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Sprache / Bastian Sick Übersicht / Zwiebelfischiges / Wir gedenken dem
 

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Wir gedenken dem Genetiv
von Bastian Sick

 

ZWIEBELFISCH

Der Genitiv gerät zusehends aus der Mode. Viele sind ihn überdrüssig. Dennoch hat er in unserer Sprache seinen Platz und seine Berechtigung. Es kann daher nicht schaden, sich seinem korrekten Gebrauch zu erinnern. Sonst wird man dem Problem irgendwann nicht mehr Herr und kann dem zweiten Fall nur noch wehmütig gedenken.

„Am Sonntag wird in Kampehl dem 354. Geburtstag von Ritter Kahlbutz mit einem Konzert gedacht", meldete eine Berliner Tageszeitung am 4. März. Ich wusste zwar bis zu diesem Tage nicht, wo Kampehl liegt, und ich hatte auch keinen blassen Schimmer, wer Ritter Kahlbutz war. Immerhin aber wusste ich, dass Ritter Kahlbutz nicht der Ritter von der traurigen Gestalt war. Der nämlich kämpfte einst in Spanien gegen Windmühlen. Unser Ritter Kahlbutz hingegen scheint von der Presse nachträglich zum „Ritter von dem degenerierten Genitiv" stilisiert zu werden. Weswegen „ihm" ja auch gedacht werden muss. Inzwischen habe ich mich natürlich schlau gemacht: Ritter Christian Friedrich von Kahlbutz lebte von 1651 bis 1702 im brandenburgischen Kampehl. 1690 war er des Totschlags angeklagt, erwirkte jedoch mittels eines Reinigungseides einen Freispruch. Vor Gericht soll er geschworen haben: „Wenn ich doch der Mörder nicht gewesen, dann wolle Gott, soll mein Leichnam nie verwesen!" Hundert Jahre nach seinem Tod fand man in der Gruft seine Mumie- und damit den Beweis für den Meineid. Die deutsche Sagenwelt ist seitdem um eine schaurig-schöne Geschichte reicher, und das beschauliche Dorf Kampehl hat eine Touristenattraktion ersten Ranges. Die deutsche Grammatik indes hat ein Problem - immer wenn dem Ritter gedacht wird. Denn „gedenken" ist eines der (wenigen) deutschen Verben, die ein Genitivobjekt nach sich ziehen. Daher muss es richtig heißen: Es wird des Ritters gedacht. Oder wenigstens seines Geburtstages. In Abwandlung einer Werbekampagne für einen deutschen Fernsehsender ließe sich hier feststellen: Mit dem zweiten klingt es besser!

Schauplatzwechsel: Im Januar fand in Magdeburg eine Kundgebung von Neonazis statt. Auf einem Spruchband las man folgenden rechtsradikalen Irrsinn, mit dem die Demonstranten Aufsehen erregen wollten: „Wir gedenken den Opfern des alliierten Holocaust." Falsches Deutsch auf einem Spruchband einer von dümmlicher Deutschtümelei besoffenen Splittergruppe wirkt besonders absurd.

Die Presse trägt nicht unwesentlich zur Verbreitung des Eindrucks bei, dass der Genitiv vom sprachlichen Spielfeld ausgewechselt und auf die Reservebank geschickt werden soll. „Als am Mittwoch der Bundestag seinem früheren Präsidenten Hermann Ehlers gedachte, hielt auch Merkel eine Rede", konnte man auf einer Internet-Nachrichtenseite lesen. Bleibt zu hoffen, dass wenigstens Angela Merkel des Verstorbenen im richtigen Fall gedachte.

Auch das „Herr werden" ist eine verbale Konstruktion, in der der Genitiv (noch) herrscht, aber immer häufiger vom Dativ verdrängt wird. Als die Stadt Bern drastische Maßnahmen zur Bekämpfung einer Krähenplage beschloss, schrieb eine Hamburger Boulevardzeitung: „Um dem lauten Gekrächze (und all dem Dreck) Herr zu werden, setzt die Stadt nun rote Laserstrahlen gegen die schwarzen Vögel ein." Nicht erst seitdem zerbrechen sich Genitiv-Freunde den Kopf darüber, wie man des Problems hinter dem Herrwerden noch Herr werden kann.

„Sich einer Sache annehmen" ist ein weiterer Fall. „Die Stadt braucht einen Stadtbaumeister, der sich dem Thema Baukultur annehmen soll", forderte eine Kölner Tageszeitung. Immerhin besaß sie die Größe, wenige Tage später einen Leserbrief abzudrucken, in dem ein verärgerter Leser forderte, die Zeitung solle sich wieder des Genitivs annehmen. Übrigens wurde einst sogar das Verb „vergessen" mit dem Genitiv gebildet. Das kann man heute noch an dem schönen Wort „Vergissmeinnicht" erkennen, das eben nicht „Vergissmichnicht" heißt. Aber der Genitiv hinter „vergessen" geriet in Vergessenheit. Nomen est omen. Allein das Blümchen ist geblieben und hält trotzig die Erinnerung an den Genitiv wach. Wenn Sie das nächste Mal einen Strauß Vergissmeinnicht bekommen, dann halten Sie kurz inne und gedenken Sie des Genitivs!

Bastian Sick, 40, ist Autor der Kolumne „Zwiebelfisch", die auch bei www.spiegel.de erscheint, und des Buches „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 2“: Kiepenheuer &r Witsch, Köln; 272 Seiten; 8,90 Euro.

8/2005 KuIturSPIEGEL





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