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Gehirn - Geist / Artikel Übersicht / X.Freier Wille?
 

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Freier Wille?!
Ich zähl’ mir’s an den Knöpfen ab: Es gibt einen freien Willen! - Es gibt keinen freien Willen! - Es gibt doch einen freien Willen! - Von Bernd Fischer

© Herausgeber B. Fischer - Edition 2007

In Kooperation mit Memory-Liga Zell a. H., Verband der Gehirntrainer Deutschlands VGD®, Wissiomed®-Akademie - Die Unterlagen dürfen in unveränderter Form unter Angabe des Herausgebers in nicht kommerzieller Weise verwendet werden!

Der Autor

Prof. Dr. med. Bernd Fischer
Professor an der Universität Mannheim/Heidelberg. Hirnforscher und Begründer der wissenschaftlichen Methode des Integrativen/Interaktiven Hirnleistungstrainings IHT® (Integratives/interaktives Hirnleistungstraining/Hirnfunktionstraining) und des Brainjogging® sowie Mitbegründer des Gehirnjoggings. Autor/Koautor von mehr als 100 Büchern und ca. 400 Veröffentlichungen. Chefarzt a. D. der ersten deutschen Memoryklinik. Träger des Hirt - Preises.

Korrespondenzadresse:
Adresse: 77736 Zell. a. H., Birkenweg 19, Tel. : 07835-548070

© by B. Fischer,
Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Tous droits réservés.
Die Unterlagen dürfen in unveränderter Form unter Angabe des Herausgebers in nicht kommerzieller Weise verwendet werden!
in Kooperation mit der Memory-Liga e. V. Zell a. H.
sowie dem Verband der Gehirntrainer Deutschlands VGD® Karlsruhe und Wissiomed® Haslac

Gliederung

2 -   Ich zähl’ mir’s an den Knöpfen ab
       Es gibt einen freien Willen! 
       Es gibt keinen freien Willen!
       Es gibt doch einen freien Willen!

4 -   „Der bewegte Affe“
       „Der bewegte Mensch“

16 - Beispiele explanatorische Lücken

ab hier mit PDF-Dateien

25 - Das „chaotische“ Gehirn ...
       Im neuronalen Netzwerk ist die „Unschärfe“ der Vorhersagen auf fünf Eben vorhanden
       Plastizität als Voraussetzung zur Verwirklichung von Entwicklungszielen
       Entfaltung/Erhaltung)

35 - Glossar: ...
        Geist
        Mögliche Erklärungsebenen des freien Willens
        Juristische Ebene
        Juristisch: Die Willenserklärung

37 - Psychologische Ebene ...
       Wille und Selbststeuerung
       Selbst und Selbststeuerung

39 - Religiöse Ebene ...

41 - Philosophische Ebene ...

52 - Neurophysiologische Ebene ...

53 - Anatomische/neuroanatomische/neurobiologische Ebene in historischer Sicht und
        Gegenwartssicht ...

59 - Ebene der Aphorismen und der weiterführenden Gedanken ...

76 - Literaturhinweise ...

Der gesamte Artiel als PDF-Datei ...

 


Ich zähl’ mir’s an den Knöpfen ab!

In Deutschland wird, wie so oft, eine heiße Diskussion über die Themen: „Es gibt einen freien Willen!“, „Es gibt keinen freien Willen!“, „Alles ist neuronal festgelegt“, geführt. Dass alle diese Möglichkeiten im Leben offensichtlich notwendig sind, wird bei diesen „wissenschaftlichen“ Glaubenskämpfen, durch die Entfernung der Realität aus der Diskussion, meist vergessen.

Es gibt einen freien Willen!

Es gibt keinen freien Willen!

Es gibt doch einen freien Willen!

Entscheidungsmöglichkeiten, festgelegte Handlungen,
freier Wille? Zu was sollen wir uns „bekennen“?

Zu beiden oder noch besser zu drei Möglichkeiten!

Es gibt Situationen, in denen ein freier Wille hinderlich wäre. Wenn wir plötzlich bremsen müssen, wenn wir auf eine heiße Herdplatte langen, wäre eine längere Reflexion über verschiedene Handlungsmöglichkeiten offensichtlich hinderlich.

Beim Erstellen beispielsweise einer Hochzeitsrede oder eines Testamentes ist reflektierendes Denken, eine wesentliche Komponente des freien Willens nötig, um ein optimale Ergebnisse zu erzielen.

Beim Autofahren handeln wir parallel automatisch (z. B. beim Schalten, beim Korrigieren der Lenkung usw.) und wir handeln mit einem freien Willen, um zu überlegen, wie wir möglichst rasch eine bestimmte Straße zu erreichen.

Von einigen Hirnforschern wird auf Grund einiger labormäßig erzielter Ergebnisse (bestimmte abgeleitete Hirnstromwellen; physischer Bereich) der freie Wille des Menschen (psychischer Bereich) bestritten oder zumindest in Frage gestellt.
Diese Ergebnisse sind auf Formeln gegründete Aussagen.

Die Beziehungslosigkeit („Leerheit“) gibt ihnen, den Formeln, durch ihre kontextuelle Unverbundenheit/Unverbindlichkeit ihre „Unsterblichkeit“. (Lem 2000, 87)
Die mathematischen Modelle fußen auf Symbolkodierungen, die die konkrete Erfahrungsebene verlassen haben. Sie sind sequentiell und nicht ganzheitlich.
Dadurch ist das Modell ein Kode (Schlüssel), der durch den Verlust der singulären Bedeutung gekennzeichnet ist und somit immer mit einem Verlust an Information einhergeht.

Auch bei der Anwendung von Formeln kommt es zu einer Vernichtung/Verlust von Information. Wenn ich z. B. 4 und 7 addiere, erhalte ich als Endergebnis 11. Aus dem Endergebnis kann ich nicht mehr ohne weiteres auf die die ursprüngliche Information schließen, die zu diesem Endergebnis geführt hat.

In übertragenen Sinne kann man das verlassen der konkreten Erfahrungsebene in folgende Sätze fassen: „Netze machen noch keine Fische.“ (Lem 2000, 88)
„Von der Größe der Netzmaschen (Heidegger s. u.: „Gitternetze der Verrechnung“)
hängt es ab, welche Fische wir fangen - also befindet sich das Netz, wie die Mathematik, auf unserer Seite (A.d.V. der Symbolkodierung) und nicht auf Seiten der Natur (Lem 2000, 88)
Die Modelle, die wir bilden, sind weiterhin immer ein Abbild der Kultur (des Standes der Wissenschaft) ihrer Zeit. (zit. nach Lem 2000, 89) (s. Atome, Quanten, Fraktale, neuronale Schleifen usw.) Diese Bezeichnungen bezeichnen Analogien und keine „wahren“ Sachverhalte.

Diese experimentellen Ergebnisse werden zum Anlass genommen, weitgehende philosophische Folgerungen und strafrechtliche Forderungen zu formulieren. Vielleicht ist auch eine „kopernikusoide“ Emotion vorhanden, als Veränderer eines Menschenbildes in die Annalen eingehen zu wollen. (Roth et al. 2006, Singer 2006, www.sprache-werner.info)

Dieser Hang, vorläufige Hypothesen im naturwissenschaftlichen Bereich auf andere Gebiete übertragen zu wollen, hat bereits eine längere Tradition. Bereits um 1800 herum stellte Franz Josef Gall (09.03.1757-22.08.1828; Begründer der überholten Schädellehre-„Phrenologie“) auf Grund seiner Hypothese, aus der Schädelform Begabung und Charakter erkennen zu können, Forderungen zur Eheberatung und zur Reform des Strafrechts auf. (Elsner et al. 2001, Geyer, 2004, Schmidt 1875)

„Hochaktuell ist Lao Tzus (5/3 Jh. V. Chr.)Warnung vor Weltveränderern:
Es gibt solche, die wollen die Welt erobern 
             Und aus ihr machen (was sie sich vorstellen oder begehren)
             Ich sehe, dass es ihnen nicht gelingen wird.
             (Denn) die Welt ist Gottes eigenes Gefäß;
             Es kann (durch menschliches Eingreifen) nicht gemacht werden
             Wer es macht, verliert es.
             Wer es festhält, verliert es.“ (Sandvoss 2004)

Die Ausführungen sollen dazu beitragen, die der Hypothese - der freie Wille des Menschen ist nicht existent - zugrundeliegenden Fakten und die daraus abgeleiteten Meinungen noch einmal zu reflektieren.

Vorab soll uns ein Experiment am Affen die Problematik des Übergangs zwischen psychischen und physischen Ereignissen vor Augen führen.

„Der bewegte Affe“

„Affen können mittels Gedankenkraft einen Roboterarm steuern. Dazu werden Elektroden in das Gehirn des Tieres eingepflanzt, wo sie die elektrischen Signale von Nervenzellen empfangen. Die Elektroden sind mit einem Computer verbunden, der die neuronalen Bewegungssignale in Computersprache (codiert) übersetzt. Die Impulse für die Bewegungsabläufe, die das Tier zuvor in einem Videospiel per Joystick gelernt hat, werden in die Bewegung des Roboterarms übersetzt.“ (Krüger-Brand, 2004)

Die Nervenzellen haben vor der Übertragung der Impulse auf die Elektroden bereits ihre „Arbeit“, nämlich die Initiierung eines Bewegungsprogramms, das zuvor durch Training den Nervenzellen (neuronalen Schaltkreisen) antrainiert wurde, geleistet.

Im Normalfall würden sie jetzt den Impuls an die Muskulatur weitergeben. In diesem speziellen Falle geben sie den Impuls an die Elektroden weiter. In diesem Experiment ist man nur räumlich näher an bzw. in die Nervenzelle herangerückt. Die Erklärungsgrenze, wie der neuronale Impuls mit dem Bewegungsprogramm genau zusammenhängt bzw. wie die neuronalen Impulse ein Bewegungsprogramm zimmern können (vielleicht sind sogar die Gliazellen daran beteiligt?) bzw. wo der Übergang zwischen neuronaler Erregung und Bewegungsprogramm stattfindet, bleibt weiterhin offen.

