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Österreichisches Deutsch
Allgemeines zum österreichischen Deutsch - Einige Gedanken zum österreichischen Deutsch

Mit freundlicher Genehmigung von H.D. POHL

Österreichisches Deutsch
(Auszüge aus den Artikeln Nr. 152,170, 180, 198 u. 296 im Schriftenverzeichnis http://members.chello.at/heinz.pohl/SchriftenVerzeichnis.htm )
© H.D. Pohl, zuletzt bearbeitet am 5.1.2008

Allgemeines zum österreichischen Deutsch

Der für Österreich charakteristische Wortschatz bzw. die „Austriazismen“ lassen sich (nach P. Wiesinger 2006, 414) in 6 Punkte zusammenfassen:

1.  Oberdeutscher Wortschatz, der Österreich, die Schweiz und Süddeutschland (also Bayern und Baden-Württemberg) gegenüber Mittel- und Norddeutschland verbindet;
2.  bairisch-österreichischer Wortschatz, der Österreich und Altbayern verbindet;
3.  spezifisch-österreichischer Wortschatz als Verwaltungs- und Verkehrswortschatz;
4.  ostösterreichischer Wortschatz;
5.  regionaler österreichischer Wortschatz;
6.  Wortschatz mit zusätzlichen spezifischen Bedeutungen, der verbreitungsmäßig einer der vorgenannten Gruppen zugehört.

Beispiele dazu aus dem Bereich Lebensmittel und Gastronomie:

1.  Eierschwammerl, Erdäpfel, Gugelhupf, Knödel, Schlögel, Weichseln;
2.  Geselchtes, Grammeln, Ribisel, Semmel, Topfen;
3.  Beiried, Buschenschank, Faschiertes, Heuriger, Jause, Lungenraten, Marillen;
4.  Obers, Paradeiser, Powidl, Vogerlsalat;
5.  Schübling (eine Wurstsorte, Vorarlberg), Strankerl ‘Fisolen’ (Kärnten), Potitze (eine Mehlspeise, Kärnten und Steiermark), Klobasse (eine Brühwurst, v.a. im Osten und Süden);
6.  Krapfen (für Teigtaschen, v.a. Tirol), Nudeln (gefüllte Teigtaschen, v.a. Kärnten), Stelze (stattdessen in Bayern Schweinshachse, sonst Eisbein; gemeindeutsch ist die Bedeutung ‘Holzstütze für die Beine’), Krügel (nicht nur ‘kleiner Krug’ sondern auch ‘Halbliter Bier’).

Die Gruppen 1 und 2 bilden „unspezifische“ österreichische Varianten, da sie auch außerhalb Österreichs vorkommen, hingegen bilden die Gruppen 3-5 „spezifische“ österreichische Varianten, dazu kommt noch ein Teil der Gruppe 6.

Das österreichische Deutsch weist keine Einheitlichkeit auf, sondern ist umgekehrt als Resultat bzw. Summe der zwar unterschiedlich verbreiteten, aber insgesamt für Österreich charakteristischen Spracherscheinungen zu sehen, die man eben als „Austriazismen“ bezeichnet (in einem ähnlichen Sinne auch Jakob EBNER). Diese lassen sich auf etwa 7-8000 berechnen (oder ca. 3% von insgesamt über 220.000 Worteinträgen in den großen deutschen Wörterbüchern). Wirklich spürbar ist dies allerdings nur in spezifisch auf österreichische Verhältnisse bezogenen Texten wie z.B. juristische Kommentare oder Kochbücher.

