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wirklich - nicht wirklich
oder doch – oder nicht?

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Glosse aus ZEIT Literatur 02/2003 
Von daher macht das Minus Sinn

Eine Sprechblase als Nebelkerze im eigenen Sprachnebel

Der Sprachgebrauch
In den vergangenen 20 Jahren hat sich die grammatikalische Bedeutung des Wortes „wirklich“ sowohl in seiner Eigenschaft als Adverb als auch als Adjektiv nicht geändert. In jedem Fall ist es eine Bestätigung einer Eigenschaft oder einer Aussage, wenn sie angezweifelt wird.
Beispiel: „Ich bin krank“. Zweifelnder Blick des Zuhörers. „Wirklich!“.

Doch seit einiger Zeit wird das Wort „wirklich" immer häufiger schon benutzt, bevor ein Ausdruck des Zweifels erkennbar ist (es soll schon vorher dem eventuellen Widerspruch oder Zweifel, sei es auch nur ein Blick, die Grundlage genommen werden: „Ich bin wirklich krank". (Na, das muß ja dann wohl stimmen.). Vielleicht veranlasst aber auch das Bewusstsein eigener Unwahrheiten die Erwartung mangelnder Glaubwürdigkeit. Die grundlose Bestärkung der eigenen Aussage durch „wirklich“ ist überflüssig und somit eine typische Sprechblase.  

Als eine Art Steigerung des Sprachverwirrung muss die sich ausbreitende Verneinung des Wirklichen erscheinen: NICHT WIRKLICH. Sprachpfleger mit (kritikarmen) Sinn für Neues werden den neuen Sproß ständig beliebter werdender Sprechblasen, nämlich die Wendung „nicht wirklich“ als Ausdruck der natürlichen Sprachentwicklung bezeichnen. Näher besehen entpuppt sie sich jedoch als weiterer Ausdruck geschwätzig dargereichter Gedankenverschleierung. Damit paßt sie in unsere Zeit. Wer sagt schon was er denkt, meistens unfähig, so zu sprechen, daß ihn jeder versteht.

Die Wirlichkeitsverneiner bedenken nicht: die durch „nicht“ bewirkte Verneinung der Bestärkung hebt nicht nur die Bestärkung auf, sondern auch die eigentliche Aussage. Jemand, der nicht wirklich krank ist, ist überhaupt nicht krank. Damit ist die Verneinung von „wirklich" bedeutungslos für die Aussage, die mit „wirklich“ eigentlich bestärkt werden soll.

Ist der nicht wirklich Kranke also fiktiv krank? Die Sprechblase "nicht wirklich" passt zum häufigen Missbrauch des Konjunktivs, der vor allem in der Floskel "ich würde sagen, meinen ..." das Umgangsdeutsch verhunzt.

Treffer bei Google für "nicht wirklich" am 19.7.2009: 9 100 000. Am 1.1.2006 waren es noch 2 010 000. Am 9.4.2011: 71 200 000. am 9.6.2011: nur noch 46.700.000 Treffer! Am 1.2.2012: 73 400 000 Treffer!

Wörterbücher zu "wirklich"
Wahrig 1986, Deutsches Wörterbuch

Adjektiv, 1 tatsächlich, echt; tatsächlich vorhanden, bestehend; der Wirklichkeit, den Tatsachen entsprechend; - ! ganz bestimmt!, du kannst es glauben!; -? ist das wahr?
2 er ist ein - er Künstler; das - e Leben ist ganz anders, als es in diesen Romanen, Filmen geschildert wird; Wirklicher Geheimer Rat (früher Ehrentitel für) höchster Beamter; (verstärkend); bist du - dort gewesen?; - (sehr) hübsch!

Duden 1989 Deutsches Universal Wörterbuch A – Z
und
Duden 2000 auf CD, 10 Bde.  

eigentlich = tätig; wirksam; wirkend
I. Adjektiv, 1. in der Wirklichkeit vorhanden; der Wirklichkeit entsprechend: eine -e Begebenheit; das -e Leben sieht ganz anders aus;
2. den Vorstellungen, die mit etw. verbunden werden, genau entsprechend; im eigentlichen Sinne,

II. Adverv, dient zur Bekräftigung, Verstärkung; in der Tat: da bin ich w. neugierig; ich weiß w. nicht, wo er ist; er ist w. zu ihm hingegangen und hat sich entschuldigt; w., so ist es!; nein, w.? (ist es wirklich: eigentlich = tätig; wirksam

 

Beispiele
aus den Seiten mit hohem „Ranking“ bei Google, d. h. den unter den ersten Zehn genannten:

Stiftung Warentest nicht wirklich glücklich mit VoIP (28.07.2005)

TELEPOLIS  30.12.2004
Die Weihnachtsflut kam nicht wirklich überraschend

dto. 22.01.2004
Raketenabwehrsystem noch nicht wirklich einsatzbereit

BLUEPHOD  09.12.2005
Des Zählens nicht wirklich mächtig

Studis online 25.11.2005
HOCHSCHULPOLITIK
NRW: Studiengebühren mit Geld-zurück-Garantie? Nicht wirklich!

Einfach persönlich 16.11.2005
Warum Google Analytics nicht wirklich kostenlos ist

SZ 08.12.2005
Statistik und Wirklichkeit
Warum ostdeutsche Rentner nicht wirklich mehr bekommen

Aktuelles Fernseh-Programm für Freitag, den BR am 6. Januar:
Bruno Jonas Solo-Kabarett „Nicht wirklich –  nicht ganz da"

Die oben genannten „Sprachpfleger" können sich bestätigt fühlen. Der Duden wird bald die Sprechblase in gewohnte Weise adeln.

Feststellung am 9.6.2011: Die Ausbreitung der Sprechblase ist nicht mehr zu stoppen. U.W.

Bemerkung am 2.2.2012: Meine Befürchtungen wurden bis jetzt bestätigt. Das Bestärkungsadjektiv "wirklich" breitet sich epidemieartig im Sprachgebrauch aus, angeführt von den Medien aller Art. Der berühmte Ausspruch von René Descartes müsste folglich in Neudeutsch übersetzt lauten: "Ich denke wirklich, also bin ich wirklich."
U.W.



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geändert und aufgeteilt an 20.7.2009

 Letzter Satz zugefügt. 9.6.11