Experimente mit Menschen führen uns in ähnlicher Weise die Problematik des Übergangs zwischen psychischen und physischen Ereignissen vor Augen.

 
„Der bewegte Mensch“

Beim Menschen wurden, um sich mit dem ein Bewegungsprogramm begleitenden Willenentschluss näher zu befassen, folgende Untersuchungen durchgeführt:

„Versuchspersonen wurden trainiert, innerhalb einer gegebenen Zeit (1 - 3 Sekunden) spontan (A.d.V: spontan?) den Entschluss zu fassen, einen Finger der rechten Hand oder die ganze rechte Hand zu beugen. Dabei blickten sie auf eine Art Oszilloskop-Uhr, auf der ein Punkt mit einer Periode von 2,56 Sekunden rotierte. Die Rotationsfläche war in Abständen von 107 msec. eingeteilt. Zu genau dem Zeitpunkt, an dem die Versuchspersonen den Entschluss zur Bewegung fassten, mussten sie sich die Position des rotierenden Punktes auf der „Uhr“ merken. In einer anderen Serie genügte es, sich zu merken, ob sie den Entschluss vor oder nach einem Stopp der Punktrotation gefasst hatten, was für die Versuchspersonen erheblich einfacher war. Im Mittel lag der bewusste Entschluss, den Finger zu bewegen ca. 0,2 Sekunden vor der eigentlichen Bewegung.

Bei allen Versuchspersonen wurde während der Experimente das Bereitschaftspotenzial gemessen, d.h. aus dem EEG herausgefiltert. Es zeigte sich, dass das Bereitschaftspotenzial in der Regel 350 - 550 msec. (mit einem durchschnittlichen Minimum bei 150 msec. und Maximum bei 1025 msec.) dem „Willensentschluss“ vorausging. In keinem Fall fiel das Bereitschaftspotenzial mit dem „Willensentschluss“ zeitlich zusammen oder folgte diesem gar.“ (Roth 2001)

Genauere Analysen zeigen, dass sich die einzelnen Versuchspersonen in dem Libet-Experiment erheblich darin unterscheiden, zu welchem Zeitpunkt ihnen der Willensakt bewusst wird. Die Datierung des Drangs sich bewegen zu wollen, schwankte zwischen 422 und 54 msec vor dem Beginn der eigentlichen Fingerbewegung, in einem Wiederholungsversuch sogar zwischen 984 und 4 Millisekunden.“ (Stollorz 2005)

Auf Grund dieser Befunde meinen sich einige Wissenschaftler gestatten zu können, das Problem der Willensfreiheit auf neurophysiologische Daten zu reduzieren. Auf Grund der o.g. neurophysiologischen Datenlage schließen diese Forscher, dass Willensfreiheit empirisch widerlegt sei; der Willensakt würde erst auftreten, wenn das Gehirn bereits entschieden habe, welche Bewegung es ausführen werde. (Roth 2001)
Wenn verschiedene Forscher ein abgeleitetes Bereitschaftspotenzial mit einem Willensentschluss gleichsetzen, so zeigen sie nur, mit welch logischer Gleichgültigkeit sie sich bemühen, die Grenze zwischen Psychischem und Physischen zu verwischen.

[„Die Letztentscheidung, ob etwas getan wird“, behauptet Roth, falle im Stammhirn, den Basalganglien, „ein bis zwei Sekunden vor Beginn der Bewegung.“] (Stollorz 2005)

„Auch diese Sicht greift jedoch zu kurz. Ein harter Determinist neigt dazu, das subjektive Phänomen der Freiheit wegzuerklären, anstatt es neurobiologisch zu begreifen. Offenbar gibt es zwischen den zerstrittenen Lagern einen dritten Weg. Danach sind freier Wille und seine Determiniertheit nicht zwangläufig unvereinbar. Freiheit ist nicht das Gegenteil von Bestimmtsein, sondern nur eine bestimmte Form des Bestimmtseins. Wirkliche Freiheit ist zwar bedingt. Als frei erleben wir eine subjektive Entscheidung demnach nicht, weil es eine unerklärliche Lücke gibt zwischen ihren Gründen und Wirkungen. Sondern frei nennen wir Menschen eine Entscheidung, wenn sie selbstbestimmt in unserem Bewusstsein entsteht, aus eigener Abwägung und nicht Folge externer Umstände oder innerer Zwänge ist.“ (Stollorz 2005, s. a. Goschke 2006)

Um diesem Argument nicht zustimmen zu müssen, entkoppelt Singer den Begriff des freien Willens von der Emotion (dies ist nur theoretisch möglich, jedoch nicht im praktischen Handlungsvollzug) und immunisiert sich dadurch gegen die o.g. Argumentation. Er führt aus: „Frei wären Entscheidungen somit dann, wenn sie auf einer Plattform des Bewusstseins gefällt werden, und zwar durch Abwägen von Argumenten, wobei das Abwägen nach rationalen Diskursregeln zu erfolgen hat. Bei Argumenten, die bewusst gemacht werden können, handelt es sich ausschließlich um Inhalte, die im deklarativen Gedächtnis gespeichert sind und somit um ein erworbenes soziokulturelles Wissen.

Um frei zu sein, sollte dieser bewusste Abwägungsprozess ferner möglichst ohne äußere und innere Zwänge ablaufen, uneingeschränkt von einer übermächtigen Triebstruktur oder einem durch Drogen oder Hirnverletzungen getrübten Bewusstsein. Sind diese Bedingungen erfüllt, wird der Entscheidung das Attribut frei genehmigt, und der Handelnde wird für seine Handlung voll verantwortlich gemacht.“ (Singer 2006)

2. „Das stereotype Heben der Hand musste in dem Libet-Experiment bis zu 40mal wiederholt werden (A.d.V: erhebliche Einschränkung der Messtechnik), damit die äußerst schwachen Hirnströme statistisch überhaupt nachweisbar waren. Ist dieser Drang sich zu bewegen, aber schon eine bewusste Entscheidung? Wahrscheinlicher ist es, dass die willkürliche Entscheidung im Bewusstsein (die freie Willensbildung ist vor Beginn der Bewegung längst abgeschlossen - eingeleitet vom Frontalhirn, dessen Aktivität mit dem Libet-Design gar nicht erfasst werden kann) ist schon vor Beginn der monotonen Versuchsreihe getroffen wurde (antizipativ). Es liegt demnach eine introspektiv deutlich beschreibbare psychomotorische Antizipationsphase vor. „Der Zeitpunkt der „bewussten“ Entscheidung in diesem vorbereitenden Prozess kann deshalb nicht exakt bestimmt werden. Folglich sind die Chronometrie und die generalisierende Interpretation solcher Versuche äußerst zweifelhaft. (Fahrenberg 2006/2007; s.a. Bennett et al. 2003; Consiousness and Cognition 2002)

Auch Libet (2005) möchte die Idee der freien Entscheidung nicht völlig aufgeben, sondern er schränkt sie - in einer nicht konsistent wirkenden Weise - auf eine Vetofunktion hinsichtlich der Ausführung von Handlungen ein.“ (s.u.)  (Fahrenberg 2006/2007)

Nachdem die Teilnehmer in den Versuch einwilligten, delegierte ihr Bewusstsein die präzise Vorbereitung der Handbewegungen an jene motorischen Zentren, die im Gehirn solche Handlungen vorbereiten. In diesen Hirnregionen erfolgen die neuronalen Berechnungen für einzelne Handkrümmungen, die dann kurz vor der Ausführung der Aktion vom Bewusstsein nur noch mit einer Art „Jetzt-Befehl“ gestartet wurde. Der Trick mit der Uhr misst demnach gar nicht den bewussten Entschluss, sondern nur den Akt der Auslösung der simplen Bewegung. Der Anstieg des Bereitschaftspotentials dokumentiert allein die Erwartung des Bewusstseins, dass es die gleiche Fingerbewegung wiederholt auslösen soll.“ (Stollorz 2005)

Im Übrigen hat Libet nie behauptet, dass es keinen freien Willen gäbe. Er meint, sein Versuch würde nur zeigen, dass dem Bewusstsein ca. 200 msec „zwischen dem Auftauchen des bewussten Willens und der eigentlichen Handlung bliebe. Er spricht nur von einer „Aktion des Gehirns“. Das reiche, um eine Kontrolle darüber auszuüben und im Gehirn unbewusst eingeleitete Aktionen zumindest zu stoppen. Das Bewusstsein, so Libet, habe ein „Vetorecht in Bezug auf das, was unser Gehirn an Bewegungen initiiert.“ (Libet 2005) Wir sind demnach laut Libet nicht frei zu wollen, aber uns bleibt als Trost eine Art freier Unwille.“ (Libet 2005; Stollorz 2005)

Libet verteidigt den freien Willen. Er schreibt: „es sei töricht, auf der Grundlage einer unbewiesenen Theorie des Determinismus unser Selbstverständnis aufzugeben, dass wir eine gewisse Handlungsfreiheit haben und keine vorherbestimmten Roboter sind.“ (Libet 2005, Michael 2005, s. a. Kriele 2005) Bisher wäre kein Entwurf eines Experimentes vorgelegt worden, um die Theorie der Leugnung des freien Willens zu prüfen. (Libet 2005, Michael 2005)

3. Die Libet-Experimente sind von den Probanden simulierte Handlungen.
Hierzu äußert sich Wingert (2005) folgendermaßen:

„…Handlungen sind nicht reine Körperbewegungen. Handlungen sind ein leibliches Verhalten mit steuernden Gedanken des Handelnden. Zu diesen Gedanken gehören auch Gedanken von der Art wie - der vielleicht sehr flüchtige - Gedanke, dass jetzt, da ich vor der Tür meines Gastgebers angelangt bin, besser ist, den Klingelknopf zu drücken, als ihn nicht zu drücken. Das muss natürlich nicht alles sehr „bewusst“ geschehen. Wenn man einen klaren Begriff von Handlungen hat, dann sieht man, dass in den vielzitierten Libet-Experimenten nicht wirklich Handlungen untersucht wurden, sondern von den Probanden simulierte Pseudohandlungen. Die Libet-Probanden sollten aus freien Stücken Knöpfe drücken. Aber sie hatten keinen Gedanken, dass es jetzt besser ist, den Knopf zu drücken, als ihn nicht zu drücken. Denn es gab gar keine Hinsicht für sie, unter der das zu tun sinnvoller erschien, als es zu unterlassen. Die Philosophie kann unter anderem dazu beitragen, die Aussagekraft solcher Experimente wie der Libet-Experimente besser abzuschätzen, indem sie Begriffe klärt.