Dies alles lässt sich nun verschieden beurteilen. In der österreichischen Sprachwissenschaft haben sich hier mehrere – wie ich das nennen möchte – Denkschulen herausgebildet. Zwar besteht bezüglich der arealen Vielfalt des Deutschen in der Fachwelt bis zu einem gewissen Grad Konsens und dieser ist dadurch geprägt, dass die deutsche Sprache in verschiedenen Staaten gesprochen wird und somit mehreren Nationen bzw. staatlichen Gemeinschaften als Kommunikationsmittel dient. Darüber hinaus stimmen die politischen Grenzen zwischen den einzelnen deutschsprachigen Ländern nicht mit den Arealen der Großdialekte überein, daher ergeben sich für das Deutsche zunächst drei Einteilungskriterien: ein „plurinationales“ nach den Nationen („mindestens trinational“), ein „pluriareales“ nach den Hauptmundarten und ein „plurizentrisches“ nach den Zentren der einzelnen Staaten (bis hinunter zu den Verwaltungszentren der einzelnen Länder). Allerdings vermengen die meisten Vertreter des plurizentrischen Ansatzes diesen mit dem plurinationalen oder setzen beide gar gleich. Dies trifft v.a. auf den österreichischen Germanisten Rudolf Muhr zu, der eine „österreichische Varietät“ der „deutschländischen“ gegenüberstellt und dabei einer Auseinander­setzung mit der österreichischen und bundesdeutschen sprachlichen inneren Gliederung weitest­gehend aus dem Wege geht. Eine Kombination des pluriarealen mit dem plurizentrischen Konzept hingegen (von mir bevorzugt) unterstreicht einerseits die österreichischen Besonderheiten und andererseits die zahlreichen Gemeinsamkeiten mit dem ganzen süddeutschen bzw. altbayerischen Sprachraum; beide sind nicht isoliert zu sehen, sondern erst deren Summe macht das aus, was man „österreichisches Deutsch“ nennen kann. Daher sehe ich das österreichische Deutsch als eine historisch durch Eigenstaatlichkeit erwachsene nationale Varietät auf Grund des plurizentrischen bzw. pluriarealen Standpunkts, da weder das österreichische noch das bundesdeutsche Deutsch als homogen zu betrachten sind, vielmehr bin ich der Ansicht, dass die areale Gliederung, wie sie für die BR Deutschland im großen besteht, sich im kleinen in Österreich wiederholt, wobei unbestritten bleibt, dass manche Erscheinungen nur auf österreichischem Boden vorkommen, diese aber nur selten im ganzen Bundesgebiet (gilt v.a. für die Gruppen 4 u. 5 nach Peter WIESINGER).

Was sind nun „Austriazismen“? Wie kann man sie weiter klassifizieren?

(A) staatsräumliche Austriazismen: v.a. Verwaltungs-, Rechts- und Mediensprache wie z.B. Landesgericht (vs. Landgericht), Bezirksgericht (vs. Amtsgericht), Landeshauptmann (vs. Ministerpräsident), Katastralgemeinde, Landesrat (vs. „Minister“ [eines Bundeslandes in der BRD]), Erlagschein (vs. Zahlkarte), Tischler (vs. Schreiner, so auch in Vorarlberg), Jause (vs. Brotzeit), weiters Kundmachung, Wachzimmer, Matura (vs. Abitur), Ruhensbestimmungen, Vorrang (vs. Vorfahrt) usw. – diese Wörter „enden“ an der Staatsgrenze, es ist gerechtfertigt hier von „einem stark staatsräumlich bestimmten Bereich“ zu sprechen, daher auch der von mir gewählte Terminus. Dazu kommt noch der von Wien ausgehende gesellschaftsgebundene Verkehrswortschatz wie z.B. Energieferien (umgangssprachlich für „Schulsemesterferien“), oder Allfälliges (statt binnendeutsch Verschiedenes auf der Tagesordnung) sowie Produktbezeichnungen (z.B. Obers-/Apfelkren, Heuriger, Sturm, Most) und einige Berufstitel (z.B. Primarius) usw.

(B) süddeutsche Austriazismen: der österreichische Wortschatz auf Grund der Zugehörigkeit des Landes zum süddeutschen Sprachraum) wie z.B. Bub (vs. Junge), heuer (vs. dieses Jahr), kehren (vs. fegen), Maut „Zoll“, Brösel „Paniermehl“ usw.

(C) bairische Austriazismen: der mit (Alt-) Bayern gemeinsame Wortschatz des größten Teils von Österreichs auf Grund der Zugehörigkeit beider Länder zum bairischen Großdialekt, z.B. Kren (vs. Meerrettich), Scherzel, Einbrenn(e) usw., auch in der Alltagskultur, wie viele Speisen beweisen: Beuge(r)l, Blaukraut, Blunzen, Bries, Brösel, Dampfl, Einbrenn(e), Erdäpfel- (Kartoffel-) püree, -fleck (in Kuttelfleck usw.), Geröstete („Bratkartoffeln“), Geselchtes, Gugelhupf, Häuptel (-salat), Hendl, -junge (in Hühner-, Enten- usw. statt -klein), Kipfe(r)l, Kletzen, Knödel, Krapfen, Kraut(-kopf, -wickel), Kutteln, Leberknödel, -käse, Laib (Brot), Marmelade, Nockerl, Orange, (der) Petersil, Porree, Radi, Rahm, Rindsbraten, Ripperl, rote Rübe, Sauerkraut, Scherzel, Schweinsbraten, Schmarren, Schwammerl, Semmel, Sur (-fleisch, -braten), Tafelspitz, Tellerfleisch, Truthahn, Wecken (Brot), Weißwurst, Wurzel­werk, Zipf (z.B. Polsterzipf „mit Marmelade gefülltes Gebäck“) usw. − Den tiefgreifenden Gemeinsamkeiten zwischen dem bayerischen und österreichischen Bairischen stehen allerdings auch Unterschiede gegenüber, z.B. (Bavarismus / Austriazismus): Schweishaxe(n) / -stelze, Hackbraten / Faschierter Braten, Feldsalat / Rapunzel oder Vogerlsalat, Fleischpf(l)anzel / Fleischlaibchen, Reiberdatschi / Kartoffelpuffer, Obatzter / (abgemachter Topfenkäse ähnlich wie z.B. Liptauer o.ä), gelbe Rübe / Karotte oder Möhre, Radieserl / Radieschen. Doch solche Unterschiede gibt es auch innerhalb Österreichs, z.B. (Tirol) Fleischkäse, (sonst meist) Leberkäse oder Karotte neben Möhre und (gelbe) Rübe, (Westösterr.) Lüngerl, (der/die) Sellerie / (Ostösterr.) Beuschel, (der) Zeller, (Kärnten) Strankerl / (sonst meist) Fisole usw.

