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Sprache / Bastian Sick Übersicht / Zwiebelfischiges / Wer hat die Endung
 

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Wer hat die Endung weggezaubert?
von Bastian Sick

 

ZWIEBELFISCH

Auf meinem Flug nach Mallorca blättere ich im Bordmagazin von Air Berlin. Aus alter Gewohnheit lese ich auch den Comic, eine belanglose Geschichte, in der das Maskottchen „Air Bär" von einem Zauberkünstler engagiert wird. „Ich lasse jetzt den Bär verschwinden!", verkündet der Magier und schwingt seinen Zauberstab. Autsch!, denke ich, da verschwindet noch etwas ganz anderes, nämlich die Kasus-Endung des Pelztiers, das man im Akkusativ artgerecht als „Bären" behandeln sollte. Hokuspokus, Kasus Verschwindibus! Derselbe faule Verschwindezauber begegnet einem auch immer häufiger beim Wort „Präsident". Wenn unser Bundeskanzler nach Washington fliegt, hört man garantiert auf irgendeinem Kanal, dass er sich „mit dem US-Präsident" treffen werde. Ganz zu schweigen vom Kandidaten der Quizsendung, der beharrlich zum „Kandidat" verkürzt wird: „Dann bitte ich jetzt unseren nächsten Kandidat zu mir!" Und gleich danach dieser Spruch in der Werbung: „Jetzt gibt es den neuen Swiffers-Staubmagnet!" Da fragt man sich: Wie soll an dem Ding der Staub haften bleiben, wenn ihm schon in der Werbung die Endsilbe abfällt? Die Neigung, bei schwach gebeugten männlichen Hauptwörtern die Endungen im Dativ und im Akkusativ einfach unter den Tisch fallen zu lassen, ist sehr stark ausgeprägt. Sätze wie „Dem Patient geht's gut" und „Lukas lass den Elefant in Ruhe" sind mittlerweile häufiger zu hören als die korrekt formulierten Aussagen „Dem Patienten geht's gut" und „Lukas, lass den Elefanten in Ruhe". Die Unterlassung der Deklination ist umgangssprachlich weit verbreitet> standardsprachlich jedoch gilt sie als falsch.

Kennen Sie jemand, der sich von niemand beugen lässt? Das wäre - in grammatischer Hinsicht - keine gewinnbringende Bekanntschaft. Sollten Sie aber jemanden kennen, der niemandem einen Ge-Fall-en ausschlägt, dann dürfen Sie sich glücklich schätzen. Der Verzicht auf die Endung bei „jemand" und „niemand" im Dativ und im Akkusativ ist heute nahezu selbstverständlich. Und er hat bereits so lange Tradition, dass er mittlerweile von den Grammatikwerken gebilligt wird. Nicht gebilligt wird die „Jagd auf den letzten Leopard". Zu wünschen wäre vielmehr, dass die Menschen sich für den Leoparden und andere bedrohte Arten einsetzen und den Kasus Verschwindibus bekämpfen.

Am schlimmsten bedrängt vom Kasus Verschwindibus ist der Genitiv, und zwar bei Fremdwörtern männlichen und sächlichen Geschlechts. Viele scheinen zu glauben, man könne auf die Genitiv-Endung verzichten; so mancher hält ihre Verwendung gar für falsch. Und so kommt es zu Ausstellungen über „Die Kulturgeschichte des Kaffee" (statt des Kaffees) und zu Büchern über „Die Geheimnisse des Islam" (statt des Islams). Man liest vom „Vorsitzenden des Komitee" und studiert das „Programm des diesjährigen Festival". Und immer wieder hört man von den „Terroranschlägen des 11. September" statt von den Terroranschlägen des 11. Septembers. Wenn man die Verursacher des September-s-Wegfalls fragt, was sie dazu veranlasst habe, so antworten die meisten, die Form ohne „s" klinge in ihren Ohren „irgendwie richtiger". Begründungen, die das Wort „irgendwie" enthalten, die also irgendwie so aus dem Bauch heraus entstanden sind, sind irgendwie nicht richtig überzeugend. Der Verzicht auf die Genitiv-Endung bei Fremdwörtern wird vom Duden als falsch bezeichnet. Zum Glück! Sonst wäre diese Kolumne nämlich kein Beitrag zur Rettung des Genitivs, sondern höchstens einer „zur Rettung des Genitiv".

Der Genitiv braucht jede verfügbare Hilfe, sonst steht er irgendwann völlig nackt da. Dann ist es „in den Weiten des Orient" genauso öd und leer wie „am Rande des Universum". Und ein bisschen mehr Beugungen wünscht man sich auch für die anscheinend endlose und vor allem endungslose „Erfolgsgeschichte des Kerpener vom Kart-Pilot zum Top-Favorit des deutschen Motorsport". Wo der kassierte Kasus grassiert, wird man früher oder später des Wahnsinn fette Beute.

Bastian Sick, 40, ist Autor der Kolumne „Zwiebelfisch", die auch bei www.spiegel.de erscheint, und des Buches „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 2“: Kiepenheuer &r Witsch, Köln; 272 Seiten; 8,90 Euro.

9/2005 KuIturSPIEGEL


 



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