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Bildung Grade Titel XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX / Stil & Etikette / Der GROSSE KNIGGE als Traditionshüter / 3. Die Überbewertung des Doktorgrades
 

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Der GROSSE KNIGGE als Traditionshüter der überholten Titelverehrung

3. Die Überbewertung des Doktorgrades

 

3. Die Überbewertung des Doktorgrades
Wer unsicher ist oder Angst hat, Titel und Grade in der Anrede falsch anzugeben, mag die Vorschläge im Knigge begrüßen. Und wer wie allgemein üblich über den Studienabschluss des Promovierten nichts Näheres weiß oder der zutreffenden Ansicht ist, es bestehe keine Verpflichtung zur Anrede mit einer der akademischen Auszeichnungen, wird verunsichert. Er muss sogar aus den Beispielen im KNIGGE folgern, Titel und Doktorgrad müssten in jedem Fall in der Anrede erwähnt werden. Sie erwarten also von mündigen, gegebenen-falls auch gebildeten Bürgern, dass sie Mitbürger mit einem hoch geschätzten Titel ansprechen, ohne Näheres über diesen und seinen Erwerb zu wissen. Das organisierte Verteilen von Vorschlusslorbeeren halte ich für sehr bedenklich. Es schafft Vorurteile und erschwert den Umgang mit Menschen, erst recht in einer modernen und aufgeschlossenen Gesellschaft. Die Empfehlung als Regelverhalten kann nur verstehen, wer sich von den trägen Gesellschaftsstrukturen alter Zeiten nicht lösen kann. Deutschland ist und bleibt in der Völkergemeinschaft mit seiner antiquierten Titelsucht und Titelverehrung zunehmend isoliert. Man spricht schon von „Dr. Deutschland“.

Die Ursache für die traditionelle pauschale Überbewertung des Doktorgrades entstand unter obrigkeitsstaatlichen Gesellschaftsstrukturen. Das Universitätswesen mag damals besondere Situationen im Bildungswesen geschaffen haben, heute gelten andere Ver-hältnisse und Bedingungen, auch zum Promovieren. Die automatische Anrede von Promo-vierten mit dem „Doktortitel“ wird noch immer von sogenannten Benimm-Dich-Zirkeln befürwortet, wenn nicht gefordert. Sie mögen guten Glaubens oder im Abhängigkeit von Promovierten handeln, wenn sie als Traditionshüter auftreten. Bedenklich ist der übliche Hinweis, der sich wie ein Vorwurf anhört, es sei eine Frage der Höflichkeit, die Kompetenz und das Fachwissen des Promovierten anzuerkennen. Welches Fachwissen? Wenn wenigstens das Studienfach bekannt wäre.

Die zwei Buchstaben Dr, mit denen sich Promovierte schmücken dürfen, bieten nicht einmal einen vagen Anhalt für die angeblich überdurchschnittliche wissenschaftliche Leistung, eher ihre Verschleierung. Wer ahnt schon, dass der hoch geschätzte Doktortitel mit einer „Dissertation“ über das Thema „Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern“ erworben wurde? (1978 in München) Das Kürzel Dr. offenbart weder das Studienfach noch das Thema oder gar Einzelheiten der Dissertation. Im genannten Fall dürfte das Mitteilungsbedürfnis des Herrn Doktor nicht besonders groß sein.

Was bleibt also übrig als Nachweis für die Fähigkeit zum wissenschaftlichen Denken und Arbeiten? Nur der traditionelle Glaube an die besondere Leistung, und der stützt sich auf das Vertrauen der Öffentlichkeit auf die Zuverlässigkeit und Sachkunde der für die Beurteilung der Promovenden zuständigen Promotionsausschüsse der Unis. Deren Arbeitsweise wurde kürzlich im Fall des Betrügers zu Guttenberg bekannt. Die Mehrzahl der Promovenden möge korrekt bewertet worden sein; wesentliche Informationen über die Voraussetzung der Titelvergabe (Fakultät, Thema der Dissertation, ev. Einzelheiten davon) bleiben dennoch unbekannt, nach vielen Jahren sogar dem Verfasser. Die organisierte Geheimhaltung der Dissertationen könnte nur eine Datenbank verhindern, in der alle in Deutschland geführten Titel und Grade dokumentiert und abrufbar sind.

Warum die Hochschulrektorenkonferenz in den 60iger Jahren bewirkt hat, den Doktorgrad stets ohne Fakultätsangabe zu nennen, womit sie ein auffälliges Symbol für ein geistiges Vakuum einführte, wurde nicht begründet. Etwa, damit bei Fehlverhalten eines Promovierten nicht die jeweils zuständige Fakultät in Verruf kommt? Keine Handwerksinnung käme auf die absurde Idee, einen Tischlermeister anzuweisen, er solle sich nach bestandener Meisterprüfung (nur) „Meister“ nennen. Analoge Informationsbeschränkungen oder treffender Informationsverhinderungen sind bei allen Berufen und Sportarten möglich jedoch nicht üblich. 

Weiter nach Wahl:

1. Begriffsbestimmung
2. Die Gesellschaft wird moderner
3. Die Überbewertung des Doktorgrades
4. Lebenslange Anerkennung
5. Die Dünnbrettbohrer
6. Tradition geht vor Realität
7. Beckstein gegen Schäuble
8. Die Zweiklassengesellschaft
9. Trat ein Knigge-Rat in ein Fettfass?
10. Moderne Technik – antiquierte Anrede
11. LINK-Übersicht
12. Gesamt



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