(D) regionale Austriazismen (Untergruppen zu A/B/C): ost-/west-/südösterreichische Besonderheiten und solche einzelner Bundesländer, z.B. großräumig (Ost) Obers, Nachtmahl vs. (West/Süd) Rahm bzw. (West) Abend- / Nachtessen, kleinräumig z.B. Strankerl „Fisole, grüne Bohne“ (Kärnten) oder Fraktion „Gemeindeteil“ (v.a. Tirol) oder Hotter „Gemeindegrenze“ (Burgenland).

Daher sollte bei jeder Beschreibung des österreichischen Deutsch der Punkt (A) im Mittelpunkt stehen sowie juridisch Relevantes aus (D), alles übrige ist mehr von folkloristischer/mundartkundlicher (usw.) Bedeutung. Eine gute Übersicht finden Sie unter http://www.das-oesterreichische-deutsch.at/ (den Abschnitt „Wortschatz und Grammatik“ anklicken). Eine Liste der gängigen Küchenausdrücke finden Sie unter http://members.chello.at/heinz.pohl/KuecheDeutschOesterr.htm.

Worin und wie unterscheidet sich das „österreichische“ Deutsch vom „deutschländischen“ Deutsch?

(A) Auf Ebene des Standards (bis auf einige Aussprachegewohnheiten und lexikalische Besonderheiten) kaum.
(B) Auf Ebene der täglichen Verkehrs- und Umgangssprache wenig vom süddeutschen Raum, stärker vom binnen-bzw. norddeutschen.
(C) Auf Ebene der Verwaltungs- und Rechtssprache sowie in der Gastronomie erheblich.
(D) Auf Ebene der Wirtschafts- und (Print-) Mediensprache mehr oder weniger erheblich, abhängig von den Themen der Berichterstattung, international weniger, im Lokalteil mehr.
(E) Auf Ebene von Rundfunk und Fernsehen kaum − abgesehen von bestimmten Nachrichtenthemen (wie D) und von landes- bzw. regionalspezifischen Sendungen (wie F).
(F) Auf Ebene der Alltagskultur wenig vom süddeutschen Raum, stark vom binnen- und norddeutschen.
(G) Auf Ebene der Mundarten überhaupt nicht (d.h. fließend entlang der Staatsgrenze).
(H) Auf Grund des pragmatischen Sprachverhaltens stark.
(I)  Auf Ebene der Schulsprache nach Bundesländern verschieden mehr oder weniger stark, doch hier bestehen auch deutliche Unterschiede zu Bayern.

Zur Terminologie:

„Austriazismus“ und „Helvetismus“ sind klar, „Teutonismus“ und/oder „Deutschlandismus“ aber unscharf. Wie die Rep. Österreich (West-/Ost- und Ost-/Südost-Gefälle) ist auch die BR Deutschland sprachlich in sich gegliedert (Nord-/Süd- und West-/Ost-Gefälle). Weder „binnendeutsch“ noch die „Teutonismen“ in ihrer Gesamtheit erfassen die ganze BR Deutschland, „bundesdeutsch“ aber ist zumindest die Rechts- und Verwaltungsterminologie und sollte daher auf dieser Ebene der entsprechenden „österreichischen“ (und ggf. „schweizerischen“) gegenübergestellt werden. Überall sonst sind die Grenzen fließend.

„Bundesdeutsch“ ist also für die Rechts- und Verwaltungssprache klar verwendbar (im Sinne von C, das wären also dann die „Deutschlandismen“ im konkreten Sinn des Wortes). „Binnendeutsch“ ist hingegen ein rein sprachgeographischer Begriff; „Teutonismus“ als unscharfer Begriff, der noch dazu bei Nicht-Fachleuten falsche Vorstellungen erwecken könnte, sollte tunlichst vermieden werden (wenn er auch in der Fachliteratur vorkommt).