Etwas Ähnliches gilt für die Freiheit. Man muss ein klares, kohärentes Verständnis für die Freiheit haben, bevor man die Frage einer gut begründeten Antwort näher bringen kann, ob wir frei sind. Hier ist festzustellen, dass Hirnforscher oft Freiheit mit Zufälligkeit verwechseln und die Existenz einer fälschlich so verstandenen Freiheit dann - zu Recht! - bestreiten.

Eine freie Handlung wird danach so gedacht wie ein Würfel, der zufällig auf der Position von sechs „Augen“ zu liegen kommt. Er hätte aber auch auf der Position von vier „Augen“ zu liegen kommen können, wenn der Würfelwurf eben anders ausgefallen wäre. Entsprechend wird dann eine freie Handlung vorgestellt als das Produkt eines zufälligen Wollens. Ich hätte auch anders handeln können, wenn ich nur anders gewollt hätte. Das ist das Würfelmodell der Freiheit.

Dieses Modell ist jedoch falsch. Denn in ihm begreift man den freien Willen nach dem Vorbild eines unbewegten Bewegers. Es gibt - so der Gedanke - nichts, was mich in meinem Wollen festlegt, wenn ich in meinem Wollen frei bin. Aber das stimmt schon aus logischen Gründen nicht. Denn in jedes Wollen geht ein Gutheißen des Gewollten ein. Und jedes Gutheißen schließt eine vorausgesetzte Hinsicht ein, unter der das Gewollte gutgeheißen wird. Deshalb gibt es kein voraussetzungsloses Wollen.

In einer überzeugenderen Auffassung ist man frei in seinem Tun, wenn man auch anders handeln könnte, gesetzt den Fall, man hätte einen Grund dafür, anders zu handeln. Und man ist frei in seinem Wollen, wenn man auch etwas anderes, sogar Gegenteiliges wollen würde, gesetzt den Fall, es gäbe einen Grund dafür, etwas anderes zu wollen. Das ist nicht der Fall bei demjenigen, der beispielsweise unter einem Waschzwang leidet.
Gesetzt den Fall, er hat schon immer saubere Hände, dann gibt es keinen Grund, etwas anderes zu tun und zu wollen, nämlich es zu unterlassen, die Hände zu waschen. Aber dieser Grund liegt ihn nicht in seinem Tun und Wollen fest, obwohl es keine Gegengründe gibt. Sein Wollen und Tun variiert nicht mit verschiedenen Gründen und genau deshalb ist er nicht frei.“ (Wingert 2005)

Zu den o.g. Ausführungen sind einige Bemerkungen notwendig:

1. Um eine Information zu erkennen, wie z. B einen Punkt von einem anderen in einem gewissen Zeitabstand von einem anderen etwa später auftauchenden Punkt unterscheiden zu können, wird eine bestimmte Zeitstrecke, die im Millisekundenbereich (normalerweise bis maximal ca. 70 msec) liegt, benötigt. Um eine komplexere Information zu erkennen, wie z. B. einen unverbundenen Buchstaben, benötigt man im Durchschnitt ca. 350 msec. Um den rotierenden Punkt in einer bestimmten Position zu erkennen, benötige ich demnach eine bestimmte Zeitstrecke. Sie wird noch dadurch verlängert, dass ich die Kapazität des Aufmerksamkeitssystems (geteilte/verteilte Aufmerksamkeit) beanspruche. Ich muss nämlich gleichzeitig auf das Bewusstwerden des Anstoßes zur Handlungsausführung und auf den rotierenden Zeiger achten. Beide Prozesse benötigen Zeit und können nur hintereinander bewusst werden.

2. Hinkt unser Bewusstsein den Willensprozessen wirklich um eine Drittelsekunde hinterher? Ob diese Untersuchungen echte Fälle von freiwilligen bewussten Entscheidungen darstellen, ist in der Diskussion. (Gadenne, 1995) Bei der o.g. Versuchsanordnung war die Entscheidung (der „Wille“) zur Handlungsausführung schon früher gefallen und nur beim letzten Anstoß zur Handlungsausführung (Übergang von Phase 2 zu Phase 3 nach Heckhausen (1987, 1989) traten parallel dazu messbare Veränderungen im EEG auf. (Libet 2005, Stollorz 2005,Beckermann 2004)

Die vier Handlungsphasen nach Heckhausen (1987, 1989) laufen in folgender Reihenfolge ab:

1. Motivation: prädezisional (vor der Entscheidung), sog. „Fazit-Tendenz“ („Wählen“).

Zwischen 2 und 3 Intentionsbildung (Absichtsbildung; „Rubikon“: Überschreitung der „Wählgrenze“ auf das Feld der Absicht)

2. Volition: präaktional (vor dem Handeln); sog. „Fiat-Tendenz“ („Ich will eine bestimmte Handlung ausführen!“)

Zwischen 2 und 3 Absichtsinitiierung

3. Volition: aktional („Handeln“); Intentionsrealisierung

Zwischen 3 und 4 Intentionsdeaktivierung

4. Motivation: postaktional (nach der Handlung); „Bewerten“
 (Heckhausen et al. 1987, Heckhausen 1989, s. a. Funke et al. 1995)

Die Versuchsperson wusste demnach schon einige Zeit vorher, dass sie einen motorischen Akt in Kürze ausführen werde.

„Die eigentliche Intention, den Finger zu auf Befehl zu krümmen, ist im Bewusstsein schon zu dem Zeitpunkt entstanden, zudem sich die Versuchsperson an den Tisch setzt. Das Bewusstsein delegiert aber Planung der intendierten Bewegung an nachgeordnete Hirnregionen“. (Stollorz 2005)

Dieses Wissen und der prämotorische Wille zu dieser Entscheidung lassen sich neurophysiologisch nicht dokumentieren.

Entscheidungsprozesse sind demnach komplex und langwierig und in dieser Form auch notwendig, Denn, so drückt es Kaiser (2004) präzise aus, „ohne Wollen gibt es kein Sollen, und ohne Urteilen und Handeln nach Gründen - und nicht lediglich nach Ursachen - kein Richtig und Falsch“.

Die Laborergebnisse beziehen sich in der Regel auf kurzfristige Entscheidungen, die zudem häufig noch mit Hilfe des Signifikanzfilters, d.h. überwiegend automatisch angestoßen werden.

In dieser Richtung ist auch die Argumentation von Beckmann zu verstehen:
„Es ist daher durchaus plausibel anzunehmen, dass die von Libet angenommene instantane Entscheidung nur die letzte Stufe eines Entscheidungsprozesses darstellt, der wesentlich früher begonnen hat. Entscheidungen - das wäre die Gegenposition - sind selbst neuronale Prozesse, deren Ergebnis uns manchmal erst (A.d.V: wieder) bewusst wird, wenn der Prozess abgeschlossen ist. So verstanden, widersprechen Libets Experimente einer Willensfreiheit in keiner Weise.“ (Beckermann,.2001, Beckerrman, et al. 2004)

Roth versucht mit folgendem Notargument das Dogma: „ Es gibt keinen freien Willen“ zu retten:

„Die Verkettung von Amygdala und Hippocampus sowie anderen, hier nicht genannter, limbischer Zentren mit den Basalganglien hat zur Folge, dass beim entstehen von Wünschen und Absichten das unbewusst arbeitende emotionale Erfahrungsgedächtnis das erste und letzte Wort hat: das erste Wort beim Entstehen unserer Wünsche und Absichten, das letzte beider Entscheidung, ob das, was gewünscht wurde, jetzt und hier und so und nicht anders getan werden soll. Die Letztentscheidung fällt ein bis zwei Sekunden, bevor wir diese Entscheidung bewusst wahrnehmen und den Willen haben, die Handlung auszuführen.

Zwischen beiden Ereignissen können beliebig lange Perioden des bewussten Abwägens von Handlungsalternativen liegen; im einen Fall entscheiden wir spontan, ‚aus dem Bauch heraus’, während wir im anderen Fall monatelang Argumente hin und her wälzen. In beiden Fällen muss es jedoch zu einer Letztentscheidung kommen, bei der es auf die Passung zwischen bewussten kortikalen Handlungsintentionen mit dem Handlungsgedächtnis der Basalganglien und dem emotionalen Erfahrungsgedächtnis des limbischen Systems ankommt. Das garantiert, das alles, was wir tun, im Lichte vergangener Erfahrung geschieht.“ (Roth et al. 2006, S. 13, 14)

Roth will nicht bemerken, dass dieses Argument kein Argument gegen den freien Willen darstellt. Weiterhin will er nicht bemerken, dass die Libet Ergebnisse von Libet so nicht interpretiert werden.

Ob man das abgeleitete Bereitschaftspotenzial demnach mit dem Willensentschluss (Anstoß zur Handlungsausführung) gleichsetzen kann, ist somit mehr als fraglich. Hacker äußert sich zu diesem Themenbereich in einem Interview folgendermaßen: „Der amerikanische Neuropsychologe Benjamin Libet bat vor vielen Jahren seine Versuchspersonen, zu einem selbst gewählten Zeitpunkt eine bestimmte Bewegung auszuführen - zum Beispiel einen Finger zu beugen. Dabei sollten die Probanden an einer Uhr ablesen, wann genau sie die Absicht zu der Handlung in sich aufsteigen fühlten. Durch gleichzeitige Messung der Hirnströme stellte Libet fest, dass die Nervenzellen im motorischen Cortex bereits aktiv wurden, ehe die Probanden sich bewusst zu der Bewegung entschlossen. Libet wertet dies als Beweis dafür, dass der freie Wille eine Illusion sei.

