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Duden / Die deutsche Sprache auf Abwegen
 

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Die deutsche Sprache auf Abwegen 

 

Im Jahre 1992 schrieb ich an acht Institutionen, die sich ihrer Bezeichnung nach mit der deutschen Sprache befassen, den nachfolgenden Brief zum Thema 

Die deutsche Sprache auf Abwegen. 

Sehr geehrte Damen und Herren,

Der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Prof. Herbert Heckmann schrieb im Vorwort für "Das große Wörterbuch der deutschen Sprache", herausgegeben vom Lexographischen Inst. München u.a.:

"Solange das Wort nur in Wörterbüchern steht, ist es tot. Erst durch seinen Gebrauch, durch seinen häufigen Gebrauch wird es lebendig. Wörterbücher sind also keine Grab-kammern, sondern alltägliche Hilfsmittel für den Umgang mit der deutschen Sprache, die uns, wenn wir kritisch und genau hinhören, immer wieder Fragen aufgeben muß. ... sie (die Sprache) wandelt sich in unserer kurzlebigen Zeit gleichsam unter der Hand. So gesehen sind Wörterbücher Wegweiser, ohne die wir im Widerstreit der Bedeutungen von Wörtern schnell verzagen müßten."

Verzagen muß man dennoch angesichts der kritiklosen Übernahme von verschiedenen Wörtern und Wendungen aus den Niederungen der Umgangssprache durch die Redaktionen der Wörterbücher. Nach einer Wartezeit von angeblich sieben Jahren erhalten in der "Instanz der deutschen Sprache", dem Dudenverlag, die neuen Wortschöpfungen ihre sprachliche Weihe und erscheinen im bekanntesten Nachschlagewerk der deutschen Sprache allenfalls mit einem von vielen Lesern kaum beachteten Zusatz "ugs", statt berechtigterweise in einer Sprechsünderkartei. Eine solche existiert tatsächlich beim Dudenverlag. Doch die liefert laut Aussage des Dudenchefs Günther Drosdowski nicht etwa Anlaß für Aufklärung allzu leichtfertiger Sprachschöpfer, sondern "Hinweise, die grammatikalischen Normen neu zu bestimmen." Denn "Die Sprache folgt," so Drosdowski weiter, "dem Gesetz der Ökonomie, indem sie mit einem Minimum von geistigem Aufwand ein Maximum kommunikativer Wirkung erzielt."

Mag die Absicht redlich sein, die Folgen stimmen nachdenklich. Der offenbar ungeprüft dokumen-tierte Wandel der Sprache legalisiert ohne ersichtlichen Grund Widersprüche, und zwar tatsächlich als Ergebnis "eines Minimums geistigen Aufwandes", aber mit der weiteren von Drosdowski leider nicht erkannten unangenehmen Folge einer sehr geringen kommunikativen Wirkung. Sind Aus-drücke der Sprache eine Bereicherung, die die Verständigung erschweren und die u. a. in den Bereichen Rechtswesen und Naturwissenschaften sogar verhindern, Sachverhalte klar und leicht überschaubar zu definieren?

Die Verständigung

Beispielsweise liegt die wesentliche Aufgabe der Prüfer im Deutschen Patentamt darin, Ausschlie-ßungsrechte in Form von Patentansprüchen zu formulieren und zu prüfen. Dabei sind die Prüfer auf den Aussagegehalt der deutschen Sprache angewiesen. Der häufig mit großer finanzieller Erwartung verfochtene Anspruch aus einem Recht ist grundsätzlich in dem Maße durchsetzbar, wie er eindeutig verstehbar ist. Die Klarheit eines Schriftsatzes hängt aber nicht nur vom Sachverstand und der Ausdrucksfähigkeit seines Verfassers ab, sondern in weitem Maße auch von der Ausdrucksmöglichkeit und der Eindeutigkeit der Sprache. Die gleichen Anforderungen an die Sprache müssen auch Anwälte und Naturwissenschaftler, sowie Ärzte stellen, wenn sie rechtliche und wissenschaftliche Sachverhalte bzw. Diagnosen angeben wollen.