Unter „österreichischem Deutsch“ kann man alle Sprachgewohnheiten innerhalb der Grenzen Österreichs verstehen − unbeschadet des Umstandes, um welche Sprachebene es sich handelt und unbeschadet des Umstandes, dass ein Teil dieser Sprachgewohnheiten auch in Bayern bzw. Süddeutschland anzutreffen ist. Der Begriff „österreichisches Deutsch“ umfasst demnach auch alle Mundarten Österreichs.

Wie weit das österreichische Deutsch durch Sprachkontakt geprägt ist, siehe unter:
http://members.chello.at/heinz.pohl/Sprachkontakt.htm

Unten geht’s weiter, zunächst einige wichtige Bücher zum Thema:

Variantenwörterbuch des Deutschen.

Die Standardsprache in Österreich, der Schweiz und Deutschland sowie in Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol. Von Ammon, Ulrich / Bickel, Hans / Ebner, Jakob / Esterhammer, Ruth / Gasser, Markus / Hofer, Lorenz / Kellermeier-Rehbein, Birte / Löffler, Heinrich / Mangott, Doris / Moser, Hans / Schläpfer, Robert / Schloßmacher, Michael / Schmidlin, Regula / Vallaster, Günter (unter Mitarb. v. Kyvelos, Rhea / Nyffenegger, Regula / Oehler, Thomas). Berlin − New York, de Gruyter 2004, LXXV, 954 S., ISBN 978-3-11-016575-3, € 68,-

Jutta RANSMAYR, Der Status des Österreichischen Deutsch an nicht-deutschsprachigen Universitäten. Eine empirische Untersuchung. Frankfurt am Main, Peter Lang  2006, 326 S., ISBN 978-3-361-55242-1, € 58,10 (Österreichisches Deutsch – Sprache der Gegenwart, hg. v. R. Muhr u. R. Schrodt, Bd. 8)

Robert Sedlaczek, Das österreichische Deutsch (Wie wir uns von unserem großen Nachbarn unterscheiden). Ein illustriertes Handbuch. Wien, Ueberreuter 2004, 496 S., 150 farbige Abbildungen, ISBN: 978-3-8000-7075-6 
€ 34,95 (im Internet unter: www.das-oesterreichische-deutsch.at)

Ludwig Zehetner, Bairisches Deutsch. Lexikon der deutschen Sprache in Altbayern. Regensburg, edition vulpes 2005,  488 S., ISBN 3-9807028-7-1, € 29,00

Jakob Ebner, DUDEN – Wie sagt man in Österreich? Wörterbuch des österreichischen Deutsch. 3., vollständig überarbeitete Auflage. Mannheim - Leipzig - Wien - Zürich, Dudenverlag 1998, 382 S., ISBN: 978-3-411-04983-7  (Duden-Taschenbücher Band 8), € 10,30 [1969 erstmals erschienen].

Herbert Fussy, Auf gut Österreichisch. Wien, öbv&hpt 2003, 144 S., ISBN 978-3-209-04348-1, € 12,90.

Ioan Lãzãrescu − Hermann Scheuringer, Limba germanã din Austria. Un dicþionar German-Român / Österreichisches Deutsch. Ein deutsch-rumänisches Wörterbuch. Bucureºti, Editura Niculescu 2007 – Passau, Karl Stutz 2007, ISBN 973-3-88849-982-1, 978-973-748-180-1

Heidemarie Markhardt, Das österreichische Deutsch im Rahmen der EU. Frankfurt am Main, Peter Lang 2005, 376 S., ISBN 3-361-53084-6, € 56,50 (Österreichisches Deutsch – Sprache der Gegenwart, hg. v. R. Muhr u. R. Schrodt, Bd. 3)

Heidemarie Markhardt, Wörterbuch der österreichischen Rechts-, Wirtschafts- und Verwaltungsterminologie. Frankfurt am Main, Peter Lang 2006, 134 S., ISBN 978-3-361-55247-6, € 28,30 (Österreichisches Deutsch − Sprache der Gegenwart, hg. v. R. Muhr u. R. Schrodt, Bd. 7)

Rudolf Muhr − Manfred B. Sellner (Hg.), Zehn Jahre Forschung zum Österreichischen Deutsch: 1995-2005. Eine Bilanz.  Frankfurt am Main, Peter Lang 2006, 292 S., 16 Beiträge, ISBN 978-3-631-55450-0, € 52,90 (Österreichisches Deutsch − Sprache der Gegenwart, hg. v. R. Muhr u. R. Schrodt, Bd. 10)

Robert Sedlaczek, Kleines Handbuch der bedrohten Wörter Österreichs. Wien, Ueberreuter 2007,128 S.,

ISBN: 978-3-8000-7320-7, € 9,95 (s.a. http://www.unsere-sprache.at/)