Es handelt sich hier um ein Scheinargument: Erstens ist eine Absicht kein Geisteszustand, der sich irgendwie erfühlen lässt - im Gegensatz etwa zu Schmerzen. Zweitens hat das Experiment nicht die von Libet angenommenen Konsequenzen für die Frage der Willensfreiheit. Ob eine Handlung frei ist, hängt nicht von der Existenz eines vorausgegangenen Gefühls ab. Unser tägliches Reden zum Beispiel geht ebenso wenig mit einem solchen Zustand einher - und ist trotzdem keineswegs unfrei.“ (Schulz, 2004, s. a  Bennet et al. 2003, pp. 229-231) Auch neuere Experimente benutzen diese Scheinargumente. (Haggard et al. 2002; Obhi et al. 2003, 2005)

In dem von dem Neurophysiologen Bennett und dem Philosophen Hacker gemeinsam verfassten Buch: „Philosophical Foundations of Neuroscience“ äußern sie sich zu den Untersuchungen von Libet klar und eindeutig: „The experiment is based on confused presuppositions. It is neither necessary nor sufficient for an act to be voluntary that it is preceded by a feeling of desiring, wishing, wanting or intending to perform it or by an urge to do it. …When on moves voluntary - for example, picks up one’s pen in order to write a note or gets up in order to answer th doorbell - one feels no urges, desires or intentions, and that is not because one does not notice them! Of course, one can say whether one moved voluntarily or involuntarily, but not on the grounds that one felt an urge, desire or intention just before moving. (Bennet et al. 2003, 229)

…The urge one feels to have another piece of cake does not make one’s hand move irresistibly towards the plate anymore than feeling inclined to go to the cinema tonight will, by 7 p. m., cause one’s legs to move.

…The fact that the neurons in the supplementary motor cortex fire 350 ms before feeling is allegedly apprehended does not show that the brain “unconciously decided” to move before the agent did. It merely shows that the neuronal processes that activate the muscles begann before the time at which the agent reported a “feeling of desire” or “feeling an urge to move” to have occurred. But, to repeat, a voluntary movement caused by a felt urge, any more than to refrain voluntarily from moving is to feel an urge not to move which prevents one from moving.” (Bennet et al. 2003, 230)

Das Bereitschaftspotenzial gehört der physikalischen Dimension an, der Willensentschluss gehört den sozialen und psychologischen Dimensionen an.

Eine Deckungsgleichheit zu postulieren, ist ziemlich problematisch. Allenfalls könnte man annehmen, dass ab dem Erscheinen, dem Beginn des Bereitschaftspotenzials, das Gehirn sich in erhöhte Bereitschaft versetzt hat.

Hierzu sind einige grundsätzliche Aussagen, die den relativen Konstruktivismus betreffen, zu beachten:

„Welterklärungen sind durch unsere eigenen Bedürfnisse und Strukturen determiniert; Konstrukte, die sich an „keiner Realität an sich“ validieren lassen“. (Ciompi, 1999)
„Zugleich ist aber festzuhalten an der Hypothese, dass es eine solche Realität tatsächlich gibt, und dass gerade auch die genannten Bedürfnisse und Strukturen mitsamt den dadurch hervorgebrachten Welterklärungen nichts als ein Teil dieser Realität sind, die sie also sowohl enthalten wie auch (anhand von informationsverarbeitenden Strukturen) ein Stück weit laufend verdichten (und gleichzeitig sicher auch verzerren). Von „Wissen“ in einem strengen Wortsinn kann dabei freilich nicht die Rede sein“. (Ciompi, 1999)

Es gibt keinen externen Standpunkt, von dem aus wir Geistiges gewissermaßen von außen betrachten können.

4. Was ist freier Wille?
„Er kann zunächst als geistiger Akt einer Entscheidung zwischen zwei Alternativen verstanden werden etwa in dem Sinne: Ich öffne meine Hand statt sie liegen zu lassen.

Mit dem freien Willen kann aber auch gemeint sein, eine willentliche Handlung zu initiieren: Ich kann meine Hand öffnen.

Schließlich kann es sich auch nur um eine geistige Aktivität handeln, die Kontrolle darüber ausübt, welche unbewusst im Gehirn vorbereiteten Handlungen erfolgen sollen: Ich will jetzt meine Hand öffnen. Vieles spricht dafür, dass Libet in seinem Experiment letzteres untersucht hat. Das Bewusstsein löste ja stets nur eine monotone Handlung aus: Krümme den Finger! Alternativen waren nicht vorgesehen. (Stollorz 2005)

Folgende Aussagen sind weiterhin gültig:

Zwischen Leib und Seele besteht eine explanatorische Lücke („Erklärungslücke“).
Zwischen dem Physischen und Psychischen besteht eine explanatorische Lücke.

Nach Fahrenberg (2006/ 2007) können innerhalb dieses psychophysischen Problems vier Hauptfragestellungen unterschieden werden:

1. „Wie und weshalb erhält eine Teilmenge der elektrophysiologischen Erregungsprozess im Nervensystem Bewusstseinsqualität? (Die Bedingungen des „psycho-physischen Niveaus“) Z. Zt. existieren nur Arbeitshypothesen zu dieser Frage.

2. Sind Gehirn und Bewusstsein zwei verschiedene und eigengesetzliche Seinsbereiche oder lassen sie sich auf eine einzige, letztlich physikalische Basis zurückführen? Diese Frage wird der philosophischen Ontologie zugeordnet.

3. Wie sind die psychophysischen (höheren) Lebensprozesse adäquat zu beschreiben? (Adäquatheitsbedingungen) Diese Frage ist den Bereichen der allgemeinen Erkenntnislehre (Epistemologie) und den adäquaten wissenschaftlichen Methoden zuzuordnen; die Antworten werden von der ontologischen Vorentscheidung abhängen.

4. Haben bestimmte Auffassungen des Gehirn-Bewusstsein-Problems, z. B. Monismus oder Dualismus, Konsequenzen für die Forschung? Auch diese Frage ist den Bereichen der allgemeinen Erkenntnislehre (Epistemologie) und den adäquaten wissenschaftlichen Methoden zuzuordnen; die Antworten werden von der ontologischen Vorentscheidung abhängen.“

Weiterhin beschreibt Fahrenberg das Gehirn-Bewusstseinsproblem als Trilemma. Die drei „Behauptungen können für sich genommen, evident erscheinen, sind aber logisch unvereinbar.“ (s. a. Bieri 1992; Gadenne 2004, S. 94)
 

„Trilemma:

- Bewusste mentale Prozesse sind keine physikalischen Prozesse (ontologische Verschiedenheit).

- Einige bewusste mentale Prozesse sind Ursachen einiger physikalischen Prozess (psycho-physikalische Kausalität)

- Nur physikalische Prozesse können Ursachen physikalischer Prozesse sein (kausale Geschlossenheit der Physik)

Die Anstrengungen eine Lösung des Gehirn-Bewusstsein-Problems zu finden sind eindrucksvoll.

Man kann sie nach Fahrenberg in 3 Kategorien gliedern:

1. Monistische Auffassungen (Annahme einer Einheit von Geist und Bewusstsein)

„Das Hauptproblem des Monismus ist die mehr oder minder deutliche Reduktion von Subjektivität und Intentionalität auf neurophysiologische, letztlich physikalische Funktionen.“ (Fahrenberg 2006/2007)

„Monisten der physikalistischen (materialistischen) Richtung können neben der Kausalität der Neurophysik kein zusätzliches Wirken des freien Willens akzeptieren.“ (Fahrenberg 2006/2007)

- Idealismus (z. B. Berkeley, Hegel, Teilhard de Chardin):
Einheit als Geist

- Dialektischer Materialismus (z. B. Lenin, Rubinstein, Orlov, Klix):
Einheit als Materie oder Energie

- Physikalismus (eliminativer Materialismus, reduktiver Physikalismus)
(z. B. Smart, Armstrong, Feierabend) 

„Nach Auffassung des Physikalismus (Naturalismus) in Gestalt des reduktiven bzw. eliminativen Materialismus bilden die neurophysiologischen Funktionen ein letztlich nach den Gesetzen der Physik arbeitendes deterministisches System. Reduktion heißt hier: Sätze über mentale Hirnfunktionen werden durch Sätze über neuronale Hirnfunktionen ersetzt oder sie sie werden aus diesen abgeleitet.“ (Fahrenberg 2006/2007)

- Emergentismus (z. B. Broad, Hebb, Lorenz, Bunge, Sperry, Hastedt)

„Beim Emergentismus bleiben Entstehung, kategoriales Novum und Wirkung der Bewusstseinsprozesse ein Rätsel.“ (Fahrenberg 2006/2007)

Es wird behauptet, „Bewusstseinsprozess sind in zwei Bedeutungen emergent, d. h. (1) sie treten in der biologischen Evolution als höhere Hirnfunktionen neu hervor, (2) sie sind höhere Systemeigenschaften, fehlen auf der Ebene der neuronalen Subsystem und sind aus deren Eigenschaften nicht vollständig abzuleiten, zu ersetzen oder vorherzusagen.

