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 Ich habe Vertrag
von Bastian Sick

 

ZWIEBELFISCH

Ein großer Kollege von mir hat einmal auf die Frage, was man denn tun könne, um die deutsche Sprachkultur zu verbessern, geantwortet, man möge anordnen, dass „keuchenden Sportlern nie mehr ein Mikrofon entgegengestreckt werden darf'; damit bliebe uns allen viel Unsinn erspart. Das ist zweifellos richtig. Wir hätten aber auch weniger zu lachen. Fußballer-Zitate sind legendär (Bruno Labbadia: „Das wird alles von den Medien hochsterilisiert"), und einige Sportsfreunde haben sich die Mühe gemacht, die besten Zitate zu sammeln und in Büchern oder auf Internet-Seiten zu präsentieren. Eine wahrhaft verdienstvolle Mühe. Denn wenn man mal einen schlechten Tag hat, braucht man nur auf eine Seite wie bwww.blutgraetsche.de zu schauen und sich die neuesten Sprüche durchzulesen, schon lacht man wieder. Zum Beispiel über diese Feststellung von Andreas Möller: „Speziell in der zweiten Halbzeit haben wir einen guten Tag erwischt." Dabei sind Fußballer ganz normale Menschen, Menschen wie du und ich. Menschen mit ganz alltäglichen Problemen: Sie tun sich schwer mit Fremdwörtern (Lothar Matthäus: „Wir sind eine gut intrigierte Truppe"), haben ihre Not mit dem Komparativ (Erik Meijer: „Es ist nichts scheißer als Platz zwei"), mit verdrehten Redewendungen (Fabrizio Hayer: „Ich weiß auch nicht, wo bei uns der Wurm hängt", Mario Basler: jede Seite hat zwei Medaillen"), mit Zahlen (Thorsten Legat: „Unsere Chancen stehen 70:50"), mit der Geografie (Andreas Möller: „Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien.") und natürlich auch mit Frauen (Lothar Matthäus in einem „Playboy"-Interview: „Die Frauen haben sich entwickelt in den letzten Jahren. Sie stehen nicht mehr zufrieden am Herd, waschen Wäsche und passen aufs Kind auf, Männer müssen das akzeptieren.")

Eine unter Fußballspielern sehr beliebte Formulierung lautet „Ich habe Vertrag", zum Beispiel in einer Äußerung wie „Ich habe Vertrag bis 2007". Viele Zuhörer wundern sich darüber und fragen sich, ob es nicht heißen müsse „Ich habe einen Vertrag" oder „Mein Vertrag läuft bis 2007"? Kann man das Wort „Vertrag" ohne Artikel gebrauchen? So etwas geht eigentlich nur bei unzählbaren Hauptwörtern: „Ich habe Zeit", „Ich habe Urlaub", „Ich habe Hunger" oder „Ich habe Vorfahrt". Verträge aber kann man zählen, daher sind sie in der Einzahl nur mit Artikel zu haben. Vielleicht empfinden manche Spieler den Umstand, in vertraglicher Verpflichtung zu stehen, als derart bedrückend, dass sie „Vertrag" mit einer Krankheit gleichsetzen: „Mein Vater hat Asthma, meine Mutter hat Rheuma, und ich habe Vertrag." (Dazu passt ein Zitat von Mario Basler: „lch grüße meine Mama, meinen Papa und ganz besonders meine Eltern.")

Die Berichterstattung über den Fußball kommt übrigens oft nicht weniger amüsant daher als die Sprache der Fußballer. Da wird der Ball - liebevoll immer wieder „das Leder" genannt - auch schon mal ins gegnerische Tor „gemacht": „Zapp-zapp - Italien macht den Ball ins Tor" (Überschrift auf www.welt.de).  Sportreporter sind im Grunde ihres Herzens Dichter. So gibt es immer wieder Fälle, in denen Kommentatoren versuchen, poetisch zu werden, und ihre Sprache mit Bildern schmücken. Diese Bilder hängen allerdings manchmal so schief, dass Loriot seine helle Freude daran gehabt hätte: „Die deutsche Nationalmannschaft hat in den letzten Minuten die Zündschnur in Richtung Publikum gelegt" (Gerd Rubenbauer). Und natürlich müssen Sportreporter ständig übersetzen: das Geschehen auf dem Spielfeld in verständliche Sätze, ausländische Begriffe ins Deutsche. Unvergessen ist Heribert Faßbenders Übersetzungsleistung bei der letzten WM: „Und jetzt skandieren die Fans wieder: „Türkiye! Türkiye!“, was so viel heißt wie, “Türkei! Türkei!"` Damit genug der Lästereien. Um es mit den Worten des berühmtesten Aphoristikers des Sports zu sagen: Ich habe fertig!

Bastian Sick, 40, ist Autor der Kolumne „Zwiebelfisch", die auch bei www.spiegel.de erscheint, und des Buches „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 2“: Kiepenheuer &r Witsch, Köln; 272 Seiten; 8,90 Euro.

1/2006 KulturSPIEGEL

 



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