Peter Wiesinger, Das österreichische Deutsch in Gegenwart und Geschichte. Wien-Berlin, Lit Verlag 2006, 440 S., ISBN 3-8258-9143-7, € 29.90

Zum „Österreichischen Wörterbuch“:              

http://www.oebv.at  (> Wörterbücher)

Zur Sprache der österreichischen Küche:    http://members.chello.at/heinz.pohl/Kueche1.htm

Zu den österreichischen Mundarten:         http://members.chello.at/heinz.pohl/Mundarten.htm

Einige Gedanken zum österreichischen Deutsch

Der Österreicher spricht (wenn man von den Minderheiten absieht) durchwegs oberdeutsch, größtenteils (aus historischer Sicht) bairisch, genauer: bairisch-österreichisch (rund 7 Mill. Personen), zu einem kleinen Teil alemannisch (rund 300.000 Personen, v.a. Vorarlberg). Wahrscheinlich sprechen mehr Österreicher bairisch als Angehörige des Freistaates Bayern (insgesamt ca. 12 Mill. Einwohner), der ja − wie auch Österreich − im Westen von Alemannischsprachigen (Schwaben) und darüber hinaus im Norden von Ostfränkischsprachigen bewohnt wird. Mit anderen Worten, ein Bayer ist zwar ein Einwohner des Freistaates, aber nicht unbedingt ein Baier in sprachlicher Hinsicht. Insgesamt wird es wohl rund 13-14 Mill. bairisch-österreichisch sprechende Personen geben, verteilt auf die drei Staaten Österreich, Deutschland und Italien. Österreich ist (mit Südtirol) zwar „mehr bairisch“ als Bayern, aber in bairisch-österreichischen Regionen nimmt heute der nord- bzw. binnendeutsche Sprachgebrauch zu, auch in österreichischen Zeitungen sind Worte wie Junge für Knabe bzw. Bub und Bursche, Treppe für Stiege, Kartoffel für Erdäpfel usw., Plurale wie Jungs, Mädels usw., Wendungen wie er ist gut drauf, es macht keinen Sinn (letzteres kommt eigentlich aus dem Englischen), guck mal usw. heute gang und gäbe; er/sie/es hat gestanden/gelegen/gesessen kann man heute auch in Bayern und Österreich oft hören. Auch der ORF (Österr. Rundfunk) bedient sich zunehmend norddeutscher Wörter und Wendungen sowie Aussprachegewohnheiten (wenn z.B. bei einer Lottoziehung 20 „die Zwanzich“ gezogen worden ist).

Das für Pflichtschulen verbindliche „Österreichische Wörterbuch“ (ÖWB, dzt. 40. Auflage 2006, s. http://www.oebv.at  > Wörterbücher) versteht sich als ein „Wörterbuch der guten, richtigen deutschen Gemeinsprache“; es weist keine wie immer geartete Tendenz zum sprachlichen Separatismus auf, denn das österreichische Deutsch ist in vielfacher Hinsicht mit dem ganzen oberdeutschen Raum verbunden, wobei es in Österreich selbst ein Nord/Süd- bzw. Ost/West-Gefälle gibt, wobei eine gewisse Neigung besteht, ostösterreichische und Wiener Ausdrucksweisen für das ganze Bundesgebiet zu verallgemeinern. Was man unter österreichischem Deutsch versteht, ist jene Sprachform, die in Österreich als Standard empfunden wird, also einige Aussprachegewohnheiten (z.B. -ig als [-ik] oder che-/chi- als [ke-/ki-], Kurzvokal in Husten, Erde usw., Betonung Kaffée, Mathemátik usw.) und zahlreiche Wörter und Wendungen, die (abgesehen von den oben unter Punkt 3-5 genannten) auch von den (meisten) Bayern als hochsprachlich betrachtet werden. Nur rund 2-3 % des „österreichischen“ Wortschatzes (also des in Österreich gesprochenen Standarddeutschen) sind „Austriazismen“ im engeren Sinn des Wortes. Eine exakte landschaftliche Abgrenzung des Wort- und Sprachmaterials ist meist nur schwer möglich (s.o. die Übersicht am Anfang). Die meisten „echten“ Austriazismen sind vornehmlich in der eigenstaatlichen Tradition Österreichs und nur in geringem Ausmaß in der mundartlichen österreichischen Sprachlandschaft begründet, wie z.B. Landesgericht (vs. Landgericht), Bezirksgericht (vs. Amtsgericht), Landeshauptmann (vs. Ministerpräsident), Erlagschein (vs. Zahlkarte), Tischler (vs. Schreiner, so auch in Vorarlberg), Jause (vs. Brotzeit); diese Wörter „enden“ an der Staatsgrenze, es handelt sich also in diesem Zusammenhang um einen stark staatsräumlich bestimmten Bereich. Der ganz überwiegende Teil des österreichischen Wortschatzes jedoch ist süddeutsch, wie z.B. Bub (vs. Junge), heuer (vs. dieses Jahr), kehren (vs. fegen), Maut „Zoll“, Brösel „Paniermehl“ usw. Im Wörterbuch „Bairisches Deutsch (Lexikon der deutschen Sprache in Altbayern)“ von Ludwig ZEHETNER fand ich nur rund 4-6% Wörter, die meinem subjektiven Empfinden nach in Österreich (auch regional) unüblich sind. Daher sollte man hinsichtlich der Definition, was „österreichisches Deutsch“ im engeren Sinne ist, sehr behutsam vorgehen.