Gegen die zweite Fassung des Emergenzprinzips lässt sich einwenden, dass Bewusstseinsprozesse kategorial etwas anderes sind als eine emergente Klasse von neurophysiologischen Systemeigenschaften - mögen die Teilsysteme noch so dynamisch oder nicht-linear interagieren oder unvorhergesehen Effekte verursachen.“ (Fahrenberg 2006/2007)

- Methodologischer und metaphysischer Funktionalismus (z. B. Fodor, Putnam, Dörner (Dennett)

„Der Funktionalismus sieht in den „mentalen“ Zuständen Funktionen, die auch als Systemleistungen grundsätzlich auch in Automaten bzw. Computern realisiert werden können. Einige Varianten des Computer-Funktionalismus, „mein Computer denkt“, (und fühlt, wirken kategorial undifferenziert und können als Metapher irreführend sein. Maßgeblich sind ja die Intentionen des Programmierers; häufig werden außerdem die fundamentalen Unterschiede zwischen der heutigen Computerarchitektur und dem um viele Dimensionen komplexeren Gehirn ignoriert. (Fahrenberg 2006/2007)

- Nicht-reduktiver Physikalismus, Supervenienztheorien (z. B. Davidson Kim, (Metzinger), Roth, Singer, Elger et al. (Hirnforscher-Manifest))

„Für den nicht-reduktiven Physikalismus ergibt sich eine schwierige Gratwanderung zwischen dem alten Eigenschafts-Dualismus (Doppel-Aspekt-Lehre) und dem schlichten Epiphänomenalismus, für den Bewusstseinsprozesse nur Schatten der realen Hirnphysik sind.“ (Fahrenberg 2006/2007)

„In den Supervenienztheorien ist das Hauptproblem die die begrifflich und auch neurophysiologisch unzureichende Präzisierung der Abhängigkeitsbeziehungen.“ (Fahrenberg 2006/2007)

„Der interaktionistische Dualismus und der neurobiologische (nicht-reduktive) Physikalismus sind, bei aller Unterschiedlichkeit der Argumentation, in ihrem Kern auf ein noch unbekanntes Erklärungsprinzip angewiesen, um die immanenten Denkschwierigkeiten zu überwinden.

Entweder muss eine irgendwie kausale Wirkung nicht-physikalischer Phänomene als reale, aber nicht direkt messbare, und in ihren Relationen sehr rätselhafte Eigenschaften physikalischer Prozesse angenommen werden.“
(Fahrenberg 2006/2007)

„Dem Supervenienzprinzip zufolge sind Bewusstseinsprozesse auf eine besondere Art an neuronale Erregungsmuster gebunden, sie sind zwar von unten nach oben determiniert, aber als hinzukommende Eigenschaften damit nicht vollständig erklärt. Im Vergleich zum Emergenzprinzip werden kompliziertere, allerdings noch unzureichend präzisierte „Abhängigkeitsbeziehungen ohne Reduktionismus“ postuliert, sogar Vermutungen über eine besondere, noch unerklärliche „downward-causation“ im Gegensatz zur „echten“ Kausalität geäußert.“ (Fahrenberg 2006/2007)

„Aus der Sicht des nicht-reduktiven Physikalismus ist das Bewusstsein eine natürliche Eigenschaft bestimmter neuronaler Aktivitätsmuster und kann ohne diese nicht existieren. Bewusstseinsprozess und neuronale Prozess verlaufen streng parallel. Deswegen ist es grundsätzlich möglich, mit neurophysiologischen Methoden nachzuweisen, wann und wo Bewusstseinsänderungen eintreten. In diesem Sinne sind Bewusstseinsprozesse reale, aber nicht direkt beobachtbare oder messbare Eigenschaften bestimmter neuronaler Vorgänge.

Falls einmal der neurophysiologische Mechanismus entdeckt wird, wie die Bewusstseinsqualität eines repräsentationalen Zustand hergestellt wird, könnte es weitere Fortschritte geben.“ (Fahrenberg 2006/2007)

2. Dualistische Auffassungen

Annahme zweier eigengesetzlicher (heteronomer) Seinsweisen; dabei bleibt offen, „ob deswegen auch zwei substantiell gedachte Träger dieser Eigenschaften behauptet werden müssen.“ (Fahrenberg 2006/2007))

„Das Hauptproblem des verbreiteten Dualismus bleibt die psycho-physische Wechselwirkung, deren Ort, Energetik und Kausalität.“ (Fahrenberg 2006/2007)

„Dualisten können den freien Willen akzeptieren, „doch ergibt sich nicht zwingend das Postulat der Willensfreiheit, wie die theologische Prädestinationslehre oder der Glaube an Schicksal und Karma zeigen.“ (Fahrenberg 2006/2007)

- Interaktionismus (Wechselwirkungslehre) (Descartes, Penfield, Eccles, (Popper), Seifert, Carrier & Mittelstraß)

„Psycho-physikalische Kausalität wir häufig so verstanden, dass ein als nicht-physikalische gedachtes Bewusstsein (Geist) auf die Hirnphysiologie einwirken könnte. Descartes vermutete den Ort der Wechselwirkung in der Epiphyse, der Neurophysiologe Eccles postulierte eine „Liaison-Gehirn“, das er ursprünglich in den Modulen des Supplementary Motor Cortex, SMA, lokalisierte. (Eccles 1994) Dagegen nannte Crick den vorderen Gyrus cinguli, Penrose die Mikrotubuli der Neuronen.“ (Fahrenberg 2006/2007)

„Statt den missverständlichen Substanzbegriff zu verwenden möchte sich z. B. Popper mit der grundlegenden Unterscheidung mentaler und physikalischer Prozesse begnügen: Es gibt zwei Klassen von Eigenschaften, die weder ontologisch noch nomologisch-erklärend aufeinander reduziert werden können. Auch dieser Eigenschaftsdualismus macht eine einheitliche Theorie, wie sie in der Physik angestrebt wird, unmöglich, denn wissenschaftsmethodisch wäre in zwei kategorial grundverschieden aufgebauten Bezugssystemen zu denken.“ (Fahrenberg 2006/2007)

- Parallelismus (Leibniz, G.E. Müller, Wundt, Köhler, Rothschuh)

- Epiphänomenalismus (z. B. Rohracher, Weidel, Campbell, Edelmann, Birnbacher)

„Die Eigenart der Bewusstseinsprozesse wird nicht bestritten, sie bilden jedoch nur ein Randphänomen, d. h. eine Begleitung der neurophysikalischen Prozesse, ohne eigenen Einfluss auf diese.“ (Fahrenberg 2006/2007) Beim Epiphänomenalismus sind Bewusstseinsprozesse nur Schatten der realen Hirnphysik. (Fahrenberg 2006/2007)

3. Psychophysische (ontologisch) neutrale Auffassungen

- Identitätslehre, Doppelaspekt – (Zwei Sprachen-) Lehren (z. B. Spinoza, Fechner, Carnap, Feigl, Ryle, Nagel, Chalmers, Oeser & Seitelberger, (Velmans)

Die Identitätslehre „scheint kaum etwas zu erklären, sie ist deskriptiv und steht dennoch vor dem Problem, wie Identisches bzw. Zusammengehöriges über die beiden eigenständig postulierten Beschreibungssysteme hinweg zu identifizieren sind.“ (Fahrenberg 2006/2007)

Zwei Seiten ein- und derselben Sache (Spinoza) oder Substanz. Es wird vermieden Bewusstseinsprozesse auf die Hirnphysik zu reduzieren. „Im Gegensatz zur logischen oder zur strikten Ding-Identität bedeutet Identität unter psycho-physischer Perspektive (in schwacher Form): unabhängige Sätze beziehen sich auf dasselbe Vorkommnis. Wenn die Sätze jedoch aus verschiedenen Kategoriensystemen stammen, ergeben sich sprachanalytische Schwierigkeiten (Hoche 1990): was ist impliziert, wenn gesagt wird, das Schmerzerlebnis und die kortikale Repräsentation oder das Ich-Bewusstsein und die Aktivität eines neuronalen Netzwerks, wären „dasselbe“? (Fahrenberg 2006/2007)

- Komplementarität (z. B. Bohr, von Bertalanffy, Brody&Oppenheim, Fahrenberg, Fischer et al., (Velmans), Walach & Römer)

Die Frage nach der adäquaten Beschreibung psycho-physischer Hirnfunktionen „erinnert an das bekannte Welle-Korpuskel-Dilemma, für dessen Beschreibung Bohr den Begriff der Komplementarität zweier einander ausschließender, aber zum Verständnis des Ganzen notwendiger Versuchsanordnungen bzw. Sichtweisen einführte. Bohr hat später diese Gedanken über zwei komplementäre, gleichberechtigte physikalische Zugangsweisen als mehrstelligen Relationsbegriff, u.a. auf das Gehirn-Bewusstseinsproblem verallgemeinert, um ebenenfachübergreifende Zusammenhänge zu kennzeichnen. (s. Fahrenberg 1992, Walach 2005; Walach & Römer 2000) Insofern unterscheidet sich das Komplementaritätsprinzip von der ähnlichen Doppelaspekt-Lehre. Einige Autoren haben in der Verallgemeinerung von Bohrs Idee auf andere Gegensätze kaum mehr als eine Metapher sehen können, andere Autoren jedoch eine heuristische Perspektive mit potentiell größerer Akzeptanz und methodischer Fruchtbarkeit. (Fischer, Herzka  Reich 1992, Velmans 2002)

Die Idee der Komplementarität ist kein Lösungsversuch des beschriebenen Trilemmas, sondern ein Vermittlungsversuch in methodologischer Hinsicht. Statt es mit dem Hinweis auf die Qualia bewenden zu lassen oder nur der vereinfachenden Perspektiven der ersten und der dritten Person zu folgen, werden hier grundverschiedene Kategoriensysteme und Gültigkeitskriterien hervorgehoben. Die adäquate Analyse der höher organisierten (psycho-physischen) Hirnprozesse verlangt die gleichberechtigte und wechselseitige Ergänzung des neuro- und verhaltensbiologischen Bezugssystems durch das Bezugssystem des Bewusstseins mit dessen besonderen Kategorien wie Subjektivität und Intentionalität. Das schwierigere Sowohl als Auch tritt an die Stelle der dualistischen Aufspaltung oder monistischen Reduktion.“ (Fahrenberg 2006/2007)
 

Beispiele explanatorischer Lücken:
Mikrokosmos – Mesokosmos -Makrokosmos

Der Mesokosmos ist das Teilstück zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos

Der Mesokosmos ist jener verschwindend kleine Ausschnitt (Randbedingung mit Grenzcharakter) aus der realen Welt, in dem wir uns meist spontan zurechtfinden.