Die ständige Begegnung mit den umgangssprachlichen Mode- und Falschwörtern (z.B. mehrfach statt mehrmals, scheinbar statt anscheinend, -fähig statt -bar usw.) artet für den Leser oder Zuhörer zu einem regelmäßigen Detektivspiel aus, weil die immer wieder falsch oder nicht verwendeten Wörter und Begriffe zu Mißverständnissen führen und bei der Beurteilung der Aussage fehlleiten. Es wird dem Leser oder Hörer überlassen herauszufinden, was gemeint ist. Mangels Kenntnis der Sprachbildung des Autors (kennt er den Unterschied ....?) sucht der Leser bzw. Hörer nach Anzeichen im Kontext, welcher Sinn paßt und/oder welcher gemeint ist. Zur Sprachökonomie gehören m. E. nicht gängige und meistens oberflächliche Formulierungen aus dem Volk, sondern eindeutige.

Der Duden, ein schlechtes Vorbild

Jürgen Panskus, Fachjournalist für Buchmarktfragen, hat in seinem Artikel "Alles drin? Alles dran? oh, Mann!" in der Feuilleton-Beilage der SZ v. 31.8.91 den Duden als die einzige heutige Instanz bezeichnet, "die regulierend ins aktuelle Sprachgeschehen eingreift." Derartige Aktionen, insb. dudenseitige öffentliche Hinweise auf ständig falsch verwendete Wörter und Begriffe konnte ich bisher nicht feststellen. Empfehlungen dieses Verlages würden doch entsprechend seinem Ansehen mit Sicherheit beachtet werden. So wies mich bspw. der Bayerische Rundfunk, Abteilung Aktuelles, darauf hin, daß für den BR der Duden bei allen Sprachfragen maßgebend sei. Die Aufwertung des Dudens als Berufungsinstanz erfolgte im Jahre 1955 beim Bonner Treffen der Kultusminister der Bundesländer. Wenn sich aber auch die Dudenredaktion nur darauf beschränkt zu registrieren und sogar als sprachliches Leitbild zu dokumentieren, welche Sprachgepflogenheiten auftauchen, seien sie noch so falsch und unsinnig, ja sogar widersinnig, so scheint mir hierin ein mißverstandener Auftrag zu liegen, indem mehr die Pflege eines Unwortschatzes mitbetrieben wird als ein "regulierender Eingriff in das aktuelle Sprachgeschehen", wie ihn Panskus zu sehen glaubte. Vielleicht sollten die Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks doch wieder mehr auf seinen Sprachpfleger Otto Schmid hören, besser: seine vierteljährig verfaßten "sprachkritischen Anmerkungen" lesen. Wie Roland Bäurle im SZ-Magazin vom 25.10.91 schrieb, würden die Sprecher und Redakteure des BR Schmid's regelmäßig verfaßte Liste mit Aussprache- und Grammatikfehlern zwar höflich entgegennehmen, sie aber aus Zeitmangel nicht lesen.
 
Sprachkritik

Mit meinem Bedauern der ungehemmten Fehlentwicklung der deutschen Sprache stehe ich nicht ganz allein. In der Besprechung des Buches "Sprache und Politik" von Dolf Sternberger (DIE ZEIT v. 6.3.92) stellte Iring Fetscher fest, daß Sprachkritik heute ebenso notwendig sei wie es 1950 war. Sternberger kommentiert in seinem Buch u. a. Modewörter wie "Denkanstöße, Ringen" (nicht sportlich gemeint) und "unterstreichen". Fetscher ergänzt mit "abwickeln", "kontaktieren", "reflektieren" (transitiv gebraucht), "sich einbringen", "Sinn machen", "beinhalten". Fetscher nochmals: "Sprachkritik ist keine belanglose Nebenbeschäftigung von pedantischen Gelehrten. Sie ist notwendig und heilsam."