In der Zeit nach 1945 erfolgte die Abkehr vom großdeutschen Gedanken und man vermied jeden Bezug aufs Deutschtum. Im Bildungswesen zeigte sich dies u.a. in der (vorübergehenden) Umbenennung des Schulfaches „Deutsch“ in „Unterrichtssprache“ (bis 1954/56). In der Wissenschaft wurde behauptet, die Zeit von 1938−1945 habe zu einer „Überfremdung des österreichischen Sprachgebrauchs“ geführt, oder „zwischen der Erstsprache und der in Schulen zu erlernenden Standardsprache bestehe ein Verhältnis wie zwischen Mutter- und Fremdsprache, so als ob Österreich dialektologisch eine Sonderstellung einnähme. Ein sprachliches Pendant zur „Mischvolk-Hypothese“ bzw. „Schmelztiegel-Theorie“ − beide sind in höchstem Maß romantisch-verklärend − mit dem Wiener Telefonbuch als Kronzeugen ist die Legende vom österreichischen Deutsch als einheitliche Sprachform vom Bodensee (oder zumindest vom Arlberg) bis zum Neusiedler See. Alle diese Vorstellungen entspringen Wiener zentralistischem Denken nach der Formel „Wien = Österreich“ − eine Formel, der das ÖWB nicht huldigt, zumal es west- und südösterreichische Besonderheiten in den letzten Auflagen zunehmend berücksichtigt, z.B. Schreiner (Vorarlberg), Metzger (Westösterr.), Strankerl (Kärnten) usw. Trotzdem darf man sich nicht der Realität verschließen, dass die deutsche Standardsprache in Österreich stark von Wien und vom Osten her geprägt ist und das Sprachverhalten der Bundeshauptstadt einen gewissen, wenn auch nicht allgemeinen Vorbildcharakter hat. Dies zeigt sich u.a. auch darin, dass viele, dem Bairisch-Österreichischen ursprünglich fremde Wörter, über Wien eingebürgert worden sind, wie z.B. Tischler statt Schreiner, Fleischer amtlich neben Fleischhauer/Metzger oder derzeit schwul und tschüs (oder tschüss). Auch der österreichische Rundfunk (ORF) trägt zur Verbreitung ganz und gar ursprünglich unösterreichischer Wörter bei, z.B. Jungs, Mädels, die Zwei/Drei usw.

Wie schon erwähnt sind die „echten“ Austriazismen in der Eigenstaatlichkeit Österreichs begründet. Diese ist viel älter als das erst nach 1945 einsetzende österreichische Nationalbewusstsein, das heute sehr ausgeprägt ist, bekennen sich doch heute mindestens 82 % der Österreicher zur Österreichischen Nation (und nur 7 % halten die Österreicher für keine selbständige Nation, s. http://www.gfk.at/de/download/PRESS/Nationalbewusstsein_161007.pdf [aufgerufen am 4.1.2008]). Dies aber widerspiegelt sich nur wenig im Sprachverhalten des offiziellen Österreich, denn der österreichischen Gesellschaft fehlt weitgehend das Bewusstsein, eine „nationale Varietät des Deutschen“ zu sprechen, obwohl man sich politisch (und z.T. auch ethnographisch) klar von Deutschland abgrenzt (diesem Verhalten kommt ja die Legende eines einheitlichen österreichischen Deutsch, das an den Staatsgrenzen endet, entgegen), richtet man sich vorwiegend nach dem (im Duden festgehaltenen) bundesdeutschen Sprachgebrauch. Daher ist der Stellenwert des österreichischen Deutsch im Ausland eher gering (dazu s. Jutta RANSMAYR).