Es ist jener Ausschnitt der Welt, den wir Menschen mit unseren genetisch bedingten evolutiv entstandenen Wahrnehmungs- und Erfahrensstrukturen kognitiv bewältigen. (Evidenzerlebnis). (Vollmer 1980) Die evolutionäre Erkenntnistheorie weist darauf hin, dass unsere Erkenntnisfähigkeit nur der „Welt der mittleren Dimension“ angepasst ist, an der sie sich in der Evolution bewähren musste. Diese Tatsache macht Erkenntniskritik notwendig und sinnvoll und beleuchtet die erkenntniserweiternde Rolle der Wissenschaft. Die Objekte wissenschaftlicher Erkenntnis liegen zum Teil außerhalb der Makrowelt, und wir können nicht erwarten, dass die Strukturen und Begriffe unserer gewöhnlichen Erfahrung dort noch anwendbar sind. (Vollmer, 1980)

„Für den philosophischen Diskurs ist bei dieser Behandlung der Wirklichkeit von Bedeutung, dass jede Stufe ihre eigenen Kategorien und Denkregeln entwickelt. Bei dem Wechsel von einer Ebene zur anderen ist größte Vorsicht geboten, sonst tauchen Kategorienfehler auf, etwa dann, wenn die Eigenschaft von Menschen egoistisch zu sein, auf Gene übertragen wird, oder wenn die Körperzellen, das Hormon, das sie an sich binden, auch noch erkennen sollen.“ (Fischer, 2002, 217, 218)

Mikrokosmos - Mesokosmos

Ein heuristisch und nomothetisch erforschter Mikrokosmosbereich (z. B. Genetik, Molekularbiologie, Neurobiologie usw.) ist nicht lückenlos auf die erlebbare Sphäre der subjektiven Lebenswelt (mit den Eckpunkten Ich-Du-Umwelt) des Mesokosmos zu übertragen. (Mutschler, 2004)
Dies wäre eine Übergeneralisierung. (s. a. Haggard et al. 2002; Obhi et al. 2003, 2005)

Kein mit der Quantentheorie vertrauter Wissenschaftler wird deshalb noch vom Aufbau der Materie aus elementaren Bausteinen reden können oder eine Reduktion biologischer Phänomene auf physikalische Grundgesetze erwarten. (Fischer EP 2002)

„Wir können von unserem Handeln sehr wohl denken, dass es auf biologischen Prozessen beruht - schließlich sind alle unsere Lebensäußerungen und unser Denken in physiologischen Vorgängen verkörpert. Doch das bedeutet nicht, dass wir damit alles Interessante an uns als menschliche Wesen begriffen hätten. Wenn Sie ein Computerspiel spielen, halten Sie die Hardware doch auch nicht für das Wesentliche, oder?“ (Kettner 2004, 39)

Genau diesen Kategorienfehler begehen oft Wissenschaftler. Watson und Crick, die die legendäre Doppelhelix als Struktur des Erbmaterials 1953 erkannt haben, „behaupten zum Beispiel gerne, das Rätsel des Lebens gelöst zu haben und die Grundmechanismen der Zellen verstanden zu haben. Die beiden berühmtesten Biologen der Welt verwenden in diesem Zusammenhang den Ausdruck „secret of life“, und Crick wird nicht müde zu betonen, dass es erstens nach der Doppelhelix an dieser Stelle der Natur keine Geheimnisse mehr gäbe, und zweitens die Annahme gerechtfertigt sei, auch andere Bereiche der biologischen Forschung - neben der Vererbung etwa der des Bewusstseins - könnten in ähnlicher Weise geklärt und erklärt werden.

Nun kann, wer großen Erfolg hat, großen Unsinn reden. Allerdings ist niemand gezwungen, sich darum zu kümmern oder demjenigen zu glauben.“ (Fischer, , 2002, S. 142, 221, 222)

PS: Inzwischen ist das Dogma in allen Zellen werde erst die DNS auf die RNS übertragen, dann die RNS in ein Protein umgesetzt in dieser dogmatischen Form nicht mehr gültig, da erkannt worden ist dass die DNS auch nach der Vorgabe von RNS angefertigt werden kann.(reverse Transkriptasen) (Fischer, 2002, 254)

Scherzhaft könnte man, um das Problem überdeutlich zu machen folgendes sagen:
„Auf Molekülen kann ich nicht sitzen!“

„Mit Neuronen kann ich nicht lachen!“

„Ein Bild von Rubens ist mehr als Leinwand und Farbe!“

"Mit Hilfe der Gene kann ich nicht die Frage nach dem Leben beantworten." (Fischer, 2002, 223)

„Eine CD mit der 5. Symphonie von Beethoven ist mehr als die physikalischen Veränderungen in der CD!“  (Mutschler, 2004)

Die Schönheit dieser Musik empfindet nicht das Gehirn, sondern der ganze, von seiner Kultur geprägte Mensch. (Prinz, 2004)

Innerhalb des Mikrokosmos und Mesokosmos gibt es Schwierigkeiten mit Hilfe der Messparameter eines Bereichs andere Bereiche erfassbar zu machen. Z. B.: Physikalische Phänomene erklären keine biologischen Phänomene. Physikalische und biologische Phänomene erklären keine informatorischen Probleme. (Mutschler, 2004)

Physikalische, biologische und informatorische Phänomene erklären keine Kommunikationsprobleme. Physikalische, biologische, informatorische und kommunikativen Phänomene erklären keine Werteproblematik. . (Mutschler, 2004)

Der Mesokosmos weist demnach andere Beziehungsaspekte wie der Mikrokosmos auf. Im Mikrokosmos konzentrieren sich die Beziehungen auf physikalische und chemische Interaktionen. Auch wenn einige Hirnforscher mit Einteilungen innerhalb des Mikrokosmos die Grenzen zum Mesokosmos nicht mehr klar abgrenzen, so bleiben sie dennoch bestehen (Elger et al. 2004):

„Grundsätzlich setzt die neurobiologische Untersuchung des Gehirns auf drei Ebenen an.
Die oberste Ebene erklärt die Funktion größerer Hirnareale, beispielsweise spezielle Aufgaben verschiedener Gebiete der Großhirnrinde, der Amygdala oder der Basalganglien.
Die mittlere Ebene beschreibt das Geschehen innerhalb von Verbänden von Hunderten und Tausenden von Zellen. Die unterste Ebene Die unterste Ebene umfasst Vorgänge auf dem Niveau einzelner Zellen und Moleküle.“

Anschließend wird in diesem Beitrag klar gesagt: Es besteht eine explanatorische Lücke.
„Die Beschreibung von Aktivitätszentren mit PET oder fMRT und die Zuordnung dieser Areale zu bestimmten Funktionen oder Tätigkeiten hilft kaum weiter. Dass sich das alles im Gehirn an einer bestimmten Stelle abspielt, stellt noch keine Erklärung im eigentlichen Sinne dar. Denn „wie“ das funktioniert darüber sagen diese Methoden nichts, schließlich messen sie nur sehr indirekt, wo in Haufen von Hunderttausenden von Neuronen etwas mehr Energiebedarf besteht. Das ist in etwa so, als versuchte man die Funktionsweise eines Computers zu ergründen, indem man seinen Stromverbrauch misst, während er verschiedene Aufgaben abarbeitet.“ (Elger et al. 2004):

Doch anschließend wird diese Schlussfolgerung wieder aufgehoben im Rahmen eines Reduktionismus (z. B. auch in anderen Artikeln: „Keiner kann anders als er ist“ (Singer 2004), den sie gerade einige Zeilen vorher verlassen hatten. Die ist eine Inkohärenz oder sie entspricht einer generellen Maskierung der reduktionistischen Glaubensbotschaft.

Hierzu äußert sich Prinz (2004):

„Die Autoren des Manifests - so scheint es mir - reden hier einem Reduktionismus das Wort, gegen den sie sich an anderer Stelle zu Recht zur Wehr setzen. Denn ebenso wenig wie sich Gehirnfunktionen auf Physik und Chemie reduzieren lassen, lassen sich soziale und kulturelle Phänomene auf Hirnphysiologie zurückführen.“ …Reduktionist muss man schon ganz oder gar nicht sein. Halb oder manchmal geht nicht.“

Die Autoren, die ihre Veröffentlichung als „Das Manifest“ ankündigen, bringen diese Inkohärenz folgendermaßen zu Papier:

„Auch wenn wir die genauen Details noch nicht kennen, können wir davon ausgehen, dass alle diese Prozesse grundsätzlich durch physikochemische Vorgänge beschreibbar sind….
Geist und Bewusstsein- wie einzigartig sie auch von uns empfunden werden - fügen sich also in das Naturgeschehen ein und übersteigen es nicht. Und Geist und Bewusstsein sind nicht vom Himmel gefallen, sondern haben sich in der Evolution der Nervensysteme allmählich herausgebildet. Das ist vielleicht die wichtigste Erkenntnis der modernen Neurowissenschaften. …Am Ende der Bemühungen werden die Neurowissenschaften sozusagen das kleine Einmaleins des Gehirns verstehen“ (Elger et al 2004)

Prinz (2004) äußert sich zu dem oben im sog. Manifest postulierten unbegrenzten Fortschrittsglauben äußerst skeptisch: „Was Subjektivität und Bewusstsein angeht, glaube ich dagegen nicht, dass mehr Wissen automatische zu mehr Verstehen führt. …Gewiss ist es notwendig, die natürlichen Funktionsgrundlagen zu durchschauen - hinreichend ist es keineswegs. Für eine einigermaßen vollständige Erklärung brauchen wir vielmehr eine umfassende Rahmentheorie, die neben den natürlichen auch die sozialen und kulturellen Grundlagen von Subjektivität und Bewusstsein in Betracht zieht. …Was sicher revidiert werden muss, ist der kaum reflektierte Naturalismus, der dieses Menschenbild und manche Hirnforscher prägt. Als neue Leitdisziplin der Humanwissenschaften, die sie gerne wäre, taugt sie jedenfalls nicht.“

In diesem Sinne äußert sich auch Wenzel: „Dass Geist und Bewusstsein nicht vom Himmel gefallen sind, kann dagegen so lange nicht als wissenschaftlich gesichertes Wissen gelten, wie es keine empirisch überprüfbaren Tatsachen über den Zusammenhang von Geist und Gehirn, von Bewusstsein und Nervensystem gibt… Angesichts der latenten Anmaßung der Hirnforschung, sich zur Gesellschaftslehre aufzuschwingen, muss man die manifeste Verwirrung nicht unbedingt bedauern.“ (Wenzel, 2004, 7)

