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Bildung Grade Titel XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX / Doktor-Grad, Übersicht / Guttenbergs Jagd nach dem Doktortitel / Guttenbergs Dissertation
 

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Guttenbergs Dissertation

Das deutsche Titelwesen ist ein alter Zopf, reif zum Beschneiden

Leserbrief an die SZ München vom 17.2.2011

                                                                                                                       17.2.2011
Abgeschriebene Erkenntnisse als „eigene Leistung“ bezeichnet

Zu „Immer mehr Hinweise auf ein Plagiat Guttenbergs“
SZ vom 17.2.2011, S. 1

Zunächst wurde nur von einem Dutzend nicht als solche gekennzeichneten Zitaten gesprochen. Inzwischen sind es über 20, mit denen zu Guttenberg in seiner Dissertation eigenes Gedankengut vortäuscht. Verträgt sich dies mit der „summa cum laude“ erteilten Doktorwürde? Guttenberg sollte noch eine Weile warten, bis noch weitere faule Eier gefunden worden sind. Dann könnte er seine freundlicherweise angebotenen Korrekturen in einer Neuausgabe der Dissertation gleich vollständig anzubringen.

Spielt sonst beim unredlichen Titelerwerb Geld die wesentliche Rolle, erweckt diesmal der starke Verdacht die Aufmerksamkeit der Medien und der Öffentlichkeit, Guttenberg habe mit einem Plagiat den Doktorgrad erworben. Der Deutsche Hochschulverband (DHV) betonte laut SZ, „Es gelte auch für den Verteidigungsminister die Unschuldsvermutung, allerdings: „Prominenz kann kein Schutzschild sein“, sagte ein DHV-Sprecher. Wenn sich die Vorwürfe als triftig herausstellten, müsse die Universität Bayreuth Konsequenzen daraus ziehen.“ Man kann gespannt sein, wie die aussehen werden: Drohen mit dem Zeigefinger oder Entziehung des Grades.

Ist der Wirbel um die Benutzungserlaubnis der akademischen Leuchtboje nicht übertrieben? Er mag gespeist sein durch persönliche oder politische Motive. Aber gemessen an der (unbegründet großen) Wirkung in der Gesellschaft, die die zwei Buchstaben erzielen, kann die Reaktion auf die Unredlichkeiten beim Erwerb des Titels nicht scharf genug sein. So ist trotz Unkenntnis der Leistung, Verschweigen des Studienfaches und ev. mangelnder wissenschaftlicher Substanz hohes Ansehen garantiert, und das - ohne triftigen Grund - lebenslang.

In Deutschland wird der Doktorgrad immer noch wie eine Monstranz als Zeichen höchster Bildung vor sich her getragen und vom einfachen Bürger entsprechend ehrfürchtig beachtet. Die landesweit gepflegte Überbewertung einer einmaligen im übrigen unbekannten Leistung garantiert den Promovierten das lebenslange Image eines besonders klugen, wissenden und leitungsstarken Menschen. Das Vorurteil, nämlich die übertriebene Wertschätzung gilt auch für Dissertationen, die zum wissenschaftlichen Fortschritt nicht beitragen, besonders für Doktorarbeiten auf dem medizinischen Gebiet, die meistens aus der Beurteilung selbst erstellter Statistiken bestehen. Bspw. dürften die medizinischen Erkenntnisse aus den Ergebnissen der Untersuchung

Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern“ enorm gewesen sein.

Im Jahre 1962 erhielten die Promovierten einen wenig bis nicht beachteten Dämpfer, als der BGH feststellte, dass der Doktorgrad KEIN Bestandteil des Namens ist. In den Medien hat sich diese Erkenntnis teilweise durchgesetzt. Der Doktorgrad wird oft nicht mehr erwähnt. Die „normalen“ Bürger wagen es jedoch nicht, einen Promovierten (nur) mit dem Namen anzureden. Für das devote Verhalten wird sogar in Benimmkursen geworben mit der Empfehlung, das „Dr.“-Kürzel in Anrede und Adresse vor dem Namen anzugeben. Nach Ansicht von Johann Schloemann (SZ vom 25.8.2010) ist

„der Doktortitel häufig keinesfalls Ausdruck lebenslänglicher wissenschaftlicher Berufung, sondern eine Trophäe für Klingelschild und Visitenkarten.“

Auf die beständige Angabe im Impressum der Zeitungen wollen die Betroffenen (Promovierten) keinesfalls verzichten.

Vor vier Jahren wollte der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble (Dr. jur.) die Passvorschriften dahingehend ändern, dass die Eintragung des Doktorgrades in der Namenszeile des Passes unterbleibt. Er wollte den großen Verwaltungsaufwand in den Meldeämtern verringern und Deutschland internationalen Gepflogenheiten annähern. Sicher war Schäuble bewusst, dass der Doktorgrad auch nicht zum Identifizieren einer Person erforderlich ist. Doch der damalige Innenminister Bayerns, Günther Beckstein (Dr. jur.), war strikt dagegen, und zwar mit der für einen promovierten Juristen wenig schmeichelhaften und läppischen Begründung, bildungspolitische Traditionen zu erhalten. Der Bundesrat nickte und Schäubles Initiative war abgelehnt. Eitelkeit besiegte die Vernunft. Wird demnächst der Doktorgrad als erblich erklärt werden - auf Antrag Bayerns?

Die rechtsstaatliche Vernunft fehlt auch im jetzigen Innenministerium. Obwohl eindringlich und ausführlich begründet hingewiesen, und zwar auf die nach wie vor sach- und BGH-Urteilswidrige Eintragung des Doktorgrades in Pass und Ausweis sieht Innenminister de  Maizière keinen Hinderungsgrund, das Hochsicherheitsdokument Pass weiterhin als Visitenkarte zu missbrauchen. Der Doktorlobby in Deutschland gelingt es stets verschwörungsarting, das etablierte Vorurteil in der Gesellschaft, die übertriebene pauschale Wertschätzung der Promovierten und damit ihr hohes Ansehen zu sichern.

Dank Beckstein blieb somit der Ausweis als staatlich geschützter Bildungsbeleg erhalten. Er bietet weiterhin den Anreiz, sich einen Doktortitel zu beschaffen, um am lebenslangen hohen Ansehen der Titelträger in der Gesellschaft unseres titelverehrenden Landes teilzuhaben. Es lohnt sich daher, mit welchem Treibstoff auch immer, das akademische Bildungssignal vor dem Namen zu zünden.

Um das deutsche Titelwesen endlich zu versachlichen wäre es sinnvoll

 der Doktorgrad wird nicht mehr in der Namensspalte von Personalausweis und Pass eingetragen (Vorschlag Schäuble in 2007);
• öffentlich genannte Doktorgrade werden grundsätzlich hinter dem Namen angegeben, und zwar vollständig mit Fakultät sowie mit Ort und Jahr der Promotion (Dr. med., München 1995);
• In einer Datenbank sind alle in Deutschland vorgelegten Dissertationen abrufbar.

Vorreiter bei der Reform des Titelwesens könnte der deutsche Bundestag sein, wo in schon fast penetranter Weise die promovierten Abgeordneten ständig mit dem Titel aufgerufen und im Protokoll die akademische Verzierungen vor dem Namen ständig angegeben werden, als seien sie Bestandteil des Namens. Auch die Medien (Funk, Fernsehen, Zeitungen etc.) verzichten jeweils im Impressum auf die Angaben von Titeln oder nennen sie vollständig in der vorgeschlagenen Weise.

Ulrich Werner

             



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