Bei den Verhandlungen zwischen Österreich und der EU wurde auf sprachliche Besonderheiten Österreichs zunächst Rücksicht genommen. Insbesondere österreichische Produktbezeichnungen (in der Regel Lebensmittel) sollten bundesdeutschen gegenüber gleichberechtigt sein. Diese sind im „Protokoll Nr. 10 über die Verwendung spezifischer österreichischer Ausdrücke der deutschen Sprache im Rahmen der Europäischen Union“ aufgelistet. Dieses Protokoll wurde in der Tagespresse als „nationale Großtat“ bejubelt, in Wirklichkeit haben jedoch nur 23 (sic!) Austriazismen Berücksichtigung gefunden, und zwar:

Beiried / Roastbeef; Eierschwammerl / Pfifferlinge; Erdäpfel / Kartoffeln; Faschiertes / Hackfleisch; Fisolen / Grüne Bohnen; Grammeln / Grieben; Hüferl / Hüfte; Karfiol / Blumenkohl; Kohlsprossen / Rosenkohl; Kren / Meerrettich; Lungenbraten / Filet; Marillen / Aprikosen; Melanzani / Auberginen; Nuss / Kugel; Obers / Sahne; Paradeiser / Tomaten; Powidl / Pflaumenmus; Ribisel / Johannisbeeren; Rostbraten / Hochrippe; Schlögel / Keule; Topfen / Quark; Vogerlsalat / Feldsalat; Weichseln / Sauerkirschen.

Diese Liste ist weder patriotisch noch sonst wie verdienstvoll und darüber hinaus aus sprachwissenschaftlicher Sicht ungenau (s. die Tabelle unter: http://members.chello.at/heinz.pohl/EU-Liste.htm) − sie ist eben eine typisch österreichische Lösung. Je größer die Anzahl der Austriazismen gewesen wäre, desto mehr wäre das österreichische Deutsch aufgewertet worden (und das Süddeutsche ganz allgemein gestärkt worden − auch in Bayern!) Gerade im Hinblick auf die Regionen in der EU hätte die Vielfalt der regionalen Alltagskultur ihren sprachlichen Reflex finden sollen.

Wenn es auch eindeutig und klar zu definierende Austriazismen gibt, sie reichen nicht aus, um eine in Österreich mehr oder weniger einheitliche und von Deutschland abgrenzbare Varietät des Deutschen für Österreich zu festzuschreiben (s.o.). Auch das österreichische Sprachverhalten entspricht kaum einem „nationalen“. Die Definition des Begriffes „Austriazismus“ ist darüber hinaus schwierig zu definieren, denn Speisen wie Apfelstrudel, Vanillekipferl und Germknödel sind zwar österreichischer Provenienz, aber die einzigen (gemein-) deutschen Bezeichnungen für diese Gerichte (auch das Hamburger Labskaus − ein traditionelles Seemannsgericht − ist zwar norddeutsch, aber es gibt kein anderes Wort dafür, auch für die schwäbischen Spätzle nicht). Es betreffen zwar die für Österreich typischen Ausdrücke alle Lebensbereiche, häufen sich aber auf dem Gebiet der Verwaltung und Gastronomie. Daher möchte ich mit der lapidaren Feststellung schließen: es gibt sehr wohl eine österreichische „nationale Varietät“ des Deutschen, sie ist aber gleichzeitig eine durch die Eigenstaatlichkeit Österreichs bedingte süddeutsche Varietät, „national“ in der Hinsicht, dass die staatlich-kulturellen Rahmenbedingungen das Festhalten am süddeutschen Sprachgut fördern, aber „nicht national“ hinsichtlich des Sprachverhaltens weiter Teile der österreichischen Gesellschaft.

Diese Beobachtungen zeigen, dass das Verhältnis zwischen dem Deutschen in Österreich und in Deutschland (einschließlich des Freistaates Bayern) ein sehr verwickeltes ist. Die innerstaatlich verlaufende Kommunikation, bedingt durch die Eigenstaatlichkeit (spätestens seit 1866/71, aber realiter seit dem 18. Jhdt.) ließ einerseits die „staatsräumlichen Austriazismen“ der Amts- und Verwaltungs- bzw. Küchen- und Mediensprache entstehen und lieferte andererseits den Rahmen dazu, dass süddeutsche und bairische Besonderheiten in unserem Lande ihre Position gegenüber binnen- und bundesdeutschen Varianten besser behaupten konnten als etwa im Freistaat Bayern. Dazu kommt die Randlage Österreichs im Süden des deutschen Sprachgebietes und Randgebiete sind bekanntlich konservativer als Binnenräume. Entscheidend war für Österreich die Einbindung in die einheitliche gesamtdeutsche Standardsprache seit dem 18. Jhdt., die einerseits die areale Gliederung des pluriarealen deutschen Sprachgebietes reflektiert, in Österreich im kleinen, in Deutschland im großen, andererseits die deutschen Großdialekte überdacht und damit die Kommunikation sicherstellt. Die plurizentrische Gliederung des deutschen Sprachgebietes ist sekundär sowie historisch jünger und reflektiert die neuzeitliche politische Entwicklung, hat aber bisher keine einheitlichen Sprachräume nach den Staatsgrenzen schaffen können, zumindest nicht auf der Ebene der Alltagssprache. − Inwieweit das österreichische Deutsch seine spezifischen Besonderheiten bewahren wird und dort, wo es eigene Ausdrücke besitzt, dem Einfluss aus dem Norden über die Massenmedien und die Wirtschaft widerstehen kann, hängt vom Sprachwollen der österreichischen Bevölkerung ab. Es gilt daher ein ausreichendes Bewusstsein über die Eigenarten der österreichischen Varietät der deutschen Standardsprache zu schaffen. Ein ausgeprägtes österreichisches Nationalbewusstsein ist offensichtlich zu wenig, wie die neuere Entwicklung zeigt. Den eigenstaatlich geprägten Österreicher formte nämlich seine Alltagskultur, die wiederum auf die Sprache zurückwirkt und in dieser Wechselbeziehung drückt sich das eigentliche Österreichertum im Rahmen des deutschen Sprachraumes unter zahlreichen Einflüssen aus der vielsprachigen alpinen, mittel- bzw. südosteuropäischen Region aus. Daher sollte die österreichische Identität sprachlich in einem zwanglosen Gebrauch der süddeutschen Standardvarietät einschließlich des zum Standard gehörenden spezifisch österreichischen Wortschatzes aus Amt und Alltagskultur zum Ausdruck kommen.