An Roths Lieblingsbeispiel kann aufgezeigt welche disjunktiven Elemente sich inzwischen in die hochemotional aufgeladene Debatte zwischen Philosophen und Hirnforschern eingeschlichen haben. (Staeck 2005) Roth sagt: „Wir kommen vollbepackt aus dem Kaufhaus und könnten bei einer Befragung viele Gründe dafür angeben, warum der kauf der Dinge von langer Hand geplant war.“ „Indem wir empfinden, dass wir Wünsche haben, schreiben wir ihnen einen Willen zu, sagt Roth“ Hier werden die Filtersysteme Relevanzfilter und Signifikanzfilter vermischt. Mit Hilfe des bewusstseinsfähigen Relevanzfilters (Auswahlfilter) können wir zu Hause langfristig reflektieren, diskutieren und einen auf einem Blatt Papier die Kaufabsichten aufschreiben. Wenn wir im Kaufhaus sind können wir durch Werbung „übermannt werden, mehr zu kaufen, als wir ursprünglich planten. Hier wurde durch PR-Maßnahmen der automatische Signifikanzfilter (Bedeutungsfilter) aktiviert. Auch wenn wir anschließend diese neuen Käufe mit rationalen Gründen zu unterfüttern suchen, bedeutet das noch lange nicht, dass alle unsere Handlungen durch den Signifikanzfilter angestoßen werden. Beide Filtersystem (automatisch, kontrolliert/bewusst) agieren unabhängig voneinander. (Staeck, 2005)

Im Mesokosmos sind diese nicht bewusst ablaufenden chemischen und physikalischen Interaktionen, man könnte sie auch als eine Art präkognitive Erkenntnisse kennzeichnen, nur eine Art Grundfunktion für gleichzeitig/parallel ablaufende höherwertige Beziehungen. (die die Voraussetzung für kohärente Lebensvollzüge sind.) Sie brauchen somit nicht vorgeschaltet sein, um auf das materielle Substrat einzuwirken. Somit gibt es auch kein Problem mit den Energieerhaltungssätzen, wie Singer befürchtet. (Singer, 2006)
Auch das Freiheitsbewusstsein des Menschen ist dadurch nicht zum - im Gehirn nicht messbaren Epiphänomen zu erklären. Dieses Freiheitsbewusstsein zu einem Epiphänomen zu erklären ist der zentrale Vorwurf des Philosophen Habermas gegen die Verfechter eines naturwissenschaftlichen Determinismus. „Dabei verlieren,“ so Habermas, „die Verfechter des Determinismus selbst den Anschluss an die Alltagspsychologie. Auch ein Forscher wie Wolf Singer, der als Forscher den Glauben an die Freiheit als Irrglauben entlarvt, geht - so erklärte er in einem Interview - nach getaner Arbeit nach Hause und rüffelt seine Kinder, die tagsüber Unsinn getrieben haben.“ (Staeck, 2005) Nähme er an, seine Kinder seien in ihren Handlungen nicht frei, könnte er sie nicht bestrafen.

Für Habermas ist der Mensch einerseits Naturwesen, andererseits ist „das Ich als eine soziale Konstruktion zu verstehen, aber deshalb noch keine Illusion“. (A.d.V: „Ich bin mir meiner selbst gewiss.“) Damit meint Habermas: „Geist“ ist keine Substanz, sondern das Ich versichert sich in der Kommunikation mit anderen Menschen, ob seine eigenen Intentionen und Urteile einer Überprüfung von außen standhalten.“ „Der Prozess des Urteilens ermächtigt den Handelnden zum Autor einer Entscheidung.“ schreibt Habermas. Dagegen hält Habermas an einem Dualismus von Geist und Gehirn fest, wenn er Handlungsfreiheit erklärt: „Der Handelnde kann sich von einem organischen Substrat, das als Leib erfahren hat wird, ohne Beeinträchtigung seiner ‚Freiheit’ bestimmen lassen, weil er die subjektive Natur als Quelle des Könnens erfährt.“ (Staeck, 2005)

 

Dies gilt überraschenderweise auch für biographische Erinnerungen (Aufruf von Erinnerungen sind konstruktive Gedächtnisprozesse), bei denen auch; sie werden nicht wiederholt abgespult, sie werden rekonstruiert - jedoch jeweils aus aktueller Sicht. Das bedeutet, sie haben zwar einen wahren Kern, sind aber inakkurat. Interessanterweise…sind Individuen typischerweise höchst überzeugt von der Richtigkeit ihrer autobiographischen Erinnerungen. Vermutlich bastelte sich der Homo erectus auf dies Weise eine Art Sicherheitsleine im ansonsten so unsicheren Dasein.“

Dadurch ist auch das beliebte Phänomen des Tratsches zu erklären. Jeder, der die doch „sooo“ interessante Neuigkeit einer weiteren Person weitererzählt, lässt unbewusst Information weg und ergänzt die ursprüngliche Information mit weiteren Informationen. Nach mehreren „Gesprächsdurchgängen“ ist die ursprüngliche Information kaum noch wiederzuerkennen. Sie gleicht dann eher einer Erzählung eines Märchens.

Geyer (2004) fasst diese Erkenntnisse kurz und prägnant folgendermaßen zusammen: „Tradierungsprozesse sind nun einmal nichts anderes als ein schon durch das Partyspiel „Stille Post“ bekanntes und durch die Vorsichtsmaßregel „Man höre auch die andere Seite“ nur leidlich korrigierbares Verzerrungsgeschehen. Trau keiner Quelle, die auf einem Gehirn mit über 30 Neuronen beruht, lautet die Botschaft mit der Fried hier im Grunde also bloß die Prinzipien seriöser Quellenkritik noch einmal auf einen neuronal abgesicherten Begriff bringt. So bewahrheitet sich, was der Hirnforscher Gerhardt Roth schrieb: Die Neurowissenschaften, sofern sie die Bedingtheiten des Gedächtnisses aufzeigen, sagen „nichts, was nicht Philosophen, Psychologen und gute Menschenkenner zu allen Zeiten bereits gesagt haben.“

Im weiteren Fortgang seiner Betrachtungen lässt Fried jedoch dann die Geschichtswissenschaft nur noch als neuronale Geschichtswissenschaft gelten und möchte sie als Kognitionswissenschaft verstanden wissen. Kant sagt zu solchen Gedankenexperimenten: „Reine Gedanken konstruieren hinsichtlich der Dinge keine Erkenntnisse.“

Solche geistigen Muster sollten der realen Lebenswelt (dem Vorfindbaren) nicht als Deutungsmuster (Bedeutungszuweisung) übergestülpt werden. Es handelt sich um eine inverse Rückbezüglichkeit, deren Ausgangspunkt unvalidierte, nicht offensichtliche Annahmen darstellen. Diese Annahmen sind komplex (nicht trivial), in sich schlüssig (nicht paradox), jedoch utopisch. Das Vorfindbare wird entsprechend diesem geistigen Muster geordnet. Vorgänger dieser Methode sind z. B. Hegel. Singer wendet diese Methode an, indem er alle Informationen in Bezug auf den nicht vorhandenen freien Willen der genetisch determinierten neuronalen Grundverschaltung zuordnet. (Singer 2004)

Niels Bierbaumer wehrt sich gegen diese Art von Begriffsverwirrung. Er sagt schlicht und einfach: „Ich kann einen freien oder unfreien Willen nicht messen, deshalb kann ich nichts über ihn sagen.“ (Zit. n Geyer 2004) Oder anders ausgedrückt: „Schuster bleib bei Deinen Leisten!“

Ein heuristisch und nomothetisch erforschter Bereich des Mesokosmos kann nicht lückenlos auf die idiographische, singulär erlebbare Sphäre der einzelnen subjektiven Lebenswelten übertragen werden. Auch dies wäre eine Übergeneralisierung. Diese Erkenntnis ist inzwischen Allgemeingut geworden und überall nachzulesen:

Beispiele:

1. Ein experimenteller und klinischer Nachweis einer Wirksamkeit eines Medikamentes heißt nicht, dass es immer und bei jeder Person wirksam ist.

2. Ein pathologisches Testergebnis, z. B. HIV-Test heißt nicht, dass die entsprechende Person das entsprechende Leiden auch hat. Ein positiver HIV-Test bei Menschen, die keiner Risikogruppe angehören, liegt die Chance, nicht infiziert zu sein, bei ungefähr 50%. (Wegner, 2004)

3. Genetisch perfekte geklonte Fadenwürmer haben unter identischen Laborbedingungen unterschiedliche Lebenszeiten. Geklonte und damit identische Schweine haben bemerkenswert unterschiedliche Charaktere. (Wegner, 2004)

4. Der ökonomische Nutzen wird zum Dogma für alle wesentlichen Zukunftsentscheidungen erhoben. Dadurch wird die Wirklichkeit auf das Ökonomische beschränkt bzw. eingeengt. Die Spieltheorie hat dieses Dogma aufgegriffen und mathematisch fast bis zur Perfektion weiterentwickelt. Das entwickelte Modell hat jedoch nur noch einen Grenznutzen im Sinne eines normativen Nutzens. Es ist nur noch unter folgender Annahme zu gebrauchen: „Wie müssen sich Subjekte verhalten, um optimalen Nutzen aus einer Entscheidung zu ziehen?“ Es berücksichtigt keine psychologischen und sozialen Faktoren. Dadurch ist es nicht in der Realität des Menschen von geringem Nutzen. Es überbrückt nicht die Differenz zwischen der Annahme (optimaler Nutzen) und der tatsächlich eingetretenen Realität. Ein solches mangelhaftes Überbrücken bzw. Anpassen an die Realität ist im medizinischen Bereich insbesondere auch bei dementen Menschen zu beobachten. (Mutschler, 2004)

Explanatorische Lücken sind demnach offensichtlich häufiger als wir bisher angenommen haben. Dies ist sogar in sogenannten Alltagsfragen zu erkennen. Die Frage: „Warum haben wir z. B. Erlebnisse?“, ist entsprechend den o.g. Ausführungen rein naturwissenschaftlich nicht zu beantworten. (Geyer, 2004)

Auch W. Singer (2003) stellt sogar fest, „dass zwischen unserem subjektiven Erleben und der wissenschaftlichen Beschreibung der Hirnprozesse der Hirnprozesse, die diesem Erleben zugrunde liegen, derzeit unüberbrückbare Konflikte“ bestehen.

