Ukrainer spielt auch dann, wenn das Spiel nicht mit Schachmatt endet, schachmaty (Schach). Die Polen hüllen sich in einen szlafrok, schimpfen eine Schlafmütze szlafmyca, umschreiben ein Gesicht ironisch als cyferblatt und sagen schlicht Wieheisster für nicht so ganz klar definierte Dinge - "Dingsbums", würden wir sagen. Aber was meinen die Esten, wenn sie lips und naps sagen? Schlips und Schnaps. Die Japaner mit ihrem kirishuwassa? Kirschwasser. Die Kür schließlich für Etymologen: Wo kommt der ungarische vigéc, der fliegende Händler, her? Von seinem einstigen Standard-Begrüßungssatz: "Wie geht's?" (als während der Monarchie Deutsch in Ungarn Amtssprache war). So wurde auch der Deutsche in Burundi zum dagi ("Guten Tag!").
Ähnlich im Afrikaans, wo der ungeduldige Deutsche zum Aberjetze wurde. Leicht vorstellbar ist, warum das U-Boot auf Afrikaans (diesfalls vielleicht mehr unter niederländischem Einfluss) Kanitzeen Boot heißt. Jedes Wort eine Geschichte. Südchilenen laden nicht nur zu Kuchen ein, sondern nennen auch einfache Bedienstete gern Suche ("sutche" ausgesprochen). Schuld sind, heißt es, die Stellenausschreibungen deutscher Aussiedler, sie begannen meist mit "Suche . . . "
Wörter wandern ein, weil sie so schön lautmalen (kaputt, wishiwashi, shlep - auch eine träge Person wird übrigens so genannt); man versteht sozusagen, auch ohne zu verstehen. Fantasielosen Österreichern fällt zum @-Zeichen nur "Klammeraffe" ein; in Israel sagen sie - strudel.
Wörter wandern aber auch ein, weil das, was sie bezeichnen, im betreffenden Land früher nicht bekannt war. Interessant, dass die Italiener das Wort für brauchbare, lebensnahe Politik aus dem Ausland holen mussten: wie P. L. Bersani, Minister für ökonomische Entwicklung, der die Qualität seines Vorschlags mit dem Ausruf unterstrich: "Questa è Realpolitik!" ("Das ist Realpolitik!") Auch die Cuna-Indios auf den San Blas Inseln vor Panama kennen ein deutsches Wort: arbeit.
Im japanischen arubaito hört man ebenfalls den Kniefall vor deutschem Fleiß; noch dazu bezeichnet das Wort dort nicht einfach Arbeit, sondern die Mehrarbeit, wenn einer zusätzlich zu seinem Job noch irgendwo schuftet, als Taxifahrer oder als Nachhilfelehrer. Die Nachwirkungen deutscher Tüchtigkeit zeigen sich auch anderswo: "Fertik", lautet heute noch das Kommando zum Abfahren im türkischen Eisenbahnerjargon, "fertig" sagt man auch im ägyptischen Arabisch; deutsche Regisseure, die das ägyptische Kino aufbauen halfen, sollen es importiert haben. Den Erfolg der deutschen Autoindustrie enthüllt etwa das schiebedach in der iranischen Umgangssprache. Aber auch als Kommandosprache scheint Deutsch prädestiniert. Beliebte Ausrufe russischer und englischer Hundebesitzer: Hopp! Aus! Sitz! Pass auf! Pfui! Such!
Blitzkrieg, kriegsspiel, uebermensch - das Deutsche ist für den Export unmenschlicher Wörter bekannt, aber auch als Meister der Innerlichkeit. geborgenheit, gemutlichkeit, wanderlust sind ausgewandert, Tschechen schätzen den libesbrif, Neuseeländer das fingerspitzengefuel, und dänische Makler preisen eine Liebhabervilla an.
Eine Dame schickte dem Deutschen Sprachrat ein Foto von einem pausierenden finnischen Linienbus. Auf dessen elektronischer Anzeige steht nicht etwa das nächste Fahrtziel, sondern: "Kaffepaussi".
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Mitgeteilt von Dr. Gottfried Fischer [gottfried.fischer1@chello.at] am 27. 11. 2006
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