Es steht also um die österreichische Varietät des Deutschen nicht zum besten, da – hauptsächlich bedingt durch die Massenmedien wie Rundfunk und Fernsehen – immer mehr der eher nördlich geprägte Sprachgebrauch (oft in Form des Substandards) auch in Österreich Platz greift. Die Jugendsprache ist damit bereits durchsetzt (z.B. lecker, poppen, reinziehen), viele in Österreich bisher übliche Wörter und Ausdrucksweisen gehen verloren – das Material reicht für ein „Kleines Handbuch der bedrohten Wörter Österreichs“ (von Robert SEDLACZEK, s. http://www.unsere-sprache.at/index.html), nicht nur auf Grund des bundesdeutschen Einflusses (wie z.B. Januar statt ‘Jänner’ oder Tüte statt ‘Stanitzel’), sondern auch des englischen (z.B. Flyer statt ‘Flugzettel bzw. -blatt’ oder Ticket statt ‘(Eintritts-/Fahr-) Karte’). Damit wird man wohl leben müssen, denn taugliche Rezepte dagegen gibt es nicht. Es sei denn, es gelingt die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass die regionale Ausprägung ihrer Sprache als bewahrenswertes Kulturgut zu betrachten ist und dass die typisch österreichische Kultur eben nur mit einem entsprechenden österreichischen Sprachgebrauch abgebildet und wiedergeben werden kann. Die Sprache des Österreichers ist ein Teil des so genannten „immateriellen Kulturerbes“ wie auch das Namengut. Wie die Flur- und Ortsnamen eine Kulturlandschaft prägen, sind auch bestimmte sprachliche Erscheinungen in Wortschatz und Grammatik ein unverwechselbares Merkmal der Bewohner dieser Kulturlandschaft, die das österreichische Deutsch widerspiegelt. Nur eine bewusste Pflege des österreichischen „immateriellen Kulturerbes“ stellt sein Über- und Weiterleben sicher. Mit anderen Worten: es liegt an uns selbst, wie wir mit unserem Kulturgut „österreichisches Deutsch“ umgehen!

Das österreichische Deutsch ist kein besseres und kein schlechteres, sondern einfach ein in gewissen Bereichen anderes Deutsch; es ist kein „liebenswürdigeres“, „weicheres“, „runderes“ und auch kein „schlampigeres“ Deutsch − dies sind oft zu hörende subjektive Einschätzungen. Es gibt auch nicht sehr viele österreichische Wörter, die in Deutschland nicht verstanden werden, sondern bestenfalls ein paar Dutzend, das meiste findet sich auch in den anderen süddeutschen Regionen, v.a. in Bayern. Die österreichische Staatsgrenze zu den anderen deutschsprachigen Regionen ist keine Sprach- oder Mundartgrenze, sondern bloß eine politische, die sich nur auf sprachliche Erscheinungen des öffentlichen Lebens beschränkt, also österreichisch Matura, schweizerisch Matur gegenüber deutsch Abitur, deutsch und österreichisch Führerschein gegenüber schweizerisch Führerausweis usw. Sonst trinkt man seine Maß Bier in München wie in Salzburg und sammelt Schwammerln in Bayern wie in Österreich.

© H.D. POHL (zuletzt bearbeitet 5.1.2008)

Siehe auch: http://members.chello.at/heinz.pohl/Kueche1.htm

Zum Beginn: http://members.chello.at/heinz.pohl/Startseite.htm

 



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