Diese Feststellung hebt er jedoch in einer der vorherigen Aussage widersprechenden Argumentation wieder auf, indem er die Determination der geistigen Zustände und die Aktivitäten des Menschen durch neuronale Gegebenheiten als Glaubensbotschaft zu etablieren versucht. (Singer 2003, 2006)

Schopenhauer (1848/1999, S. 206; zit. n. Thorhauer 2006) bemerkt zur explanatorischen Lücke: „Allein, wie groß Fortschritte auch die Physik (A.d.V: hier Neurobiologie)
machen möge; so wird damit noch nicht der kleinste Schritt zur Metaphysik geschehen seyn…Denn solch Fortschritte werden immer nur die Kenntniß der Erscheinung vervollständigen; während die Metaphysik über die Erscheinung selbst hinausstrebt, zu Erscheinenden. Und wenn sogar die gänzlich vollendete Erfahrung hinzukäme; so würde dadurch in der Hauptsache nichts gebessert seyn. Ja selbst wenn einer alle Planeten sämmtlicher Fixsterne durchwanderte; so hätte er damit noch keinen Schritt in der Metaphysik getan. Vielmehr werden die größten Fortschritte der Physik das Bedürfnis nach einer Metaphysik immer fühlbarer machen.“

Es gibt keine kausale Geschlossenheit des Physischen. Als Personen stehen wir in der physischen Welt und können als freie Agenten in ihre Abläufe eingreifen, wobei unsere Handlungen keine Ursachen, sondern Gründe haben. (Kutschera, 2002) Kaiser (s. o.) drückt das folgendermaßen aus: „ Ohne Wollen gibt es kein Sollen, und ohne Urteilen und Handeln nach Gründen - und nicht lediglich nach Ursachen - kein Richtig und Falsch“.

Wenn man Geistiges nicht auf Physisches reduziert, benötigt man neben dem Urknall als unableitbarem Anfang des Physischen auch unableitbare Anfänge des Geistigen. (Kutschera, 2002)

5. Dass Zeitverzögerungen zwischen der Reizung eines Sinnesorgans und der Bewusstwerdung, die durch die Länge der Erregungsleitung bedingt sind, auftreten können, ist ebenfalls nachvollziehbar. (Koch, 2005, 43)

Hierzu schreibt E. Florey (1991): „Bei Reizung entfernter Sinnesorgane kommt noch die Verzögerung durch die Erregungsleitung dazu. Ein extremes Beispiel kann das verdeutlichen: Wenn ein 30 Meter langer Dinosaurier in den Schwanz gezwickt würde, müssten die Nervenimpulse die ganze Strecke von gut 30 Metern bis zum Gehirn zurücklegen, ehe dort der Bewusstwerdungsprozess eingeleitet werden kann. Bei einer Leitungsgeschwindigkeit von vielleicht 5 Metern pro Sekunde (ein eher überschätzter Wert) dauert es sechs Sekunden, bis die ersten Nervenimpulse im Gehirn ankommen. Was der Dinosaurier als Gegenwart erlebt, liegt dann bereits sieben Sekunden in der Vergangenheit“. (Fischer, B. et al.., 2004)

PS: Wir „kommen … auf eine Viertelsekunde als minimale Zeitspannen, die wir brauchen, um einen Reiz bewusst zu sehen. (Um Informationen in unser Bewusstsein zu hieven müssen bestimmte Neuronenpopulationen für ca. 100 Millisekunden oberhalb einer bestimmten Intensitätsschwelle feuern. Hier kommen noch 150 Millisekunden hinzu, „die die Signalleitung von der Netzhaut bis hinauf in die Sprachareale der Großhirnrinde benötigt.“) (Koch, 2005, 42,43)

6. Ob das Bewusstsein und die umgebende sog. Wirklichkeit in Wirklichkeit in etwa um eine Drittel - Sekunde verschoben sind, ist zurzeit wissenschaftlich nicht zu entscheiden.
Es gibt auch Untersuchungen, bei denen das Großhirn an einer bestimmten Stelle, z. B. an der Stelle, an der die Hand repräsentiert wird, gereizt wurde. Zu einer bewussten Wahrnehmung (Prickeln an der Hand) kam es nur, wenn die Reizung (wiederholte Impulse) wenigstens eine halbe Sekunde anhielt. Eine solche experimentelle Situation kommt im Alltagsleben nicht vor. In Alltagssituationen sind die Reaktionszeiten wesentlich kürzer. „Menschen empfinden einen einzigen Reiz in ihrem Finger  innerhalb von weniger als 50 Millisekunden.“ (Fischer et al. 2004, Stollorz 2005))

Wenn das Gehirn an einer bestimmten Stelle gereizt, an der die Hand repräsentiert wird, für eine halbe Sekunde gereizt wurde und 200-400 msec nach der direkten Hirnreizung die Hand direkt gereizt wurde, berichteten die Versuchspersonen, dass Sie den Hautreiz zuerst spürten. „Künstliche Reize wirken im Gehirn nach anderen Regeln als bei natürlichen Reizen auf die Hand. Im Hirn dauert es länger genügend Hirnzellen zum Feuern zu bringen und damit einen effektiven Stimulus für das bewusste Erleben zu setzen. Deswegen wird dieser Reiz später bewusst als der auf der Hand.“ „Erst wenn die Hautreizung der Hand um eine halbe Sekunde verzögert wurde im Vergleich zum Stimulus im Gehirn, wurde den Teilnehmern beide Reize zugleich bewusst. Koch, 2005, 44, Libet 2005, Stollorz 2005)

Ein weiterer Versuch lässt vermuten, dass man Wille und Bewusstsein experimentell entkoppeln kann. Den Probanden wurden in Hypnose suggeriert, „dass der Mittelfinger der rechten Hand nach einigen Umdrehungen der Uhr (s. Libet-Experiment) von selbst eine deutliche, kurze Abwärtsbewegung vollziehen werde, und zwar genau in dem Moment, in dem die Probanden ihren Finger willentlich krümmen. Wie in dem klassischen Experiment von Libet wurde die Versuchsperson nun aufgefordert, sich den Zeitpunkt auf der Uhr zu merken, wo ihr die Fingerbewegung bewusst wurde. Zunächst stellten die Neuropsychologen fest, dass die Versuchsteilnehmer auch unter Hypnose selbstinduzierte Fingerbewegungen von unwillentlichen unterscheiden konnten. Erstaunlicherweise erlebten die Versuchspersonen eine von ihnen willentlich ausgelöste Fingerbewegung im Bewusstsein als unwillentlich, wenn diese unter Hypnose als unwillentlich imaginiert wurde. (Stollorz 2005)

5. Zurück zum Affen in Bezug auf festgelegte Reaktionen:

Der Affe ist darauf ausgerichtet (dies entspricht etwa einer instrumentellen Konditionierung), diese Tätigkeit (den Roboterarm zu bewegen) auf Befehl auszuführen.
Käme im Moment der Befehlserteilung ein anderer Affe oder ein Löwe oder sein Wärter mit Bananen in den Raum, würde seine Reaktion völlig anders ablaufen und das antrainierte Computerprogramm würde nicht funktionieren. Sogar der Affe würde sich in diesem Moment, wenn seine Motivationslage sich ändert, gegen etwas entscheiden. (Kröber 2003)
Motive sind Gründe, etwas zu tun. Welches Motiv die höchste  Dispositionsbereitschaft hat ist, von Lebewesen zu Lebewesen unterschiedlich und beim einzelnen Lebewesen von der jeweiligen (einmaligen) Situation abhängig. Nur ein Motiv kann jeweils wirksam werden. Dies entspricht einer temporären „Versklavungstheorie“ der Motive (s. a. Haken 1981, 1982)

Dadurch kommt es gleichzeitig zu einer Komplexitätsreduktion, die jedoch mit einer hohen Handlungsbereitschaft einhergeht. (Bakker et al. 1984, Murray, 1964) Prinzipiell können wir die Reaktionen bei einem vielschichtigen komplexen System nicht genau vorhersagen; sie werden nur durch ein immenses Training wahrscheinlicher. Der Mensch und sogar der Affe können demnach prinzipiell auch anders handeln.

Generell können wir zu nicht vorhersagbaren Reaktionen Folgendes bemerken:

Ob sich ein Hund, z. B. bei Hunger, dem einen Reiz, z. B. Wurst, oder einem anderen Reiz, z. B. einem Hundekuchen, zuwendet, ist nicht genau vorhersagbar. Ob sich der Affe zur Bewegungsausführung am Roboterarm oder zum Ergreifen einer Banane mit seinen normalen Armen entscheidet, ist nicht genau vorhersagbar.

Fortzung mit PDF-Dateien:

25 - Das „chaotische“ Gehirn ...
       
Im neuronalen Netzwerk ist die „Unschärfe“ der Vorhersagen auf fünf Eben
         vorhanden Plastizität als Voraussetzung zur Verwirklichung von Entwicklungszielen
         Entfaltung/Erhaltung)

35 - Glossar: ...
       
Geist
          Mögliche Erklärungsebenen des freien Willens
          Juristische Ebene
          Juristisch: Die Willenserklärung

39 - Psychologische Ebene ...     
       
 Wille und Selbststeuerung
          Selbst und Selbststeuerung

38 - Religiöse Ebene ...

41 - Philosophische Ebene ...

52 - Neurophysiologische Ebene ...

53 - Anatomische/neuroanatomische/neurobiologische Ebene in
        historischer Sicht und Gegenwartssicht ...

59 - Ebene der Aphorismen und der weiterführenden
        Gedanken ...

76 - Literaturhinweise ...

 



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