Wegen der Häufigkeit sprachlicher Unebenheiten schickte ich jahrelang kritische Hinweise an Journalisten der von mir gelesenen Zeitungen DIE ZEIT, DER SPIEGEL, Süddeutsche Zeitung und Abendzeitung sowie an Moderatoren in Funk und Fernsehen und bat um ihre Mithilfe beim Erhalten der Klarheit der deutschen Sprache, mit mäßigem Erfolg. Meine Argumentation wurde und wird dadurch erschwert, daß mir Fundstellen aus Wörterbüchern entgegengehalten werden, worin die von mir beanstandeten Wörter und Wendungen angeführt sind, und zwar mit nachweisbar wider-sprüchlichen Erläuterungen, die natürlich kaum ein Leser auf ihre Stichhaltigkeit hin prüft. Wie wenig die Sprache als Schatz geachtet wird, zeigt die Antwort der SZ auf meinen Hinweis, bei einem Kreuzworträtsel würden nicht Worte, sondern Wörter gesucht, man sei sich dieser Unkorrektheit bewußt, der Redaktion gefiele jedoch die Überschrift "Das Kreuz mit den Worten" so gut. Dieser Fehler wird wöchentlich über 600 000 mal gedruckt und verbreitet. Da hat ein einzelner kritischer Leser keine Chance.

Das Unwort des Jahres

Die Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden sucht regelmäßig das Unwort des Jahres, pikanterweise mit einem Wort, das gleichfalls in die gesuchte Kategorie einzuordnen ist. Nach der Aussage des Vorsitzenden der Frankfurter Sektion Horst Dieter Schlosser solle mit der "Aktion auf gedankenlosen, oft inhumanen und zynischen Sprachgebrauch aufmerksam gemacht werden" (SZ vom 9.10.91). Schon die Wortwahl im Aufruf weist darauf hin, daß Wörter politischen Inhalts gefragt sind. Dementsprechend fallen auch die Vorschläge aus, diesmal bspw. mit "SPD-Asylant", "Querulant", "Bummelant", "Besser-Wessi" etc. Wo bleiben aber die Bemühungen der Gesellschaft für deutsche Sprache, die Unwörter und Unbegriffe, die den sprachlichen, logischen und grammatikalischen Gesetzen widersprechen, aus Gegenwart und Vergangenheit zu nennen und der Versuch, die Bedenklichkeit ihres Gebrauchs bewußt zu machen? Eine Rote Liste mit vom Aussterben bedrohten Wörtern wurde ebenfalls in Aussicht gestellt (SZ v. 9.10.91 ); ihr Inhalt blieb bisher unbekannt. Es gäbe genügend Material, auch Abonnenten für diese Liste und für regelmäßige kritische Berichte Über Unwörter, Unbegriffe, Unformulierungen und anderen Unsinn, zusammengefaßt als "Unsprache", nämlich Schulen und Redaktionen von Zeitungen und Funkanstalten. Es wäre angebracht, dieses Problem einmal "anzudenken", und zwar im Sinne der aus dem Ostteil Deutschlands einfließenden Bedeutung, wie sie kürzlich Hermann Unterstöger in der SZ (Nr. 92/45) amüsant und lehrreich den Lesern erläutert hat. Unterstöger berichtete auch vom 25. Jahrestag des Instituts für deutsche Sprache vor drei Jahren in Mannheim. Die Germanisten, angereist zum Thema "Deutsche Gegenwartssprache - Tendenzen und Perspektiven", befaßten sich jedoch mit Themen wie "Rhetorik", "Standardsprache" und "Mundarten" sowie "Politische Glaubwürdigkeit" statt 2 Ebenen tiefer mit den Sprachproblemen des Normalbürgers.

Stiefkind: Sprache

Nur gelegentlich erscheinen in überregional anerkannten Zeitungen Artikel mit kritischen Stellung-nahmen zu sprachlichen Eigenheiten und unsinnigen Neuschöpfungen. Eine längere Serie Über "Unsere Sprache" von Rudolf Walter Leonard in der ZEIT liegt zehn Jahre zurück. Angebracht, ja notwendig wären monatlich veröffentlichte Berichte zur Sprachentwicklung, passender als Fehl-entwicklung zu bezeichnen, veranlaßt von den Institutionen, die sich als sprachbewahrende Einrichtungen der Nation berufen fühlen.

In der Anlage sind häufig und sinnwidrig verwendete Wörter und Formulierungen erläutert. Sie belegen, wie wichtig eine kritische Überprüfung einiger Begriffe in den Wörterbüchern und sprachaufklärende Aktivitäten wären. Meine diesbezüglichen Bemühungen bewirken ohne die Unterstützung durch die bekannten Autoritäten der deutschen Sprache wenig.

Weitere Beispiele



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